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„Vollbeschäftigung“

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Seit Kriegsende klingt immer wieder in den wirtschaftspolitischen und sozialen Debatten das “Wort Vollbeschäftigung auf. Es entspricht dem „Füll Employment“ der englischen Wissenschaft. Der gegenwärtige Bundesminister Gruber schrieb im Vorwort seines 1946 veröffentlichten Buches „Voraussetzungen der Vollbeschäftigung“, diese trete vom Standpunkt des Arbeitswilligen aus ein, wenn jedermann eine seinen Wünschen entsprechende Beschäftigung findet. Unter dem Druck praktischer Verhältnisse müsse man aber einschränkend sagen, daß es ausreicht, wenn die Beschäftigung seinen Fähigkeiten entspricht.

Das Buch behandelt vornehmlich einen anderen Begriffsinhalt des Wortes: Vollbeschäftigung als jenen Zustand, in dem Maschinen, Fabriksanlagen und sonstige tote Erzeugungsmittel ganz ausgenützt sind, also mit voller Kapazität arbeiten, auf vollen Touren laufen. Beide Formen von Vollbeschäftigung können, müssen aber nicht zusammenfallen. Eine rationalisierte Wirtschaft kann zum Beispiel ihre technischen Anlagen voll ausnützen, dabei aber wenige Menschen beschäftigen. Umgekehrt verschlangen nach 1945 der Wiederaufbau, der Warenhunger, der Transportbedarf, die mühselige Erzeugung einzelner, früher maschinell erzeugter Güter durch Handarbeit eine Unsumme von Arbeitskraft; unsere Betriebskapazität war dabei keineswegs überall ausgeschöpft. Wir können also von einer technischen, „betrieblichen“ und einer sozialen, „demographischen“ Vollbeschäftigung sprechen. Letztere steht im Vordergrund, doch bildet technisch-industrieller Fortschritt auch für sie eine Voraussetzung, wenn nämlich die dadurch erzielte Verbilligung zum

Mehrverbrauch der Ware und dadurch zu vergrößertem Kräfteverbraudv führt. Echte soziale Vollbeschäftigung liegt nur vor, wenn alle Arbeitskräfte voll in Anspruch genommen sind; vom Betrieb angeordnete Freischichten und Zwangsurlaube stehen dem ebenso entgegen wie eigenmächtige Leistungskürzungen des Arbeiters durch Blaumachen und verlangsamte Tätigkeit. Ebensowenig kann die Vollbeschäftigung nach 1945, die großenteils im Herrichten zerbrodiener Maschinen und im Schuttwegräumen bestand, als echt und dauernd angesehen werden, weil sie nicht produktiv und verbilligend wirkte und ins Gegenteil umsdilug, als die Tätigkeit beendet war.

Zwanzig Jahre vor Grubers Publikation hat der Handelskammersekretär Conrad ein Büchlein „Absatzmangel und Arbeitslosigkeit als Dauerzustand“ herausgegeben. So verschieden die Titel beider Schriften lauten, im Grunde behandeln sie das gleidie. Gruber denkt in seiner Habilitationsschrift an die Betriebskapazität, er untersucht die bestehenden Zustände. Conrad wirft dagegen die Frage auf, wie der Absatzmangcl und damit die Arbeitslosigkeit zu beheben seien. Er gebraucht noch nicht das Wort Vollbeschäftigung, doch schwebt ihm dieses Ziel vor. Beide Bücher ermöglichen einen aufschlußreichen Vergleich der Verhältnisse nadi dem ersten und nach dem zweiten Weltkrieg. Gewisse soziale Wünsche Conrads sind heute erfüllt. Die in den zwanziger Jahren noch als problematisch dargestellte Lebensfähigkeit Österreichs hat sich nun in. härtesten Stürmen erwiesen; war auch die wirtschaftliche Zerstörung nach 1918 geringer als heute, so gehen wir an manche Frage jetzt mit größerer Einsicht heran und wissen zum Beispiel, daß bloße Lohnerhöhung kein Allheilmittel bietet. Nach wie vor sind letzt Ursachen einer „Uberteuerung“ und „Wirtschaftslähmung“ in kurzsichtiger Eigensucht vieler Kreise gelegen.

