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Vom Konsul zum Kaiser der Franzosen

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Die fortschreitende Konsolidierung der Diktatur des Ersten Konsuls Napoleon Bonaparte, die er seit dem Staatsstreich vom

18. Brumaire (9. November 1799) zum Wohl des gänzlich desorganisierten und verarmten Frankreichs ausübte, ließ allgemein durch die am 2. August 1802 erfolgte Uebertragung der höchsten Würde auf Lebenszeit mit dem Recht, seinen Nachfolger zu bestimmen, die Rückkehr zur monarchischen Staatsform erwarten. Dieser entscheidende Schritt war auf Betreiben des Zweiten Konsuls Cambaceres als ein „strahlendes Unterpfand des Dankes der Nation“ für den mit England geschlossenen Frieden und die Wiederherstellung von Ruhe und Wohlstand gedacht gewesen. Nicht wenig hatten zu diesem Entschluß ungezählte Komplotte und auch Anschläge auf das Leben Bonapartes beigetragen.

Immerhin war der am 6. Mai im Tribunat eingebrachte Antrag auf den Widerstand einiger Generäle, wie Moreau, s Bernadotte, Lannes und Brune, gestoßen, von denen die zwei letzteren auf Botschafterposten kaltgestellt wurden. Mit diesem energischen Zugriff glaubten diese Generäle, Bonapartes antimilitärische Einstellung bewiesen zu sehen, zumal er im Staatsrat am 4. Mai verkündet hatte: „Der Vorrang gebührt dem Zivil“ — ein rnicht allzu überraschender Ausspruch, da er nur bei Paraden und Inspizierungen Uniform trug und sonst im hellroten Schlußrock oder im Frack des Institut de France erschien. Vier Tage später erließ der Senat ein Konsultum, durch das er für die unmittelbar dem Dezennium folgenden Jahre, für das er bereits ernannt war, in seiner Würde weiterhin bestätigt werden sollte. Er ließ sich aber durch diesen Gegenzug nicht beirren: er nehme diesen Beschluß an, doch wünsche er seine Vollmacht durch ein Plebiszit zu erhalten. In einer an die Nation gerichteten Proklamation forderte er sie auf, sich für sein Konsulat auf Lebensdauer auszusprechen.

Schon im Herbst 1802 hatte sich niemand verhehlen können, daß der am 27. März mit England geschlossene Friede nur einen Waffenstillstand bedeute. Seine Handelsinteressen gefährdet sehend, begann England sich über die Friedensbedingungen hinweg- zusetzen, indem es sich weigerte, Malta zu räumen, und gegen angebliche Gebietsverletzungen protestierte. Zu diesen Kontroversen kamen noch die Vorstellungen Rußlands, das die Konsolidierung der Republik mit Unbehagen verfolgte. Um aber eine neue Koalition zu vermeiden, erklärte sich Bonaparte bereit, auf Malta zu verzichten, dafür Tarent besetzen zu lassen. Am 8. März 1803 reagierte England auf diesen Entschluß mit der Einberufung der Milizen und der Forderung, daß Frankreich die Schweiz und Holland evakuiere. Nunmehr verschärften sich die Gegensätze Schlag auf Schlag: am 12. Mai verläßt der britische Botschafte- Paris; am

19. Mai werden an der bretonischen Küste zwei französische Kauffahrer gekapert, worauf Bonaparte alle Engländer in Frankreich in Konzentrationslagern gefangen setzt, wo sie größtenteils bis 1814 verbleiben sollten.

Die durch England offensichtlich unterstützten Royalisten glaubten nun, die durch die Kriegsgefahr erregte Stimmung in Frankreich zur Durchführung ihrer gegen das Leben Bonapartes gerichteten Pläne benützen zu können. Doch trotz den fortdauernden Verbindungen mit der Heimat waren die Verschwörer über die wahre Einstellung des französischen Volkes nicht richtig informiert. Sie konnten daher nicht erfassen, daß sic durch das Bekanntwerden ihrer Pläne die Popularität des Ersten Konsuls nur erheblich steigern würden. Schon seit August 1803 hielt sich der Bandenführer in der Vendee, Georges Cadoudal, in Paris auf; im Jänner folgte ihm General Pichegfu, der sich sofort mit dem unversöhnlichen Gegner Bonapartes, dem General Moreau, in Verbindung setzte. Von ihren Mitverschwörern verraten, wurden sie bald verhaftet. Bei seiner ersten Einvernahme gestand Cadoudal, daß die Royalisten die Ankunft eines königlichen Prinzen erwartet hatten. Anderseits kam aus Straßburg die Meldung, daß der Herzog von Enghien sich in Ettenheim, nahe der elsässi- schen Grenze aufhalte und er zweifellos der erwartete Prinz sei. Gleichzeitig berichtete die Straßburger Gendarmerie über die Anwesenheit des Generals Dumouriez in Ettenheim. Wie es sich bald ergab, handelte es sich um den harmlosen Marquis de Thumery und nicht um den Sieger von Valmy. Allein, als Bonaparte den Namen Dumouriez’ las, der, durch den Zaren reichlichst unterstützt, in Hamburg ein Spionagenetz organisiert hatte,, und der Präfekt von Straßburg allerlei Indizien als Tatsachen meldete, verfügte der Erste Konsul die sofortige Ergreifung des Bourbonenprinzen, worauf General Ordener am 15. März mit einigen Schwadronen in badisches Gebiet eindrang, um ihn nach Vin- cennes zu bringen. Im eiligst zusammenberufenen Conseil forderte Bonaparte eine kriegsgerichtliche Untersuchung, gegen die sich als einziger Cambaceres aussprach, während Talleyrand die Anwendung des Gesetzes in seiner ganzen Strenge verlangte, obgleich sich aus den beschlagnahmten Papieren ergab, daß Enghien sich schriftlich gegen die Ermordung Bonapartes ausgesprochen hatte. In der Erkenntnis, daß diese Schriften ein Todesurteil nicht rechtfertigen würden, schrieb der Erste Konsul dem Staatssekretär Real: „Ich empfehle Ihnen, mit Desmarest insgeheim die Papiere einzusehen. Man muß verhindern, daß irgend etwas über die darin enthaltenen, mehr oder weniger belastenden Umstände verlaute.“

Am Abend des 20. März langte Enghien in Vincennes ein. Die willfährigen Mitglieder des Kriegsgerichtes, die das ohne Verhör im vorhinein gefällte Todesurteil auszusprechen hatten, und das Exekutionsdetachement waren bereits eingetroffen, und das Grab an der Festungsmauer ausgehoben. Am 21. März, eine Stunde nach Mitternacht, verurteilte das Gericht, ohne die Schuld zu präzisieren, den Herzog zum Tode mit dem Beisatz, dieses Urteil habe sofort vollzogen zu w’erden. Vor seinem Grab angelangt, kniete der Prinz, dem man die Beiziehung eines Priesters verweigert hatte, mit gefalteten Händen nieder: „Nein, wie gräßlich, auf diese Weise durch Franzosen zu sterben“, waren seine letzten Worte.

In seinen Memoiren, denen Philippe von Ségur die Aufnahme in die Académie française zu verdanken hat, berichtet er über das verstörte Wesen des Ersten Konsuls während des Empfanges nach der ersten, auf das Drama von Vincennes folgenden Sonntagsmesse in den Tuilerien. Als sein Adjutant begleitete ihn Ségur während des Rundganges durch die Gemächer. „Seine Haltung schien bald gezwungen, ruhig, bald düster, immerhin zugänglicher als sonst. Langsam durchschritt er die geräumigen Gemächer; langsamer als gewöhnlich. Auch er schien beobachten zu wollen. Fast nach jedem Schritt hielt er inne, ließ die Anwesenden an sich herantreten, um an jeden einige Worte zu richten. Diese erweckten irgendwie Erinnerungen an die Nacht vom 20. zum 21. März. Er sondierte offensichtlich die Stimmung, erwartete Entgegnungen, forderte sie sogar heraus; sie würden, wie er hoffte, ihn befriedigen Andere Gruppen, die sich um ihn herum bildeten, horchten auf seine Worte in beobachtender Neugierde. Ganz niedergeschlagen, manchmal verwirrt, verharrten sie in einem offensichtlich mißbilligenden Schweigen.“ Diese ablehnende Haltung so vieler seiner Getreuen bewirkte, daß Bonaparte sich allmählich reservierter zeigte. „Man bemerkte, wie er immer verschlossener wurde und bestrebt w’ar, sich selbst .zu überzeugen, daß der durch die Politik ausgeübte Zwang ihn entlaste, daß, abgesehen von der Vorgangsweise, alles andere zu seinen Gunsten spreche, was mit den Tatsachen nicht vereinbar war. Er verließ hastig die Versammlung, unzufrieden, aber unbeugsam, ohne daß er durch diese allgemeine Mißbilligung wankend gemacht worden wäre.“ Immerhin hatte er sein Ziel erreicht, denn von nun an hörten die Verschwörungen auf.

Zwei Tage nach dieser für alle Anwesenden peinlichen Audienz, während der sich einige Senatoren unliebsam bemerkbar gemacht hatten, wurden im Senat die kompromittierenden Briefschaften der englischen Agenten vorgelegt. Einige Senatoren forderten Bonaparte auf, daß, nachdem es ihm gelungen war, Frankreich aus dem Chaos der Revolution zu retten, er es auch in Hinkunft schützen, sein Werk vollenden und es „ebenso wie seinen Ruhm unsterblich“ gestalten möge. Nachdem der Erste Konsul dem Senat hatte mitteilen lassen, er werde diese Aufforderung in Erwägung ziehen, beriet er sich mit dem Staatsrat, der mit 20 von 27 Stimmen die Errichtung einer erblichen Monarchie billigte. Am 28. April forderte Curée in öffentlicher Sitzung das Tribunat auf, die kaiserliche Würde dem Ersten Konsul zu übertragen, ein Antrag, der am 3. Mai mit allen gegen die Stimme Carnots zum Beschluß erhoben wurde, während der Senat neben eigensüchtigen Forderungen zusätzliche Garantien für die individuelle Freiheit forderte. „Es war zu spät! So viele seit dem 18. Brumaire erfüllte Hoffnungen, so viele eingelöste und weiter als erhofft ausgreifende Versprechen hatten das Mißtrauen gegen die beratenden Körperschaften gesteigert, den alten monarchistischen Geist neu belebt und das Vertrauen in Bonaparte verdoppelt.“ Schließlich legte Camba- cerès am 18. Mai 1804 (28. Fructidor des Jahres XII) dem Ersten Konsul das organische Senatus Consultum vor, dessen erster Absatz lautete: „Die Regierung der Republik ist. einem Kaiser anvertraut, der den Titel eines Kaisers der Franzosen annimmt.“ Dieser Bestimmung entsprechend w’urde für die Staatsakten die Formel „Napoleon I., von Gottes Gnaden und dem Willen des französischen Volkes, Kaiser der Franzosen“ eingeführt. Die von nun an geprägten Münzen und Medaillen trugen auf dem Avers: „Napoleon Empereur“ und auf dem Revers: „République française“. Durch diese Worte sollte jedem Franzosen tagtäglich und zu jeder Stunde in Erinnerung gebracht werden, daß der von ihnen gewählte Kaiser die Errungenschaften der Revolution nicht antasten wolle, ein Versprechen, an das er sich, soweit es ¿ich mit seiner Diktatur vereinbaren ließ, gehalten hat. Die aus- führende Macht sollte einem Einzelnen, die Regierung der Allgemeinheit zukommen. Als aber Napoleon sich entschloß, zur Festigung seiner Dynastie die Elite seiner Getreuen in den Adelsstand zu erheben, ordnete er an, daß „République française“ vom 1. Jänner 1808 an durch „Empire français“ zu ersetzen sei.

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