Soldat Krieg - © Foto: Pixabay

Vom Söldnerhaufen zur modernen Truppe

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Derzeit sind sie im Balkan-Krieg im Einsatz: die Berufssoldaten der Fremdenlegion, die seit fast 170 Jahren für Frankreichs "Glanz und Gloria" kämpfen und bluten. Viele sehen diese multinationale Truppe auch als Vorbild für eine künftige Europa-Armee.

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Derzeit sind sie im Balkan-Krieg im Einsatz: die Berufssoldaten der Fremdenlegion, die seit fast 170 Jahren für Frankreichs "Glanz und Gloria" kämpfen und bluten. Viele sehen diese multinationale Truppe auch als Vorbild für eine künftige Europa-Armee.

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In der Nacht drangen die Fellagas in das Dorf ein. Die Menschen schliefen, doch die Tiere wurden unruhig. Es ging alles ganz schnell. Da und dort ein Schrei, ein Röcheln. Als am nächsten Tag die Armee eintraf, lagen überall Männer, Frauen und Kinder mit durchschnittenen Kehlen. Die Soldaten rutschten in den Blutlachen aus. Sie fanden keinen Überlebenden." Keine der zahlreichen Horrormeldungen aus dem Algerien von heute, sondern einer von vielen Berichten, die vor 40 Jahren täglich die Nachrichten-Agenturen erreichten.

Damals schien der siebenjährige Kampf der Algerischen Befreiungsfront seinen Höhepunkt zu erreichen. Gefürchteter Gegner der Freiheitskämpfer war die Fremdenlegion. Beide Seiten mordeten mit unerhörter Grausamkeit. Für die Legionäre hatte der Kampf um Nordafrika schon Tradition. Die Fremdenlegion wurde bereits 1831 gegründet, als Frankreichs "Bürgerkönig" Louis Philippe Ausländer anwerben ließ, um den unpopulären Krieg gegen den legendären Berberfürsten Abd el Kader zu führen. Abgerüstete Soldaten aus allen Armeen Europas meldeten sich ebenso wie zwielichtige Halunken.

Die roten Reiter Abd el Kaders führten einen erbarmungslosen "heiligen Krieg" gegen die vordringenden Franzosen, deren Ziel die Eroberung des Maghreb war. Doch die Fremdenlegionäre lehrten sie das Fürchten. Auch Tiroler waren dabei. Sie wurden im Atlasgebirge bei Erkundigungs-Patrouillen eingesetzt, weil sie mit den Rücken der Bergwelt vertraut waren. Im Kampf um Marokko, Algerien und Tunesien starben Tausende Fremdenlegionäre für die französische Trikolore.

"Todfeind" Alkohol Es war deshalb kein Zufall, daß das Hauptquartier der Legion in Algerien entstand. In Sidi bel Abbes wurde eine Kasernenstadt erbaut, in der 3.000 Legionäre Unterkunft fanden. In ihrer Freizeit trafen sich die Soldaten in Konditoreien, wo "Kuchen deutscher Art" angeboten wurde, noch viel häufiger aber in Bierstuben und Weinlokalen. Getreu nach dem populären Slogan: Der Alkohol ist unser Todfeind, doch Legionäre fürchten den Tod nicht! Wie Mücken zum Licht strömten Prostituierte aller Hautfarben in die Garnisonsstadt. "Wein und Weiber" suchten die Legionäre nach den harten und blutigen Einsätzen gegen die stets unruhigen Berber und Araber.

Wer nicht parierte, kam in das berüchtigte Straflager Colomb Bechar nach Süd-Algerien. Bestialische Strafen und härteste Arbeit von vier Uhr früh bis 22 Uhr gehörten dort zur Tagesordnung. Besonders widerspenstige Legionäre landeten in Dunkelzellen oder wurden bei 50 bis 60 Grad Hitze durch die Wüste gejagt. Erst 1962, als die Legion aus Algerien abzog, wurde dieser "Vorhof zur Hölle" gesprengt.

Nach dem erfolglosen Putsch gegen Charles de Gaulle, an dem Legionäre 1961 maßgeblich beteiligt waren, sollte die Fremdenlegion aufgelöst werden. Auch schien es, als könne die Legion das Trauma des verlorenen Kampfes um Algerien nicht verkraften. Doch es kam anders. 1965 wurde das Hauptquartier der Legion von Sidi bel Abbes nach Aubagne in der Nähe von Marseille verlegt.

