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Volkspartei und Industrie

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Es ist kein Geheimnis, daß sich in die Beziehungen zwischen der OeVP und der Industrie eine gewisse Malaise eingeschlichen hat. Die Industriellen (genauer: die Mitglieder der Vereinigung österreichischer Industrieller) glauben, die Bundesparteileitung der OeVP, die Wiener Landesleitung der letzteren und der OeAAB „hätten etwas“ gegen sie; die OeVP wiederum, insbesondere deren Bundesparteileitung, ist der Meinung, der Industriellenverband benütze die ihm nahestehende Presse, um die Oeffentlich- keit gegen die derzeitige Parteiführung und deren Taktik aufzubringen; der OeAAB schließlich sieht die Verbreiterung der Partei- wie der Wählerbasis, die in erster Linie seine Aufgabe wäre, durch die Politik der Industriellen bedroht. Es ist nicht nur eine Malaise da: das Schlimme ist, daß an alldem etwas Wahres ist.

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Es ist kein Geheimnis, daß sich in die Beziehungen zwischen der OeVP und der Industrie eine gewisse Malaise eingeschlichen hat. Die Industriellen (genauer: die Mitglieder der Vereinigung österreichischer Industrieller) glauben, die Bundesparteileitung der OeVP, die Wiener Landesleitung der letzteren und der OeAAB „hätten etwas“ gegen sie; die OeVP wiederum, insbesondere deren Bundesparteileitung, ist der Meinung, der Industriellenverband benütze die ihm nahestehende Presse, um die Oeffentlich- keit gegen die derzeitige Parteiführung und deren Taktik aufzubringen; der OeAAB schließlich sieht die Verbreiterung der Partei- wie der Wählerbasis, die in erster Linie seine Aufgabe wäre, durch die Politik der Industriellen bedroht. Es ist nicht nur eine Malaise da: das Schlimme ist, daß an alldem etwas Wahres ist.

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Gewiß ist, im großen und ganzen, das Verhältnis zwischen OeVP und Industrie noch ein gutes. Die OeVP verfolgt eine Wirtschaftspolitik, die, ohne von den direkten Interessen der Industriellen auszugehen, doch durch ihren konsequent freiheitlichen Weg (Hebung der Kaufkraft durch Senkung der Steuern, schrittweises Steigen der Löhne, Gehälter und Renten, Förderung der Bildung von Eigentum) indirekt den Interessen der Industrie zugute kommt. Ueber- dies ist, auf der Arbeitgeber-Arbeitnehmer- Ebene, durch die weitgehende Identifikation von Gewerkschaftsbund und SPOe es immer öfter notwendig geworden, daß sich der Industriellenverband der Unterstüztung der OeVP versichert, wovon beide, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, profitiert haben, denn durch die von vielen so vehement angegriffene Verlagerung der sozial- und betriebspolitischen Auseinandersetzungen . auf die parlamentarische oder gar Regierungsebene ist Oesterreich in den letzten vierzehn Jahren ein geradezu einzigartiger Arbeitsfriede beschieden gewesen: man wollte an solchen Fragen die Koalition nicht scheitern lassen und fand immer wieder zu Kompromissen, die, so enttäuschend sie auch jeweils für d?n einen oder anderen der Beteiligten gewesen se’n mögen, doch das Beste dafstellten, das zu erreichen war — die Wirtschaftsindexziffern sind der Beweis dafür. Das Verhältnis zwischen OeVP und Industriellenverband ist also, wie gesagt, noch ein gutes und stabiles. Die Malaise, die dennoch besteht und von Tag zu Tag fühlbarer wird, hat darum auch keinen prinzipiellen, sondern einen mechanischen Grund: die Kontakte werden von Tag zu Tag schlechter.

Der Verband österreichischer Industrieller ist seit 1953 durch kein prominentes Mitglied mehr in der OeVP vertreten. Seit dem Ausscheiden Nationalrat Kapsreiters und dem Tode des Handelsministers Böck-Greißau werden die Interessen der Industrie im Nationalrat wie in der Partei durch Industriebeamte vertreten. Es sind außerordentlich fähige Leute, sie genießen das Vertrauen der OeVP und haben in deren Parlamentsfraktion bei der Behandlung der Industrieprobleme weitgehend freie Hand. Genießen sie aber das Vertrauen der Vereinigung österreichischer Industrieller? Wohl nicht in dem Maß, das wünschenswert wäre. Um das volle, uneingeschränkte Vertrauen der Mitglieder der Vereinigung zu besitzen, muß man selbst Industrieller sein, zu ihnen gehören, offiziell und privat, in Beruf und Gesellschaft, muß man sich nicht innerhalb einer und zwei Generationen heraufgearbeitet haben, sondern muß man innerhalb einer oder zwei Generationen ebensoviel verloren haben wie sie. Böck-Greißau und Kapsreiter gehörten zu ihnen. Wenn sie als Industrielle im Parlament, im OeVP-Klub oder im Parteivorstand sprachen, hatten ihre Worte unbedingtes Gewicht; wenn sie als OeVP-Man- datare im Industriellenverband sprachen, setzten sie sich in nahezu jedem einzelnen Fall durch. Die Zeiten dieser politisch-wirtschaftlichen Interdependenz sind leider vorbei. In dieser Situation beginnen hüben und drüben zornige junge Männer ihr Süppchen zu kochen: die einen versuchen, die OeVP-Führung in der Oeffentlichkeit zu diskreditieren, die andern stellen den Industriellenverband als OeVP-Erz- feind hin.

