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Volkskundearbeit in Österreich

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AJs einige Volksforscher im vergangenen Frühjahr eine würdige Feier zum 70. Geburtstag ihres Altmeisters, Universitätsprofessors Dr. Hermann Wopfner, in Innsbruck vorbereiten wolltenda zeigte sich, welch großen Schaden ihre Fachwissenschaft im letzten Jahrzehnt genommen und wie viele Einbußen sie in Österreich erlitten hatte. Bei manchem mag zunächst die Grillparzer-Stimrnung durchgeschlagen haben: „Wir andern sind einzelne Trümmer!“ Denn so ziemlich alles, was die Volkskunde der abgetanen Zeit vorangetrieben hatte, war zusammengebrochen und hatte viele Volkswerte mitverschüttet.

Ein Zusammenrücken von alt und jung, ein Nähertreten von Forschern und Volksbildnern, die einer vergeistigteren Volkskunde entsprechen und diese in ein europäisches Gesichtsfeld rücken wollen, erwies sich als erste Voraussetzung, um der brennenden Fragen, die der Grazer Universitätsprofessor Dr. Viktor von Getamb in der „Furche“ vom 27. Juli 1946 gekennzeichnet hatte, allmählich Herr zu werden und gemeinsam neuen Boden im alten, schwer heimgesuchten Vaterland legen zu können. Professor von Geramb, der Begründer und Leiter des steirischen Volkskundemuseums in Graz, lud denn auch für Anfang Oktober zur ersten dreitägigen Volkskundetagung im neuen Österreich ein.

Als Tagungsort hatte Professor von Geramb das Schloß St. Martin bei Graz gewählt, die Wirkungsstätte des steirischen Volkspädagogen Hofrat Josef S t e i n b e r-g e r. Wenngleich es im Kriege einen seiner charakteristischen Türme eingebüßt, auch sein Laubenhof Schaden genommen und manches noch behelfsmäßig sein mußte, war dieses Volksbildungsheim doch schon nach seiner Geschichte die passendste Stätte für eine volkskundliche Tagung. Schloß Sankt Martin hat schon viele Zehntausende einer angewandten Volkskunde zugeführt. Es ist in der österreichischen Volksbildungsarbeit ein Begriff geworden. Von der Schloßhöhe aus schaut man weit in das steirische Land, dessen Volkskunde früh einsetzte und nicht an den Grenzen der eigenen Sprache haltmachte. Die Schloßkirche bannt den Beschauer in überraschender Monumentalität in jene große Kulturepoche zurück, in der sich Kunst und Technik zum Triumph ihrer Leitgedanken und Sinnzeichen einigten. Hier wurden die Teilnehmer von Volksgesängen überrascht und von Hofrat Steinberger und Professor von Geramb auf die großen Probleme der wissenschaftlichen und angewandten Volkskunde hingewiesen.

Im Vordergrund der Beratungen standen die volkskundliche Heranbildung der Lehrerschaft und Seelsorgegeistlichkeit, der damit verbundene Ausbau volkskundlicher Vorlesungen und Übungen an den Hochschulen, die Bestellung von Ordinarien an den Universitäten, die Wiederbelebung und Förderung volks- und heimatkundlicher Zeitschriften, die Herausgabe grundlegender volkskundlicher Werke, ein erster Überblick über die Arbeiten auf den Gebieten des Volksliedes, Volkstanzes und Volksschauspiels, die Pflege der Arbeitskunde durch volkskundliche Museen, das Verhältnis der wissenschaftlichen Volkskunde zur angewandten (Volksbildungs- und Heimatwerk) und die engere Zusammenarbeit der österreichischen Volksforscher zur Durchführung ihrer Aufgaben. Die Referate verteilten sich vornehmlich auf Commenda, Dörrer, von Geramb, Schmidt und Zoder.