Amazonen-Schlacht Über dem schmiedeeisernen Tor zum Eingang in die Vienot-Kaserne (benannt nach einem Oberst der Legion, der im Krim-Krieg fiel) steht in großen Lettern der Wahlspruch der Legion: LEGIO PATRIA NOSTRA (Die Legion ist unser Vaterland). Am Ende des "heiligen Weges" erhebt sich ein Denkmal aus Erz mit der Weltkugel und vier Legionärsfiguren. Es wurde von Sidi bel Abbes nach Aubagne gebracht und symbolisiert den weltweiten Einsatz der Legion seit 1831. 600.000 Männer dienten seit der Gründung in der Legion, mehr als 35.000 starben für Frankreichs "Glanz und Gloria". Allein auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs fielen 9.000 Legionäre. Im Indochinakrieg starben mehr als 10.000.

Im halbdunklen Ehrensaal des Museums erkennt man die Porträts aller Kommandeure der Legion und Tafeln, auf denen die Namen von 900 gefallenen Offizieren stehen. Unser Führer hat die Daten aller Schlachten im Kopf, bei denen Legionäre kämpften und starben. Angefangen vom Kampf gegen Abd el Kader bis zu den jüngsten Einsätzen im Golfkrieg und in Bosnien: "Die Legion kämpfte auf vier Kontinenten in über 40 Ländern, 300 Schlachten und über 700 größeren Gefechten."

Der wohl bizarrste Einsatz führte die Legion in das westafrikanische Dahomey (heute Benin). 1893 regierte dort König Behanzin, dessen Leibgarde eine fanatische Amazonen-Armee war. Nach wochenlangen Märschen durch malariaverseuchte Sümpfe und Urwälder kam es zum Kampf mit den Amazonen, die sich, angeführt von Medizinmännern, mit blanken Schwertern auf die Legionäre stürzten. Reihe um Reihe starben die unter Drogen stehenden Kriegerinnen im Kugelhagel der Legionäre. Der König wurde schließlich von den Franzosen ins Exil auf die Karibikinsel Martinique gebracht.

In einem Schrein des Museums von Aubagne wird eine Holzhand wie eine Reliquie verehrt: Die Prothese des Capitains Danjou, der während des Mexiko-Abenteuers der Franzosen den Tod fand. Napoleon III. hatte damals den österreichischen Erzherzog Maximilian dazu überredet, sich als Kaiser von Mexiko krönen zu lassen. Beim Einsatz der Fremdenlegion verteidigte eine Kolonne am 30. April 1863 die Hazienda von Camerone gegen eine überwältigende Übermacht von Soldaten des mexikanischen Generals Benito Juarez. Nur vier Legionäre überlebten den Kampf, der 21 Stunden dauerte. Seither wird von der Legion am 30. April der "Camerone-Tag" zelebriert. Der Kasernenhof verwandelt sich dann in eine bombastische Bühne, auf der das Drama von Camerone in "lebenden Bildern" dargestellt wird. Übrigens: Am 30. April 1945 feierte die 13. Halbbrigade der Fremdenlegion ihren Camerone-Tag und den Sieg über Hitler-Deutschland in Bregenz.

Mit besonderem Stolz wird berichtet, daß in der Legion ein späterer König (Karageorgewitsch, der 1921 König der Serben, Kroaten und Slowenen wurde), ferner ein französischer Staatspräsident, ein Premierminister, Prinzen aus Preußen, Dänemark und Georgien, sowie zahlreiche andere prominente Persönlichkeiten dienten, darunter der spätere sowjetische Kriegsminister Marschall Malinowski. Auch Wissenschaftler, Journalisten und Künstler waren Legionäre. So der berühmte Schriftsteller Ernst Jünger, der mit 18 in die Legion eintrat, weil er Afrika kennenlernen wollte. Damals war es eben nicht so einfach wie heute, beim Reisebüro um die Ecke eine Tour nach Afrika oder Asien zu buchen. Bei den meisten Menschen blieb der Wunsch, fremde Länder und Völker kennenzulernen, ein unerfüllbarer Lebenstraum. Deshalb folgten viele junge Menschen den Versprechungen der Fremdenlegion, die Abenteuer in "geheimnisvollen fernen Ländern" offerierte.

Fan Freddy Quinn Andere meldeten sich aus politischen Gründen zur Legion. So der bekannte Romanschriftsteller Hans Habe, der - ebenso wie der spätere Porzellanfabrikant Philipp Rosenthal - im September 1939 in die Fremdenlegion eintrat, um am "Kreuzzug gegen Hitler" teilzunehmen. Er geriet allerdings in deutsche Gefangenschaft, konnte jedoch seine Identität verbergen. Der deutsche Unteroffizier Walter Mechtel verhalf ihm zur Flucht. Nach dem Krieg kam der Ex-Legionär Habe als Major der US-Armee zurück nach Deutschland. Sein Retter Walter Mechtel starb 1968 im Kugelhagel des damals vom KGB geleiteten ägyptischen Geheimdienstes im Jemen, wo er als ARD-Korrespondent tätig war.

Der berühmte amerikanische Komponist und Texter Cole Porter ("Kiss me Kate") kämpfte im Ersten Weltkrieg als Legionär bei Verdun. In Nordafrika, wo er lange stationiert war, holte er abends oft seine Gitarre hervor und machte mit seinen schönen Melodien selbst den deprimiertesten Legionär wieder froh. In den Jahren zwischen 1958 und 1960 gab der populäre Sänger Freddy Quinn immer wieder Konzerte in den Camps der Legion. Allein bei seinem Auftritt in Sidi bel Abbes begeisterte er 1.800 Legionäre, die ihn zu 19 Zugaben zwangen. In einem Interview bekannte er, daß er schon immer ein Fan der Legion war.

Das Legionärsleben kannte jedoch nicht nur Drill, Kampf und Tod. "In der Legion wurde mehr gearbeitet als gekämpft", hört man immer wieder. In Nordafrika bauten die Legionäre Straßen, Brunnen, Krankenhäuser und natürlich Kasernen. In Dschibuti, am Horn Afrikas, wo immer noch Legionäre stationiert sind, wurden Militärstraßen bis an die Grenze von Äthiopien und Somalia angelegt. Wer heute als Tourist in Vietnam über die Rue Coloniale Nr. 4 von Hanoi zur chinesischen Grenze fährt, denkt kaum daran, daß diese Straße mit dem Schweiß vorwiegend deutscher Legionäre errichtet wurde. Dabei war der Sold relativ bescheiden.

Deshalb lehnt die Legion auch den Vorwurf, eine Söldnertruppe zu sein, vehement ab. Nicht die Entlohnung sei maßgeblich für den Eintritt in die Legion, sondern viele andere Gründe: Abenteuerlust, Flucht vor der Vergangenheit, Hoffnung auf einen besseren neuen Lebensabschnitt und vielleicht sogar eine militärische Karriere. Bewerber werden genau überprüft: Nicht nur ihre körperliche und psychische Verfassung, sondern auch ihr Vorleben. Im Zweifelsfall werden der französische Geheimdienst, auch Interpol, eingeschaltet. Wer will, kann einen neuen Namen annehmen. Jeder vierte macht davon Gebrauch, neue Papiere und eine neue Identität zu erhalten.

KGB- & SS-Kämpfer An Bewerbern ist kein Mangel. Alljährlich melden sich Tausende junge Männer bei den 15 Anwerbestellen. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks kam jeder zweite aus Osteuropa. Darunter auch Leute, die im KGB, bei der Stasi oder Securitate tätig waren. Das stört die Legion ebensowenig, wie vor dem Zweiten Weltkrieg Spanienkämpfer gegen Franco und nach 1945 SS-Leute aufgenommen wurden.

Hatte die Legion im Indochinakrieg noch 36.000 Mann, in Algerien 20.000, so ist sie heute nur mehr rund 8.500 Mann stark. Über 100 Nationen sind in der multinationalen Truppe vertreten. Auch Japaner, Inder und Afrikaner. Nach einer beinharten, viermonatigen Grundausbildung bietet ein Fünfjahresvertrag Karrieremöglichkeiten in siebzig militärischen Laufbahnen. Lebenslange Legionäre werden im Altersheim von Puyloubier (Südfrankreich) versorgt. Dort wächst auch der Wein, der überall, wo Legionäre dienen, getrunken wird.

Den Fremdenlegionär vergangener Zeiten, der mit schwerem Gepäck bei 50 und 60 Grad Hitze durch die Wüste stapft, gibt es heute nicht mehr. Die Legion wurde mit modernsten Waffen, mit Panzern, Artillerie und Militär-Technologie ausgerüstet. Zum Ausbildungsprogramm gehören nicht nur der Wüstenkrieg, sondern amphibisches Inselhüpfen, Fallschirmabsprünge, Überlebenstraining im Dschungel, Froschmänner-Einsatz und Hochgebirgsübungen. Geübt wird in Südfrankreich, auf Korsika, in Dschibuti, auf den Komoren und in Französisch-Guayana, wo Legionäre auch das Raumfahrtzentrum Kourou bewachen. Auch Anti-Terror-Kommandos stehen bereit.

Als mobile Interventionstruppe ist die Fremdenlegion innerhalb von 24 Stunden in jedem Teil der Welt einsatzfähig. Da sich die Zahl der Regional- und Lokalkonflikte seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges enorm erhöht hat, hat die Bedeutung der Fremdenlegion als hochspezialisierte Eingreiftruppe stark zugenommen. Eines ist sicher: Die Legion 2000 ist für Frankreich unersetzlich geworden. Es gibt schon Stimmen, die sie als Vorbild für eine europäische Interventionstruppe betrachten, die angesichts der wachsenden Spannung in vielen Teilen der Welt schon bald Realität sein wird.

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