6700440-1963_26_12.jpg
Digital In Arbeit

Vom Konzil gewählt

19451960198020002020

„Der bedeutendste Teil Unseres Pontifikates wird ausgefüllt sein mit der Fortsetzung des Zweiten Vatikanischen Ökumenischen Konzils, auf das die Augen aller Menschen guten Willens gerichtet sind. Das wird Unser wichtigstes Werk sein. Dafür wollen Wir alle Kräfte einsetzen, die der Herr Uns gegeben hat. Durch das Konzil soll die katholische Kirche ... alle Menschen .aus jedem Stamm und jeder Sprache, aus jedem Volk und jeder Nation' an sich ziehen... In diesem Licht steht die Arbeit für die Revision des kirchlichen Gesetzbuches und die Weiterführung der Bemühungen für die Festigung der Gerechtigkeit...“ _Papst Paul VI.

19451960198020002020

„Der bedeutendste Teil Unseres Pontifikates wird ausgefüllt sein mit der Fortsetzung des Zweiten Vatikanischen Ökumenischen Konzils, auf das die Augen aller Menschen guten Willens gerichtet sind. Das wird Unser wichtigstes Werk sein. Dafür wollen Wir alle Kräfte einsetzen, die der Herr Uns gegeben hat. Durch das Konzil soll die katholische Kirche ... alle Menschen .aus jedem Stamm und jeder Sprache, aus jedem Volk und jeder Nation' an sich ziehen... In diesem Licht steht die Arbeit für die Revision des kirchlichen Gesetzbuches und die Weiterführung der Bemühungen für die Festigung der Gerechtigkeit...“ _Papst Paul VI.

Werbung
Werbung
Werbung

Mit der Annahme des Namens Paul VI. hat Papst Montini — noch will die Namensverbindung nicht flüssig über die Lippen — sicherlich nicht an die Reihe der Päpste gleicher Bezeichnung vor ihm gedacht, die mit Ausnahme Pauls I., dessen Gedächtnis sich im Dunkel der Zeiten verliert, alle kämpferische Kraftnaturen waren, autoritäre Streiter gegen unchristliche und christliche Feinde der Kirche und des Papsttums, Sprößlinge alter und mächtiger Familien, der Barbo, Far-nese, Caraffa, Borghese, sondern an den Apostelfürsten, dessen kühne Auslegung des Wortes Christi die Völkerfamilie dem Glauben zugeführt hat, der es als furchtloser Bekenner hinausgetragen und verteidigt hat. Es bezeugt diese Annahme, daß Paul VI. nicht den Peter-und-Paul-Tag für seine Krönung bestimmt hat, sondern den 30. Juni, an dem sich die Kirche des Martyriums des heiligen Paulus erinnert. Es gibt aber noch ein weiteres Zeugnis, nämlich die kurze Erklärung des Erzbischofs von Mecheln und Brüssel, Kardinal Leo Jozef Sue-nens, als er das Konklave verließ: „Die Kirche ist froh, einen neuen Papst zu haben“, sagte er, „aber noch zufriedener ist sie, daß er den Namen Paul trägt. Denn der von Giovanni Battista Montini gewählte Name, der ausdrücklich den Völkerapostel Paulus in Erinnerung ruft, bedeutet Öffnung zur Welt, Glaubensverkündung und Dialog. Das Konzil wird eine großartige Fortsetzung erfahren. Es hat in gewisser Weise den Ausgang des Konklaves mitbestimmt.“

Konzil und Konklave

Die wenigen, aber vielsagenden Andeutungen verraten etwas von dem, was sich im Geheimnis des Konklaves abgespielt hat. Montini ist am zweiten Wahltag in der fünften Abstimmung gewählt worden, das heißt in außerordentlich kurzer Zeit, wenn man bedenkt, daß Johannes XXIII., der doch zufolge den Mitteilungen des Kardinaldekans Tisserant von Anfang an eine große Stimmenanzahl auf sich vereinigte, erst im elften Wahlgang als Papst hervorging. Über Montinis Einordnung unter die „Gemäßigten“ oder „Progressiven“ können die Meinungen geteilt sein, aber sicherlich ist er nicht den „Konservativen“ oder „Traditionalisten“ zuzurechnen gewesen, und ebenso sicher ist, daß er nicht der Kandidat dieser Meinungsgruppe war, der die große Mehrheit der italienischen Kardinäle angehört. Das bedeutet, daß die konservative Gruppe überraschend bald ihre Waffen gestreckt hat, wahrscheinlich, weil sie erkannt hat, wie gering die Zahl der Gesinnungsfreunde in der Welt ist. Es

