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Volksdemokratie Prottes

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Der sogenannte Oktoberstreik des Jahres 1950 brachte überraschenderweise den Kommunisten mehr Schwierigkeiten als Nutzen. Sie, die immer die These aufgestellt hatten, daß nur im Kampf die Bewegung wachsen würde, mußten nun mancherorts das Gegenteil erleben. Nicht nur, daß die „Kämpfer“ aus dem Erdölgebiet \ihre Enttäuschung offen ausdrückten, in der Partei so etwas wie Bremser zu haben, mußten sie noch dazu erleben, daß die Partei in völliger Zerfahrenheit den Kampf abbrach, mit dem Versuch, ihn nach einer Woche wieder aufzunehmen, was natürlich im vorhinein zum Scheitern verurteilt war. So wurde also den führenden Genossen bei ihren Fahrten in „ihr“ Erdölgebiet manchmal recht Unangenehmes ins Gesicht gesagt. Den Russen waren die politischen Eskapaden der österreichischen Kommunisten meist egal. Den einzelnen russischen Generaldirektoren kam es einzig darauf an, das aus Moskau geforderte Plansoll an Oellieferungen zu erfüllen; was rundherum war, interessierte sie nicht. Es wäre den russischen, Direktoren aus Plangründen lieber gewesen, solche Miniaturrevolutionen, wie im Jahre 1950, mehr auf die Zieit nach Feierabend zu verlegen. Die Auseinandersetzungen zwischen den österreichischen Erdöl-KPlern und einzelnen russischen Direktoren waren daher meist recht heftig und zeigten von einer grundverschiedenen Auffassung vom Weg zum Sozialismus. Während die heimischen Kommunisten fanden, daß es wichtiger sei, nun alles liegen und stehen zu lassen, um zu streiken, in Wien in der russischen Zone die Tramwayschienen zu blockieren und Zeitungsautos anzuzünden, fanden die russischen Genossen, man müsse aus taktischen Gründen die Heimat des Sozialismus, die Sowjetunion, durch pausenlose Oellieferun-gen stärken und damit den nötigen Beitrag zur Weltrevolution leisten. Oesterreich sei dann sowieso mit inbegriffen.

Die KP des Erdölgebietes war trotz dieser klaren Argumente der Russen mehr für das Prügeln und Besetzen. So kam es also zu dem berühmt gewordenen Aufruf aus einer kleinen Gemeinde im Erdölgebiet an das Zentralkomitee: Wir haben die Macht, was sollen wir tun? Die ratlosen Revolutionäre aus Matzen und Prottes waren auf Lastautos in die nächste Gemeinde gefahren, ,hatten Postamt, Gendarmerie und Rathaus besetzt, wobei sie vorerst “schwer enttäuscht waren, daß. sich niemand fand, der mit ihnen raufen wollte. Noch größer wurde die Enttäuschung aber, als jemand von den KPlern auftauchte und verlangte, sie mögen die „Macht“ wieder an die örtlichen Behörden abtreten, da es erstens außerhalb von Deutsch-Wagram mit der Machtübernahme noch Schwierigkeiten gebe, zweitens, was noch schwerwiegender sei, die Russen sofort die Wiederaufnahme der Produktion verlangten und meinten, daß Streiks in kapitalistischen Betrieben genügen müßten. Damals fielen harte Worte auf die Wiener Kommunisten, aber, was viel härter war, es gab auch zahlreiche Austritte radikaler Straßenkämpfer.

Es vergingen Jahre, ohne daß es zu wesentlichen Aenderungen im Erdölgebiet gekommen wäre. Die Russen ließen, was das Zeug hielt, fördern, erschlossen neue Felder, und schließlich standen die Bohrtürme bereits am Rande der Stadt Wien. Waren es in den sogenannten alten Gebieten noch Arbeiter aus der Umgebung der Bohrbetriebe, kamen in die neu aufgeschlossenen Zonen nur mehr geeichte und geschulte Kommunisten. Hier wurde die Kadertruppe für die Zukunft gesammelt und vorbereitet. In dieser jZegab es. außer der „Volksstimme“ Wine Tageszeitung in den Klub- und Speiseräumen; auf die Arbeiter aus den ländlichen Gebieten prasselte eine Propagandaaktion nach der anderen. Das Aufmarschieren am 1. Mai gehörte genau so zum 'Erhalt des Arbeitsplatzes- wie Handerheben bei der Abstimmung über die diversen Resolutionen für Friedensrat, Konferenzen zum Schutz der Kinder, der Erwachsenen, der Mütter, der Jugendlichen, der farbigen Völker, des Weltgewerkschaftsbundes usw.

Wien war damals das ideale Konferenzgelände für kommunistische Tagungen. Die Delegierten aus dem Westen konnten ohne Schwierigkeiten in das besetzte Oesterreich einreisen, und die Delegierten aus dem Osten fragten überhaupt nicht um irgendwelche Erlaubnisse. Volksdemokratische Rundfunkstationen fuhren mit zahlreichen Funkwagen über die österreichische Grenze bei Klein-Haugsdorf, als würden sie in ihrer Heimat tanken fahren. Die Grenzer hinter dem österreichischen Zollschranken durften außer grüßen noch den Schranken heben, das übrige besorgten russische Offiziere. So kam es, daß im damaligen Wien bei einem Kongreß der Kommunisten nordkoreanische Offiziere in Uniform an amerikanischen Soldaten vorbeigingen, während in Korea der Krieg wütete und sich Amerikaner und Nordkoreaner niederknallten.

Für alle diese Kongresse stellten die Kommunisten aus dem Erdölgebiet die entsprechenden Sicherheitsorgane und Helfer ab. Nicht selten wurden den Russen Spesenrechnungen serviert, über die die Herren der Mineralölverwaltung herzlich wenig Freude empfanden. Im Erdölgebiet selbst aber wurden die Voraussetzungen geschaffen, in Zukunft nicht nur politisch, sondern auch fachlich die erste Geige zu spielen. In Bohrmeisterschulungen wurden geeichte Kommunisten ausgebildet und natürlich dementsprechend gehaltsmäßig eingestuft. Aus Hilfsarbeitern wurden Büroangestellte, und langsam, aber sicher hatten die Kommunisten alle nur möglichen Positionen in der Hand. Natürlich waren nicht alle Fachleute Kommunisten; diese Nichtkommunisten aber wurden politisch derart isoliert, daß ihnen keinerlei Möglichkeit blieb, als weiterzudienen und ruhig zu sein. Wollte ein Arbeiter oder Angestellter die Erledigung eines Anliegens, war er gezwungen, zum kommunistischen Betriebsrat zu gehen. Daß dies noch heute seine Auswirkungen hat, ist leicht verständlich.

Als aus Moskau die ersten Anzeichen einer gewissen Bereitschaft zum Staatsvertrag sichtbar wurden, begann im Erdölgebiet eine rege Geschäftigkeit der KP. Man traf alle Vorbereitungen für die nun zu erwartende Umstellung auf eine österreichische Verwaltung und hatte noch. ausreichend Zeit, die meisten Positionen auch gründlich und fest zu verankern. In vielen Betriebsstätten wurden schnell noch einmal Betriebsratswahlen abgehalten, so daß man erst einmal für zwei Jahre Ruhe hatte. Die Hauptarbeit leistete aber das kommunistische Personalbüro in diesen Wochen, nämlich die personelle Sicherung der wichtigsten Leute. Hier wurde eine Umschreibung ins Angestelltenverhältnis vorgenommen und dort eine bessere Einstufung durchgeführt, wo es leicht ging, noch schnell Kommunisten aufgenommen und günstig vertraglich verankert. Nachdem man kollektiv-vertragliche Verbesserungen vorgenommen hatte, sah man von kommunistischer Seite mit größter Ruhe und Gelassenheit dem Hissen der rot-weißroten Fahne entgegen.