Die steirische Landesregierung und ihr Landesschulrat hatten schon zuvor in vorbildlicher Weise an allen ihren Lehrer-und Lehrerinnenbildungsanstalten die Volkskunde als Lehrfach eingeführt und Professor von Geramb und seine Mitarbeiter mit der Durchführung betraut. Damit ist ein erster großer Schritt unternommen worden, um die volkskundliche Ausbildung der gesamten Lehrerschaft des Landes sicherzustellen. Es meldeten sich Stimmen, wonach andere Bundesländer dem Beispiel der Steiermark bald folgen werden, so daß zu hoffen steht, daß binnen Jahresfrist sämtliche österreichischen Länder die Volkskunde als Lehr- und Pflichtfach in ihren Bildungs- und Erziehungshäusern anerkennen und die theologischen Fakultäten und Priesterseminare in Österreich sich dazugesellen. Die Stärke des österreichertums liegt in seinem Heimat-und Kulturbewußtsein. Dieses zu vertiefen und vollständig zu distanzieren von unglückseligen Ideologien und von den Vergewaltigungen, der gerade unsere Volkskunde und Kulturgeschichte in den letzten Jahrzehnten ausgesetzt war, dürfte zu den ersten psychologischen Notwendigkeiten zur Gesundung des österreichertums und zur Kräftigung seines Volkstums zählen.

Um die Lehrkräfte für das volkskundliche Lehrfach und zur volkskundlichen Ausgestaltung der Museen heranzubilden, ist es notwendig, daß die volkskundlichen Vorlesungen, Übungen und Wanderungen an den Universitäten gepflegt werden. Es fehlt nicht sosehr an Kräften als an Einrichtungen. So ist die Volkskunde im Lehrplan der Universität Innsbruck gestrichen und nur mehr kommissarisch bestellt worden. So besitzen weder Graz noch Wien derzeit ein Ordinariat für Volkskunde, ganz im Gegensatz zu den Verhältnissen der benachbarten Schweiz, die eigene Lehrkanzeln an den Universitäten Basel, Freiburg und Zürich mit reichen Einrichtungen unterhält. In der Schweiz wird auf diesem Gebiete Vorbildliches weit über ihre Grenzen hinaus gewirkt. Die volkskundliche Bibliographie, das Handwörterbuch des Aberglaubens und andere grundlegende Werke für das gesamte deutsche Sprachgebiet von Bächtold-Stäubli, Geiger, Hoffmann-Krayer und anderen gingen aus diesen Instituten hervor. Österreich verblieb bis 1938 ein Anhängsel des Deutschen Reiches — ein Zustand, der mit daran Schuld trug, daß die österreichische Volksforschung in selbständiger Entfaltung gehemmt war und das herkömmliche I.andes-und Volksbewußtsein hemmungsloser Propaganda anheimfiel.

Die „Zeitschrift für österreichische Volkskunde“, die Professor Michael Haberlandt in Jahre 1895 begründete und in altösterreichischer Weitherzigkeit in den Dienst des Vielvölkerreiches stellte, verengte sich später in Gehalt und Gestalt, bis sie im Jahre 1944 einging. Die Teilnehmer der Grazer Tagung stellten daher den Antrag an den Verein für Volkskunde in Wien, die Monatsschrift aufs neue als österreichische Zeitschrift für Volkskunde unter Leitung von A. Dörrer, V. von Geramb und L. Schmidt und im Einvernehmen mit H. Wopfner wieder erstehen zu lassen und den wissenschaftlichen Bestrebungen der Volkskunde in Österreich zur Verfügung zu stellen. Hiebei wurde der Wunsch laut, daß der Wiener Verein sich über ganz Österreich ausbreite. Der angewandten Volks- und Heimatkunde in. Österreich soll ein neues Organ entsprechen, das der Verlag Otto Müller in Salzburg herausgeben wird.

