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Vom Sdireibtisdi zum Schraubstock

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Totalitäre Staaten lieben großzügige Aktionen, Gewaltstreiche, Roßkuren. Für einen Staat vollends wie die Tschechoslowakei, der ein Viertel seiner Einwohner einfach über die Grenzen des Landes abschob, ist es natürlich auch kein Problem, ein Zehntel seiner öffentlichen Bediensteten innerhalb einiger Wochen in Industrie und Bergbau zu überstellen.

Die Ausgangssituation ist auch für andere Staaten nichts Neues. Uber einen aufgeblähten Verwaltungsapparat, über Überfluß an Beamten klagen auch andere Länder. Auch in der Tschechoslowakei war man sich schon seit Jahren darüber im klaren, daß „etwas geschehen“ müsse, hatte sich doch die Zahl der Staatsbeamten und -angestellten in diesem Land gegenüber dem Vorkriegsstand im Verhältnis zur Einwohnerzahl verdoppelt!

Als auf der Junitagung des Zentralaktionskomitees der KPC der Beschluß gefaßt wurde, 77.500 Arbeitskräfte aus dem Verwaltungssektor in die Produktion zu überführen, war man sich selbstverständlich auf beiden Seiten — auf Seiten der betroffenen Beamten wie auf Seiten der zur Durchführung dieser Auskämmaktion ins Leben gerufenen Regierungskommission — darüber im klaren, daß die bisher eingeschlagenen Maßnahmen, etwa das Gesetz über die Mobilisierung der Arbeitskräfte, zur Bewältigung dieser Aufgabe nicht ausreichen und daß neben der Anwendung von Zwang und Gewalt auch gewisse Anreize geboten werden und schließlich alle Register der Propaganda gezogen werden müßten, um die Aktion bis Jahresende durchführen und die hundertprozentige Erfüllung des Plansolls melden zu können.

Man gibt heute in Prag offiziell zu, daß die bisher veröffentlichten Statistiken über die zwanzigprozentige Leistungssteigerung der Arbeiter eine „Zusammenstellung falscher Zahlen“ gewesen sei, da die erhöhte Produktivität von den noch weit mehr erhöhten Lohnkosten der Administrative verschlungen wurden.

Die Propaganda arbeitet in erster Linie mit der Veröffentlichung von Briefen bereits Umgeschulter; nach ihnen fühlen sich die Versetzten als Bergleute oder Industriearbeiter weit wohler, verdienen um 50 Prozent mehr, erhielten Wohnungen mit Zentralheizungen in Neubauten zugewiesen und so fort... „Als pflichtbewußtes Parteimitglied werde ich eine Verbesserung der Fördermethoden im Bergbau versuchen“, schreibt ein ehemaliger Beamter des Arbeitsministeriums, der eben erst die Arbeit im Bergwerk aufgenommen hat. „Ich habe erkannt, daß die geförderte Kohle ein ungeheurer Schutzwall gegen den Kapitalismus und den Krieg darstellt, der Beruf des Bergmanns ist wirklich die richtige Arbeit für einen Mann, der möglichst viel für die Republik leisten will“, schreibt der ehemalige Beamte eines Kreisnationalausschusses ...

Als Vorteil winkt den umgeschulten Kräften, sofern sie bis zum 30. September freiwillig einen Posten in der Produktion antreten, eine einmalige finanzielle Zuwendung für die Anschaffung von Arbeitskleidung sowie eine Abfindung in der Höhe von drei Monatsgehältern. Darüber hinaus wird allen, die sich als Bergleute für ein Jahr in das Ostrau-Karwiner Revier verpflichten, ein Lohnausgleich in der Höhe der Differenz zwischen dem bisherigen Gehalt und dem jetzigen Einkommen gewährt, sie erhalten ferner eine Trennungszulage, Deputatkohle, die Bergarbeiterzusatzkarte zur Lebensmittelkarte, verbilligte Verpflegung an ihrer Arbeitsstelle, verbilligte, in gewissen Fällen freie Fahrt zwischen ihrem Wohn- und dem neuen Arbeitsort und schließlich die schriftliche Garantie, daß sie nach einjähriger Tätigkeit im Bergbau an ihrem bisherigen

“Wohnort einen Arbeitsposten in der Metallindustrie zugewiesen erhalten.

Die bisherigen „Erfolgsmeldungen“ sehen freilich noch bescheiden aus: abgesehen vom Verwaltungsgericht, das hartnäckig „Fehlanzeige“ meldet, weist auch das von Minister Nejedl^ geleitete Unterrichtsministerium mit einem Drittelprozent des Solls einen beachtlichen Mißerfolg auf. Leichter hat es das Außenministerium: die jüngsten Gerüchte von der Überstellung zahlreicher Diplomaten in die Bergwerke scheint ihre Bestätigung darin zu finden, daß dieses Ministerium bereits in den ersten Tagen der Aktion zehn Prozent seines Solls erfüllt hatte. An der Spitze steht natürlich die Kanzlei des Staatspräsidenten mit drei-unddreißig Prozent!

Trotzdem kann natürlich keine Rede davon sein, daß die Aktion reibungslos vor sich geht. Da werden kinderreiche Mütter oder alte, unmittelbar vor der Pensionierung stehende Beamte der Industrie zur Verfügung gestellt, mit Vorliebe kränkliche oder aus anderen Gründen in der Verwaltung minder brauchbare Personen. Die Fabriken und Schächte wiederum lehnen trotz größten Personenmangels vielfach die Aufnahme der zugewiesenen Kräfte als unbrauchbar ab. Und immer wieder werden Fälle bekannt, in denen der Entlassene in Wirklichkeit nur aus einer Kanzlei in die andere wandert, aus 6einem bisherigen Amtsraum in ein Fabrikbüro.

Man hat es deshalb überhaupt verboten, daß sich ein Beamter seinen künftigen Arbeitsplatz selbst aussucht; die Zuweisung erfolgt ausschließlich durch die Arbeitsämter, und den Betrieben ist jede direkte Fühlungnahme mit den einzelnen Bewerbern untersagt.

Aber es gibt auch den grotesken Fall, daß einer Dienststelle die Abgabe von 16 Arbeitskräften an einen Betrieb vorgeschrieben wird, der insgesamt nur über neun verfügt — ein Fall, der sich in Bud-weis ereignete!

Freilich wäre die Reduzierung des aufgeblähten Beamtenkörpers gerade in der Tschechoslowakei recht leicht zu lösen, befinden sich doch unter den rund 100.000 Beamten und Angestellten, die seit 1945 in den Staatsdienst aufgenommen wurden, allein 30.000 gelernte Maurer und Betonarbeiter und weitere Tausende mit anderer handwerklicher Vorbildung. Aber gerade bei diesen handelt es sich ja um jene verläßlichen kommunistischen Elemente, mit denen man die „Volksverwaltung“ aufgebaut hat und die man heute keineswegs der produktiven Arbeit zurückzugeben gewillt ist.

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