Als es dann soweit war, zeigten sich die Früchte der gewissenhaften Arbeit des kommunistischen Personalbüros. An Stelle der russischen Direktoren kamen heimische Erdölfachleute, die wohl auf den Hochschulen ihre hervorragenden Kenntnisse erworben, niemals aber eine kommunistische Parteischule besucht hatten und daher manchmal dem demagogischen Gerede der Kommunisten einfach nicht gewachsen waren.

Die kommunistischen Betriebsräte traten in Massen auf und in einem Ton, als würde es für die österreichischen Fachleute eine Gnade sein, hier arbeiten zu dürfen. Im schroffsten Ton wurde auf jeden Versuch, etwas auf öster reichische Verhältnisse umzuändern, geantwortet, daß dies oder jenes so eingebürgert sei und sich die Arbeiter gegen jede Aenderung wehren würden. Gar mancher neuer Direktor oder Ingenieur knickte bei dieser scharfen Sprache zusammen und wollte keinesfalls die Verantwortung dafür übernehmen, Anstoß und Ursache eines Streiks zu sein und damit die Lieferungen an die Sowjetunion zu gefährden. Genau das aber wollten die Kommunisten erreichen, nämlich gefürchtet zu werden und Konzessionen bekommen.

So kamen sie zurück zu den Arbeitern und trumpften auf: Seht, wenn ihr etwas erreichen wollt, müßt ihr uns vertrauen, die neuen Herren verhandeln nur mit uns, und wir können auch etwas erreichen bei ihnen. Die andere Walze aber leierte: Man will euch die sozialen Errungenschaften rauben, ihr müßt zu euren Betriebsräten stehen. Außer kommunistischen Betriebsräten gab es keine Betriebsratsfraktionen, und den antikommunistischen Gruppen griff man vorerst wenig unter die Arme. Die Fachleute “meinten, das wichtigste sei die Produktion, zum PÖÜ'tiseren habe mäh keine Zeit und keine Lust. Die KP hatte aber sehr viel Lust zum Politisieren und ließ gerne das Gespenst des „Benzinabdrehens“ in ihren Gesprächen mit den Direktionen in Erscheinung treten. Man lächelte in kommunistischen Kreisen milde, blinzelte sich zu, wenn die Rede auf manche Direktoren kam, und fand, daß es unter diesen Bedingungen noch recht lange eine kommunistische Vorherrschaft im Erdölgebiet, dem wichtigsten Rohstoffzentrum Oesterreichs, geben werde. Noch hatte man ja alle Fäden in der Hand. In den Sportvereinen des Erdölgebietes nahm man sich einen Direktor als Ehrenobmann und blieb in den übrigen Funktionen weiter unter sich. Die kommunistischen Bohrmeister verteilten weiterhin Gunst und Mißgunst, je nach politischer Ansicht der anderen. Wagte es draußen auf dem Bohrfeld einer gar offen, als „Schwarzer“ etwa aufzutreten, konnte man recht ungemütlich werden und fand Mittel, um den Arbeitskollegen in die Reserve zu drängen.

Wie gut dabei der eingespielte Apparat der kommunistischen Kader funktioniert, konnte man vor noch nicht langer Zeit bei einem Prozeß um die Betriebsratswahl in Prottes erleben. Exakt wie eine Maschine traten die einzelnen Kommunisten vor und sagten ihr Sprüchlein auf, wie es das Gesetz der Partei verlangte. An dieser Mauer mußte jede Befragung zerschellen. Es war ein Aufmarsch der Kadertruppen aus dem Erdölgebiet. Gestern kommandierten sie noch bewaffnete Werkschutzmänner, heute bewaffnen sie sich mit Verträgen, mit Pressegesetzen und Demagogie und treten in schlichtem Zivil unter uns.