Dieser Mangel an Kontakten hat aber noch zu anderem geführt: er führte zu grundsätzlichen Mißverständnissen. So ist es zum Beispiel kein Zweifel, daß die weitgehende indirekte Deckung der gemeinsamen Interessen mit der OeVP den Industriellenverband nach und nach zur Ansicht verleitet hat, was gut für die Industriellen sei, nütze automatisch der OeVP, und daß daraufhin manche der Industriellen daraus den Negativschluß zogen: was dem Industriellenverband schadet, schade der OeVP. Daß dies nicht stimmt, liegt auf der Hand, denn die OeVP ist weder eine Arbeitgeberpartei noch der Anwalt der Industrie, und es könnte sehr wohl möglich sein, daß sie sich eines Tages gezwungen sieht, im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung für Maßnahmen einzutreten, die einzelne Industrielle empfindlich träfen. Um dies zu verhindern, hat ein Flügel des Industriellenverbandes versucht, neue Kontakte zur OeVP herzustellen und solche Kontakte dort gefunden, wo OeVP-Mandatare glauben, ihre Position innerhalb der Partei durch Unterstützung von J außen verbessern zu können. Daß dies unklug war, hat das Wahlergebnis bewiesen. Das von diesen Kreisen ausgegangene und von einzelnen Industriellen mitformulierte Gerede von der gleichermaßen christlichen wie liberalen Ausrichtung der OeVP (so, als ob Christentum und Liberalismus zwei Größen gleicher Ordnung wären) lenkt nur davon ab, daß sich die Stellung der OeVP im Staate nur dann verbessert, wenn die OeVP auf Kosten der Sozialisten stärker wird — und dies kann sie nur, wenn sie bereit ist, mit ihren Methoden jene Sozialpolitik zu betreiben, die, würde sie mit den Methoden der Sozialisten betrieben, höchstwahrscheinlich zum Staatsbankrott führte.

Es ist die Frage, ob die Industriellen bereit sind, mit der OeVP diesen Weg zu gehen. Er ist für jeden Industriellen mit Opfern verbunden, Opfern nicht nur finanzieller Natur. Es ist aber ein Weg, an dessen Ende eine Gesellschaftsordnung steht, in der die Privatindustrie einen festen, unverrückbaren Platz hat. Um diesen Weg nun wirklich gehen zu können (auch die OeVP hat ihn bis jetzt nur am Rande beschritten), wäre es zunächst wichtig, daß sich die Industrie in der OeVP verankert, und sich ihre besten Männer, die allerbesten, der aktiven politischen Arbeit zur Verfügung stellten. Geschähe dies, wäre mit einem Male jene gemeinsame Vertrauensbasis wiedergewonnen, auf deres sich arbeiten und vor allem so entscheiden ließe, daß diese Entscheidung künftig nicht mehr von einem der Partner wegen Verdachtes der Preisgabe von Prinzipien „über die Hälfte des wahren Wertes" angefochten werden könnte. Anderseits freilich wird sich ja auch die OeVP zu einem Gesinnungswechsel bequemen müssen; sie hat die Industriellen während der letzten Jahre nicht glücklich zu behandeln gewußt. Nicht ein einziges Mal hat man, durch ein konkretes Mandatsangebot, eine hervorragende Persönlichkeit des Industriellenverbandes zur Mitarbeit zu gewinnen versucht, nicht ein einziges Mal mit tauglichen Mitteln versucht, mit dem Industriellenverband zu einem klärenden Gespräch zu kommen.

Man wird bald sehen, was kommt, denn die Dinge treiben einer Entscheidung zu. So wie bisher geht es nicht weiter; denn ginge es so wie bisher weiter, dann gingen die nächsten Wahlen verloren. Vor den Frühjahrswahlen hatte ein Teil der Jungtürken in der OeVP einen wirklich exzellenten Wahlprogrammpunkt ausgearbeitet, der sicherlich die Wahlentscheidung vom 10. Mai beeinflußt hätte. Er wurde dennoch nicht ins Wahlprogramm aufgenommen, da die Industriellen, wie einer ihrer Exponenten mitteilte, seine Verwirklichung kategorisch ablehnten. Jetzt stellt sich heraus, daß neun von zehn darüber befragte Industrielle von diesem Wahlprogrammpunkt nie eine Silbe gehört haben. Und selbstverständlich dafür sind. Es ist hoch an der Zeit, daß sich an den Beziehungen zwischen der OeVP und Industrie etwas ändert, ehe die Malaise, die sich da eingeschlichen hat, zum . Malheur wird. ,

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