Von den landes- und heimatkundlichen Zeitschriften haben schon etliche Landeskörperschaften die ihren wieder fortgesetzt, so „Unsere Heimat“ für Niederösterreich, „Montfort“ (statt „Alemannia“) für Vorarlberg, „Blätter für Heimatkunde in Steiermark“, „Osttiroler Fleimatblatter“ (Lienz), „Der Schiern“ (Bozen) für Südtirol. Andere sind im Wiedererscheinen begriffen, so die „Heimatblätter für Oberösterreich“, „Carin-thia“ für Kärnten. Besonderer Wert wurde auf die Fortsetzung der „Tiroler Heimat“ gelegt, die H. Wopfner 1920 begründet und bis 1938 geführt hatte.

Die Probleme der angewandten Volkskunde wurden in einer eingehenden Aussprache über das im Entstehen begriffene österreichische Volksbildungswerk lebhaft erörtert. Es nennt sich in Oberösterreich H e i m a t w e r k, ein Name, der zu Verwechslungen mit den Amtlichen Beratungs- und Verkaufsstellen für Volkskunst und Tracht in Graz, Innsbruck usw. führte. Dieses Volksbildungswerk ist als Ring der heimatlichen Körperschaften gedacht und will alles bestehende Gute an geschaffenen ähnlichen Stellen in sich vereinigen. Die Betätigung soll fachlich, nicht politisch ausgerichtet, elastisch und landeseigen sein.

Ein altes, gediegenes Unternehmen ist im österreichisdien Volksliedwerk wieder erstanden. Sein Hauptausschuß hat sich unter Staatssekretär Dr. Lugmayer gebildet, die Arbeitsausschüsse der einzelnen Bundesländer werden in absehbarer Zeit wieder aufgerichtet sein. Das' österreichische Volksliedwerk blickt auf eine mehr als hundertjährige Tätigkeit zurück, die im Jahre 1819 mit der ersten Volksliedsammlung einsetzte. 1904 bis 1914 bestand die Organisation „Volkslied in Österreich“, aus dem das Volksliedarchiv hervorging. 1945 errichtete der Bundesminister für Unterricht das österreichische Volksliedwerk. 46 Jahrgänge der Volksliedzeitschrift Fegen vor. Sie sollen nun ihren Abschluß durch ein Generalregister finden. Das Wiedererscheinen der Zeitschrift wird vorbereitet.

Auch die Volkstanzforschung hat gerade in Österreich hervorragende Leistungen gezeitigt. Sie wird im Anschluß an die Volksliedforschung fortgesetzt. Der österreichische Bundesverlag wird demnächst R. Zoders „Sammlung österreichischer Volkstänze“ neu auflegen.

Der Märchenforschung hat V. von Geramb die Neuausgabe steirischer Märchen geschenkt, die viele Jahre aus recht kleinlichen Vorwänden nicht herausgebracht werden konnte (Verlag Leykam, Graz). Dieser stattliche Band „Kinder- und Hausmärchen aus der Steiermark“ bedeutet eine glückliche Verknüpfung von Volksbuch und wissenschaftlicher Behandlung und weicht darin wesentlich von den üblichen Neudrucken der letzten Jahrzehnte ab. Der Sagenforschung wird die Sammlung „Wipptaler Sagen“ von Hermann Holzmann eine Bereicherung einbringen.

Die Volksschauspielforschung erlebte in den letzten Jahrzehnten starken Antrieb, wie schon ihre Berücksichtigung in Wolfgang Stammlers mitelalterlichem Verfasserlexikon beweist. Gerade vor 100 Jahren hatte der Tiroler Adolf Pichler damit eingesetzt und die ersten Vorarbeiten für die großen Ausgaben, so J. E. Wackernells „Altdeutsche Passionsspiele aus Tirol“, geleistet. Je mehr sich die Erforschung in Nachbarländern, wie Kärnten und Steier- ' mark, umsieht, desto bedeutsamer tritt Tirol als Ausgangsland hervor. Das zeigt sich im Einführungsband zu den „Bozner Bürgerspielen“, der noch 1942 erscheinen konnte, während die Drucklegung der weiteren verhindert wurde. Auf diesem Gebiete ist mit einer reichen Ausbeute in nächster Zeit zu rechnen. Leopold Schmidt, der verschiedene Forschungsprobleme aufgriff, nahm auch an Spielausgaben von Salzburg, Niederösterreich und der Slowakei teil. Ihm verdanken wir die Volksschauspielausstellungen in Wien und Ischl von 1946.