Im Gebiet zwischen Aderklaa und Neusiedl aber gehen ununterbrochen die langen Pumpenarme in den Fördertürmen auf und ab. Im Pulsschlag der Mutter Erde holen sie das flüssige schwarze Gold aus der Tiefe und leiten es zu den riesigen Rohren, die erst in Behältern am Rande der großen Stadt enden. Arbeit und Brot für zehntausende Menschen hat dieses Land zwischen March, Thaya und dem Tullner Becken. Das flüssige Gold fließt in Betriebe und Industriezentren, es treibt Autos und Diesellokomotiven, es wird zum Keilriemen unserer Wirtschaft. Der Gedanke ?.n dieses fruchtbare Land muß uns aber mit Freude, nicht mit Sorge erfüllen können. Wünschen wir uns also Pumpenwärter, die im Gestänge der Bohrtürme* die österreichische Fahne lieben. Der Weg Oesterreichs zu seinem Erdöl war und ist zu schwer, als daß wir es verantworten könnten, Interessenvertreter vergangener Herren schalten und walten zu lassen.

Nicht Gewaltlösungen werden im Erdölgebiet das Erwünschte erreichen, die Gewalt war zu lange schon auf diesem Flecken Land an der Macht.

Das Erdölgebiet ist seit mehr als zwei Jahren österreichisch. Gehen wir an die Arbeit, damit es für immer österreichisch bleibt.

Als die Kommunisten vier Tage vor den neuen Betriebsratswahlen in Prottes vom Einigungsamt des Wahlschwindels der vergangenen Periode bezichtigt wurden, stand unweigerlich eine neue Kraftprobe bevor. Die Mineralölverwaltung ließ sich die Chance nicht entgehen, die beteiligten Betriebsräte in dem Augenblick, da das Einigungsamt die Betriebsratswahlen für ungültig erklärte, fristlos zu entlassen. Es war klar, daß die Kommunisten zu einer agitatorischen Großaktion ansetzen würden, der sie eine Streikaktion folgen lassen wollten. Obwohl die Propagandamaschine auf Hochtouren lief und man alle Routine vergangener Zeiten ins Treffen warf, blieb der Erfolg aus. Es kam zu keinem Streik. Die Helden waren müde, die Volksseele kochte nicht, und die „Volksstimme“ schlug erstaunlich milde Töne an. Der Streik blieb auch aus, als einige Gendarmen zu Straßenkontrollen abkommandiert wurden und der kommunistischen Presse als Photomodelle dienten. Die Sensationspresse ließ es sich dafür wieder nicht nehmen, den Kommunisten als Zeugen zu gehen, daß „Gendarmen mit aufgepflanzten Bajonetten bereitstünden und jederzeit eingreifen würden“. So lieferte jeder seinen Beitrag zur den in der Zeit vom 10. bis zum 13. März abgehaltenen Betriebsratswahlen, die den Kommunisten neun Mandate und damit wieder die eindeutige Mehrheit brachten. Die Sozialisten buchten vier Mandate, der Oesterreichische Arbeiter- und Angestelltenbund zog mit einem Mandat zum erstenmal im Betriebsrat ein.

Ist der Wahlerfolg in Prottes wirklich die Bestätigung der „Volksdemokratie Prottes“ der vergangenen Jahre? Keinesfalls. Würden die anderen Fraktionen die gleiche Aktivität und Agilität entwickeln wie die Kommunisten, würden Nationalräte in Matzen und Prottes im gleichen Verhältnis auftauchen wie die Abgeordneten der KP, hätten sicher mehr als 513 Arbeiter gegen die Kommunisten gestimmt. Die Wahlen in Prottes haben mancherlei gezeigt, vor allem: daß die Vorbereitung für die nächste Wahl am Tag nach der vorangegangenen beginnen muß.

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