hat sich also im Konklave — Suenens hat es bestätigt — der gleiche Kontrast wie auf dem Konzil ergeben, aber wie dort ist er auch hier durch das starke Übergewicht der fortschrittlichen, weltzugewandten, von einem ökume-

nischen Geist beseelten Gruppe entschieden worden. Die ersten Auswirkungen dieses Sieges sind bereits sichtbar geworden in den programmatischen Erklärungen, mit denen Paul VI. in seiner ersten Botschaft am Tage nach der Wahl die Ziele seines Pontifikates umriß. Sie enthalten ein geradezu glühendes Bekenntnis zum Konzil, dem er alle seine Kräfte widmen will. Noch ist die Stelle in seinem Hirtenbrief zur Fastenzeit des vergangenen Jahres in Erinnerung, in dem er die unbezweifelbare Wahrheit feststellte, daß der Papst auch ohne Konzil mit der ganzen Fülle seiner Autorität und Wirksamkeit handeln könne, ferner, daß das Konzil für das Kirchenregiment nicht unbedingt notwendig sei.

Im Geiste Johannes' XXIII.

Wie immer: die baldige Fortsetzung des Konzils, vielleicht schon im Oktober, steht außer Zweifel, und man darf darin das Ergebnis einer Verständigung zwischen den Wählern und dem Gewählten erblik-ken. Es ist diese „gewisse Weise, in der das Konzil den Ausgang des Konklaves mitbestimmt hat“. Erinnert man sich noch, daß Montini, Erzbischof von Mailand, während des Konzilverlaufs die schlechte Vorbereitung vermerkt, jetzt aber, als Paul VI., die durch die Konzilsdebatten gedemütigte Kurie moralisch aufgerichtet hat, indem er ihren unermüdlichen Fleiß und ihre Hingabe lobte, so blickt hier nicht der Diplomat Montini durch, sondern der Wunsch des Oberhirten, zu versöhnen und die Eintracht herzustellen.

Die fünf Programmpunkte des kommenden Pontifikats,

• Konzil,

• Revision des kanonischen Rechts,

• die Förderung der Gerechtigkeit auf dem sozialen, zivilen und internationalen Gebiet,

• das feste Eintreten für den Frieden und schließlich

• das Wirken für die Einheit der Christen;

das sind genau die durch Johannes XXIII. vorgezeichneten Bahnen. Doch wo Roncalli in mystischer Intuition weltbewegende Probleme ins Licht gerückt hat, wird der kluge Diplomat und Politiker Paul VI. sie der Lösung zuzuführen haben. Es ist das die weniger dankbare, sicherlich die schwierigere Aufgabe. Roncalli hat, in Voraussicht, daß sein Leben bald in den Hafen einlaufen werde, an der Barke Petri alle Segel gesetzt; Montini, der nach menschlicher Voraussicht mehr Jahre vor sich hat, dürfte vorziehen, sie wieder einzuholen, um in langsamerer, aber sicherer Fahrt über die Klippen hinwegzukommen. Als Leichtmatrose unter Pius XI. und Steuermann unter dem zwölften Pius ist er in der Führung des Ruders erfahren. Kardinal Suenens hat mit Ironie, mit der er seine ernstesten Gedanken mitzuteilen liebt, nach dem Konklave gesagt: „Diesmal wenigstens haben wir Kardinäle gute Arbeit ge-

leistet: die Papstwahl mit Hilfe des Heiligen Geistes ist ja fast wie ein Dogma.“ Die angefochtene Kandidatur Montinis hat sich in ein nicht mehr angefochtenes Pontifikat Pauls VI. verwandelt. Die Kardinäle

haben nicht zaudernd einen Mann gewählt, der. mit einem farblosen Über-gangspontifikat die Entscheidungen auf spätere Zeiten aufgeschoben hätte, sondern sie haben unverzagt einen Mann gewählt, von dem sie wußten, daß er ein selbstbewußter Einzelgänger und „kein leichter Papst“ sein wird, noch dazu einer, der ein langes Pontifikat verspricht. Trotzdem haben sie ihn allen anderen vorgezogen, weil unsere Zeit der straffen Hand bedarf, der man sich in Ruhe anvertrauen möchte.