Damit haben wir schon den Bereich der Buchveröffentlichungen beschritten. An ihre Spitze darf wohl die neue Schriftenreihe „ö sterreichische Volkskultur, Forschungen zur Volkskund e“, gestellt werden, für die nun Dörrer, von Geramb und L. Schmidt als Herausgeber im österreichischen Bundesverlag zeichnen. Der erste Band, die Festschrift zu Ehren Hermann Wopfners, „Volkskundliches aus Österreich und Südtiro 1“, 300 Seiten stark, ist im Drucke.

Die Festschrift soll eine Buchreihe einleiten, in der auch H. Wopfners zweibändiges Lebems-werk, seine „Tiroler B e r g-bauernkund e“, dank der Unterstützung, die die Tiroler Landesregierung, der Tiroler Bauernbund und die Tyroler Landsmannschaft ihr angedeihen lassen, binnen Jahresfrist herauskommen dürfte. Als nächste Bände liegen das „Wipptaler Sagenbuch“ von H. Holzmann, J. Weingartners „Tiroler Bildstöcke“, L. Schmidts „Monographie über den Männerohrring im Volksschmuck und Volksglauben“, eine „Gesamtdarstellung tirolerischer Fastnachtsbräuehe“ A. Dörrer, „Gasseireime und Gasselbrauch-tum im Salzburgischen“ von Ilka von Peter, das „Blockziehen im Burgenland und in der Oststeiermark“ von K. M. Klier handschriftlich vor. Mehrere andere Werke, auch solche über Iadinische Volkskultur, über kroatische Volkslieder im Burgenland und über Südtiroler Brauchtum usw. werden zur Zeit vorbereitet.

Der Verlag Alpenland in Graz will Viktor von Gerambs Buch über unser „Brauchtum in Österreich“ wieder herausbringen. Der Verlag Otto Müller in Salzburg druckt gegenwärtig ein anderes Werk Gerambs „Zur österreichischen Volkskultur“. Desgleichen befinden sich etliche Werke von Leopold Schmidt unter der Presse: „Volkskunde“ (Universum-Verlag, Wien), „Wiener Volksbrauch“ (Bellaria-Verlag, Wien), „Kleine Einführung in die Volkskunde Österreichs“ (österreichischer Bundesverlag). Eine ,' nzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen bereitet der Verlag Otto Müller in Salzburg vor: „Brauchtum in Oberösterreich“ von E. Burgstaller, „Die Rauchstuben in Salzburg“ von Viktor von Geramb, „Der Ländler“ von E. Haman, „Das Bauernhaus in Oberösterreich“ von R. Heckl, die „Oberösterreichische Hinterglasmalerei“ von K. Fritz, „Pflug und Arl“ von H. Koren, „Die Spende“, „Arme Seelen — Arme Leut'“ von H. Koren, Pircheggers „Steirischer Heimatatlas“ wird fortgesetzt.

Die Volkskundetagung zu St. Martin legte mit einer Entschließung den Landesregierungen nahe, das in der letzten Epoche aufgenommene Material von Aufnahmen zur Hausbauforschung zu sammeln und zu vervollständigen.

Die Teilnehmer schieden von der ertragreichen Tagung mit der Hoffnung, bis zum nächsten Treffen im September 1947 zu Salzburg die Durchführung ihrer Beschlüsse und Pläne ausweisen zu können.

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