Nie wird Vollbeschäftigung dadurch erzielt, daß man möglichst wenig arbeitet. Selbst wenn hiedurch vorübergehend neue Kräfte eingestellt werden müssen, führt dies in der Folge zu weiterer Verteuerung, daher zu weiterem Kaufrückgang und .omit zu weiterem Abbau von Arbeitern. Der Vollbeschäftigung stehen also hinderlich gegenüber: Rationalisierung ohne entsprechende Preissenkung, Monopolismus, absichtliche Zurückhaltung der Erzeugung oder des Verkaufes, um höhere Preise zu erzielen. Es gibt nach Conrad nur die Möglichkeiten, zu einer Vollbeschäftigung zu gelangen. Sic fußen auf einem A b-bau der Eigensucht, einer Verstärkung des Gemeinsinnes, und heißen: arbeiten, sparen und auch Steuer zahlen, wobei dem letzteren eine sinnvolle Steuerpolitik entsprechen muß, die nicht die Henne erwürgt, die Eier legen soll. Allzusehr sind viele geneigt, noch zu viele Vorteile auf Kosten der anderen zu erwerben, statt durch Förderung des gemeinsamen Vorteils den eigenen mit zu fördern. Neben dem Abbau unberechtigter Gewinne ist hier auch'die Beseitigung überflüssigen Zwischenhandels zu nennen, selbst wenn dabei scheinbar Kräfte arbeitslos werden. Staatliche Maßnahmen sind ferner die Schulung des industriellen Nachwuchses und allgemeine Arbeitserziehung (Gruber, S. 85). Es soll der Staat aber auch produktive Arbeitsiosen-fürsorge betreiben und seine Angestellten zwecks Erhöhung der Kaufkraft entsprechend entlohnen (Gruber, S. 73 und 75).

Die Möglichkeit einer Vollbesdiäftigung hat eine oberste Grenze im Konsum. Be-vin läßt bekanntlich Füll Employment noch geken, wenn nicht mehr als 7 Prozent der Arbeiterschaft verdienstlos sind. Unproduktiv kann man nach Belieben Leute besdiäftigen. Ein Beispiel traurigen Andenkens bilden die Nationalwerkstätten des Jahres 1848. Daß extensive Arbeit Unterbeschäftigung veranlaßt, sieht man heute zum Beispiel in Griechenland, wo trotz eines riesigen und schwach beschäftigten Beamten- und Arbeiterstandes die Arbeitslosigkeit groß ist, weil die Lohngesamtkosten das Produkt verteuern, während die schlechten Einzellöhne den Absatz und damit die Produktion weiter drosseln.

Die Vollbeschäftigung kann heute als Grundproblcm der Wirschaft betrachtet werden und geht über eine statistische Betraditung weit hinaus. Universitätsprofessor Klezl-Norbcrg nennt sie in seiner „Wirtschaftsstatistik“ (1947) geradezu das allgemeinste Ziel der Wirt-sdiaft. Es wurde in pädagogischen Kreisen schon gesagt, daß sie auch das einzige Mittel bildet, die Jugendkriminalität merklich einzuschränken. Es ist aufschlußreich, daß Vorarlberg als einziges Bundesland einen ausgeglichenen Landeshaushalt und gleichzeitig Vollbeschäftigung aufweist, obwohl es mit Naturgütern keineswegs rcidier als andere bedacht wurde. Wenn zu Metternichs Zeiten der nachmalige Minister Schwarzer schrieb: „wir dürften die Bodenschätze Österreichs so lange nicht als wirtschaftliche Reichtümer betrachten, als wir sie nicht ausnützen“,1 so gilt dies auch für die Gegenwart als Fingerzeig. Aus denselben Erwägungen haben zahlreiche Praktiker und Theoretiker in letzter Zeit vorgeschlagen: Förderung des Exports, Elektrifizierung, Wohnbau, Bodenverbesserung, eine ent-sprediende Planung mit Ausschluß unnotwendiger Neugründungen, Übergang von der Quantitäts- auf die Qualitätserzeugung. Als ausgezeichneter Heilpraktiker erwies sidi vielleicht der gewesene Minister Taucher, wenn er bei alldem größte Sparsamkeit und eine Senkung des in gewissen Kreisen viel zu hohen Lebensstandards empfahl, um das verlorene Kapital zu ersetzen. Kapitalsvermehrung und Vollbeschäftigung stehen in Wechselwirkung. Das eine bedingt das andere. Arbeit und Sparsamkeit schaffen aber das Kapital oder, wenn man will, den Volksreichtum, der zur Vollbeschäftigung führt. Je größer dieser wird, je mehr der Konsum wädist, desto mehr Arbeitsmöglichkeiten erschließ-; er. In diesem Sinne sagt auch der Grazer Universitätsprofessor Dr. Tautscher mit Recht: Wir haben in Österreich keine Arbeitskraft zu viel. Es gibt so viel Arbeit, daß wir sie gar nicht schaffen können.

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