Es ist anzunehmen, daß der Vatikan in der italienischen Politik wieder aktiver werden wird, nachdem er sich unter Johannes XXIII. bezüglich der innerpolitischen Vorgänge weitgehend agnostisch gezeigt hat, wofür ihm die bürgerlichen Schichten keineswegs dankbar waren. In der internationalen Politik ist mit einem Ausbau der Beziehungen mit allen Staaten zu rechnen. Wahrscheinlich wird Paul VI. jener Papst sein, unter dem es zur Anknüpfung diplomatischer Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Heiligen Stuhl kommt; daß sie noch nicht bestehen, gehört zu den Anachronismen unserer Zeit. Auch die Beziehungen zum kommunistischen Osten können aufgenommen werden, wenn dies die Lage der Katholiken in jenen Ländern erleichtert. Mit seinem Gruß an die Menschen im Osten, die

schwer am Kreuze Christi tragen, hat Papst Montini einen Blick in die Zukunft gerichtet. „Sie werden wieder frei ihre Religion und ihre seelsorgerliche Tätigkeit ausüben können.“ Versprechen oder Prophezeiung?

Die ersten Schritte

Das Papsttum Pauls VI. ist erst Tage alt, aber gerade die ersten Handlungen der Neugewählten sind es,

die ihren Stil enthüllen. Wie war1 es doch bei Johannes XXIII. gewesen? Sobald sein Name aus dem Konklave drang, brachen die jungen Monsignori in stürmischen Jubel aus, um ihn zu begrüßen. „Ihr seid alle exkommuniziert!“ hatte der Kardinal Tisserant wütend gerufen. „Schon absolviert“, hatte Johannes gutmütig lächelnd hinter ihm geantwortet, Dem Sekretär des Konklaves, Di Jorio, setzte er sein rotes Käppchen auf und machte ihn damit, einer alten, aber seit langem aufgegebenen Tradition folgend, stehenden Fußes zum Kardinal. Das Füllhorn seiner Gnaden- und Gunstbeweise schien unerschöpflich zu sein; er schüttete es sofort aus, besetzte längst vakante Stellen, verlieh neue Würden und sogar der letzte Arbeiter der Dombauhütte bekam mit einer Lohnerhöhung das päpstliche Wohlwollen zu spüren.

Paul VI. geht bedächtig vor. Der Sekretär des Konklaves, Carpino, ist in seinen Hoffnungen enttäuscht worden, wenn er solche gehegt hat. Die Zugänge des Konklaves blieben streng bewacht und durften erst auf Befehl des Papstes freigemacht werden: die jungen Monsignori konnten Papst Montini nur bei einem etwas protokollarischen Empfang am Nachmittag beglückwünschen.

Kardinalstaatssekretär Amleto Ci~ cognani ist in seinem Amt bestätigt worden, und es war das ein Akt, der von der Kurie geschätzt wird, denn er verrät, daß Paul VI. nicht an Neuerungssucht leidet. Wahrscheinlich anerkennt Montini an dem nächsten Mitarbeiter Roncallis die gleichen Eigenschaften, die diesen bewogen haben, ihn sich zu wählen: sein diskretes Dienen, das Fehlen persönlicher Ambitionen, die Abgeklärtheit des hohen Alters. Aber als sich bei der dritten Huldigung der Kardinäle der greise Erzbischof von Turin, Fossati, dem Throne näherte und vorauszusehen war, daß er nur mit Mühe die drei Stufen hinaufsteigen würde können, da erhob sich Paul VI. entgegen dem Zeremoniell, stieg rasch zu ihm herab und umarmte ihn herzlich. In seiner Ansprache hat er dann nicht das „Wir“ des Souveräns und Trägers der Tiara verwendet, sondern das kleingeschriebene „ich“ des Priesters.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung