benoist cover.jpg - © Verlag Junge Freiheit

Alain de Benoist: Vom Politiker zum Heilsbringer

19451960198020002020

Alain de Benoist ist der brillanteste Vordenker der Neuen Rechten. Auch Jörg Haider profitiert von seiner intellektuellen Kunstfertigkeit. Jetzt gibt Benoist erneut einen Richtungswechsel vor. Anstelle der Fremden wird die Globalisierung zum Sündenbock gemacht.

19451960198020002020

Alain de Benoist ist der brillanteste Vordenker der Neuen Rechten. Auch Jörg Haider profitiert von seiner intellektuellen Kunstfertigkeit. Jetzt gibt Benoist erneut einen Richtungswechsel vor. Anstelle der Fremden wird die Globalisierung zum Sündenbock gemacht.

Werbung
Werbung
Werbung

Das Jahr 1968 war nicht nur das Jahr der Studentenrevolte. Es war auch die Geburtsstunde der Nouvelle Droite. Deren allererste neuen Kleider wurden damals von dem - bis heute - wohl brillantesten Vordenker Alain de Benoist geschneidert. Er nahm Abschied von zerstörerischen Erscheinungsbildern des Rechtsextremismus und schuf ein "modernes" rechtes Bewußtsein. Indem er die in der Luft liegenden modernen Begriffe aufgriff, deren ideologische Herkunft bewußt mißachtete und durch verblüffende Assoziationen neue Horizonte erschloß, ist er salonfähig geworden.

Mit den "ewig Gestrigen" sollten diese Rechten nichts mehr gemeinsam haben; als Grenzgänger, ja bewußte Grenzüberschreiter sind sie flexibler und damit moderner als ihre Gegner. Bildungsfunktionäre vieler Parteien, von den Rechtsextremisten eines Monsieur Le Pen in Frankreich bis hin zu den Freiheitlichen Jörg Haiders in Österreich (mit Andreas Mölzer haben die Freiheitlichen einen Theoretiker in dieser Tradition), profitierten vom Bildungsgut und der intellektuellen Kunstfertigkeit des Alain de Benoist.

Wie und was dachte Benoist damals? Die tagespolitischen Kommentare fokussierten seinen widersprüchlichen Rassismusbegriff, den Begriff des Ethnopluralismus und machten auf die Sympathie zum italienischen Faschisten Gulio Evola aufmerksam. Dessen Aussagen über den Aberglauben an die Menschenrechte, die von den Neuen Rechten übernommen wurden, erregten die Gemüter. Linke Aktionisten schlugen Benoist zusammen, weil sie in ihm den ideologischen Wortführer des Fremdenhasses sahen. Nur eines wollte niemand erkennen: Daß Alain de Benoist wie ein Theologe denkt!

Derselbe Benoist hat gerade eine Sammlung von Essays und programmatischen Texten veröffentlicht. Das neue Buch weist ihn wieder als Meister seines Faches aus. Schon der bezeichnende Titel "Der Aufstand der Kulturen: europäisches Manifest für das 21. Jahrhundert" deutet darauf hin. Analog zum Kommunistischen Manifest ruft es zu einer Allianz auf. Nicht die Proletarier, und schon gar nicht die Ewiggestrigen werden aber gerufen. Und auch nicht die Neurechten der siebziger Jahre. Wer dann? Die alten, vertrauten Begriffe treten in den Hintergrund. Man findet weder den Ethnopluralismus und schon gar nicht die an allem Übel Europas schuldigen Fremden.

Sündenbock-Politik

Benoist scheint genauso wandlungsfähig wie Jörg Haider. Verblüfft müssen sich nun die linken und alternativ angehauchten Leser, die ihre antirassistische Brille unmöglich ablegen können, ausgerechnet von Benoist das sagen lassen, was sie selber seit eh und je denken: "Die Eröffnung einer Fast-Food-Filiale oder eines Supermarktes stellt für unsere Identität sicher eine größere Bedrohung dar als der Bau einer Moschee!" Die These ist kein Ausrutscher; sie wird durch eine kritische Einschätzung der gegenwärtigen politischen Landschaft geerdet: "Die Parteien, die sich auf Anti-Immigranten-Erklärungen spezialisiert haben, sind nichts weniger als kleinbürgerliche demagogische Parteien, die versuchen, aus den Ängsten der heutigen Welt Kapital zu schlagen, indem sie eine Sündenbock-Politik praktizieren." Wo sind da noch die Grenzen zu den Schablonen von Liberalen, Linken und Alternativen?

Vielleicht im Bekenntnis: "Selbst wenn sich kein einziger Ausländer in Frankreich aufhielte, wären die Franzosen nichtsdestoweniger mit denselben Problemen konfrontiert, dann allerdings ohne Sündenbock." Zu lange hat man im tagespolitischen Diskurs in der rechten Szene die Ursache und nicht bloß eines der Symptome der gesellschaftlichen Krise zu sehen gelernt. Der Autor scheint moderner zu sein als viele seiner Kritiker! Weder die Migration noch Ausländer bedrohen mehr das europäische Bewußtsein, sondern der Globalisierungsprozeß.

Der tagespolitische Instinkt versucht die allgemeine Antwort in eine konkrete umzuinterpretieren: An die Stelle der Algerier und anderer Einwanderer treten die Amerikaner: "Wir sagen es unumwunden, die Globalisierung kommt von jenseits des Atlantiks, und nicht von jenseits des Mittelmeers." Der Platzwechsel glückt aber nicht hundertprozentig. Die Amerikaner sind nur Platzhalter für Ideen, nicht für Menschen aus Fleisch und Blut, die plötzlich vor der Tür stehen könnten; sie stehen bloß für die Versessenheit auf Produktivität und Profit und für die Ideologie der Menschenrechte.

Den aktuellen Hauptfeind der Neuen Rechten erblickt Benoist weiterhin im Liberalismus. Dieser bietet den Rahmen für das politische Übel. Weil er das Modell des Marktes zum Paradigma aller gesellschaftlichen Erscheinungen macht, den Menschen von seiner kulturellen Verwurzelung abtrennt, ihn auf ein abstraktes Individuum und ein Konsumwesen reduziert, die Welt schlußendlich zur "McWorld" verwandelt, ruft das Manifest alle Gegner des Liberalismus zu einer Allianz gegen ihn auf. Auf welcher Basis? Die verwirrten Linken, Liberalen und Alternativen, die es zunehmend schwieriger haben, eine eindeutige Grenze zu den wendigen Neuen Rechten zu ziehen, wären gut beraten, auch den Theologen Benoist zur Kenntnis zu nehmen. Er ist kein politischer Stratege; er ist und will im Grunde ein Heilbringer bleiben. Sein metapolitisches Vorgehen besteht darin, "auf höchster Ebene durch neue Synthesen dem Leben wieder Sinn zu geben". An diesem (theologischen) Programm und dessen Verwirklichung hat sich - trotz aller Wendigkeit - nichts verändert.

Warum ist die Sinngebung notwendig? Bereits vor 30 Jahren hielt er fest: Zwar gehen die Europäer heute nicht mehr in die Kirchen und Synagogen, doch dies sei noch kein Beweis dafür, daß die europäische Kultur nicht religiös ist. Die letzten religiösen Anzeichen unserer Kultur erblickte er bei der normativen Ausrichtung unseres Lebens auf die allen Menschen gleich zukommende Würde. Dies sei das Überbleibsel des "religiösen Aberglaubens" an die gleiche Würde aller Menschen vor Gott. Schuld an diesem Aberglauben sei der biblische Schöpfungsglaube; gekoppelt mit der entsprechenden Philosophie fordere er die Vision einer Welt, in der die Menschen die gleiche Würde vor dem Gesetz beanspruchen und denselben Traum von einer sozialen Gleichheit und Gleichwertigkeit haben.

Heidnische Werte

Will man die politische Landschaft wirklich verändern, so gilt es vor allem diesen Traum aus den Angeln zu heben. Nouvelle Droite traf den Nerv der Zeit, indem sie diese Religiosität als den Inbegriff des Totalitarismus, den heidnischen Polytheismus aber als Verkörperung der Vielfalt pries. Die Politik der Menschenrechte und der "unnatürliche Schutz des Schwachen" in der abendländischen Kultur waren ihnen ein Dorn im Auge, die Migration und die Flüchtlingsproblematik nur der Anlaß, um politisches Kapital zu schlagen. Was die Empörung der Gegner erregte, war der Anlaß, nicht aber die Begründung der Haltung. So provozierend es klingen mag, die meisten Gegner der Nouvelle Droite verdrängen das religiöse Problem, oder sie würden sogar den Ansichten Benoists beipflichten. Weil die Begründung der Menschenwürde und der Menschenrechte ihnen kein Problem darstellt, oder sie sich dessen sogar einig sind, daß jüdisch-christliche Religiosität einen totalisierenden, menschenfeindlichen Impuls darstellt, arbeiten sie - wenn auch ungewollt - an der Etablierung heidnischer Wertehorizonte mit.

Die neuen Kleider der Neuen Rechten wurden nun in der modischen Antiglobalisierungsschneiderei angefertigt. Sie sind jenen zum Verwechseln ähnlich, die die Kommunitaristen tragen. Benoist rückt die Gemeinschaft als den Ort, an dem Werte gelebt und auch eingeübt werden, in den Vordergrund. Er spricht von echter Anerkennung der Verschiedenheit und der Besonderheiten und von der freien Wahlentscheidung, auf der eine solche Gemeinschaft beruht. Um welche Werte kann es sich dabei handeln? Sind die Werte einer rechtsradikalen Schlägerbande und die einer sich um alte Menschen kümmernden Jugendgruppe unter einen Begriff subsumierbar?

Alle im gleichen Boot

Weil Benoist solche Fragen tabuisiert, systematisch gegen den jüdisch-christlichen Gottes- und Menschenbegriff polemisiert, wird sein neues Manifest dieselben oberflächlichen und tieferen Allianzen bewirken wie die früheren Bücher. Es sind die Allianzen all der Kritiker der Moderne, die nicht konsequent genug sind. Sie alle sitzen im gleichen Boot, selbst dann, wenn sie empört gegen ihn schreien. Wie alle Modernen glaubt nämlich auch Benoist, seine Weltanschauung selber basteln zu können; dem Individualismus setzt er zwar "Gemeinsamkeiten" entgegen. Ob sie dann "Gott, Kosmos, Sein oder Nichts genannt werden": das ist ihm zweitrangig.

Um diese Frage, ob das wirklich zweitrangig ist, kommt aber unsere politische Kultur längerfristig nicht herum. Angesichts der Tatsache, daß die Werbesprache zum Muster aller gesellschaftlicher Sprachen geworden ist und "der Mensch ... zur einfachen Verlängerung der Werkzeuge, die geschaffen" geworden ist, reicht es nicht aus, abstrakt gegen universale Denkfiguren und Strukturen zu polemisieren und diese zum Sündenbock abzustempeln, wie dies Benoist tut. Es reicht nicht, universale Solidarität zu beschwören und kulturell einiges zu tun, um deren Grundlagen zu zerstören (wie dies die Linken und die Liberalen tun).

Zuerst braucht es die Besinnung auf den Ort, von dem aus man eine solche Kritik noch sinnvollerweise betreiben kann. Die jüdischen Propheten wußten es, daß man angesichts der Totalität des Unheils unmöglich auf einen transzendenten Gott verzichten kann. Eine Kultur, die im Zeitalter der Globalisierung die Menschenrechte zum normativen Fokus ihres Handelns macht, muß sich dessen bewußt werden, daß auch sie sich faktisch an einen theologischen Hintergrund bindet, der mit dem Neuheidentum nichts am Hut hat.

Der Autor ist Professor für Dogmatik an der Theologischen Fakultät Innsbruck. Seit Jahren beschäftigt er sich mit Nouvelle Droite und den Schriften Benoists.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung