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Vom „Zentrum“ zum Außenseiter

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In der deutschen Parteipolitik hat sich nach 1945 nur ein einziges neues Phänomen gegenüber der Zeit vor 1933 gezeigt: Die Koordination der bekennenden Christen im politischen Raum, begonnen vor allem mit der Bildung der CDU am 18. Juni 1945 im Kölner Kolpinghaus. Die Gedanken der Una sancta, die heroischen Bemühungen, das Gemeinsame in den christlichen Bekenntnissen herauszustellen, erhielten durch die Gründung der CDU eine nachhaltige Unterstützung von der Politik her.

Durch die Errichtung der CDU (in Bayern: CSU) wurde, das sollte nicht vergessen werden, nicht allein an alte Forderungen des ehemaligen Reichskanzlers Brüning und des Führers der christlichen Gewerkschaften, Stegerwald, an- geknüpft, sondern auch an den Tatbestand, daß bei Gründung des alten Zentrums beide Konfessionen Pate gestanden hatten. Von drei Mitgliedern des' Proponentenkomitees des alten Zentrums waren zwei Protestanten gewesen.

In den letzten Jahren zeigt sich aber in1 der Bundesrepublik ein wachsender Widerspruch gegen das Wagnis gesamtchristlicher Aktionen im Bereich der Politik.

Es waren vor allem Evangelische, Anhänger eines „integralen“ Protestantismus, die aus einem antirömischen Affekt heraus einen politischen Protestantismus jenseits der Parteien ins Leben riefen, der es sich angelegen sein ließ, in jeder in der Oeffentlichkeit merkbaren katholischen Geste eine „papistische“ Bedrohung zu , sehen. Aus der Rom-Angst vieler Evangelischen entstand teilweise eine anfänglich gar nicht bewußte Linksneigung. So kam es, daß nicht wenige Protestanten in der CDU die Materialisierung des Bösen sahen. Neben den Linksneigungen Evangelischer bemerkte man dagegen so gut wie keinen Versuch auf evangelischer Seite, eine eigene Partei, wie in den Niederlanden, zu errichten. Der einzige Versuch, der „Evangelische Volksdienst“ in Hessen, führte zu keinem Ergebnis.

Aber auch auf katholischer Seite war die interkonfessionelle CDU ein „Aergernis“. Zum Widerstand gegen eine Rezeption von Evangelischen in einer Partei, in der man auf katholischer Seite anfänglich die lineare Fortsetzung der bei ihrer Liquidation so gut wie ausschließlich katholischen Zentrumspartei sah, gesellte sich auch ein Unbehagen jener Katholiken, deren Denken von einer republikanischen Gesinnung der Art bestimmt war, wie sie sonst als „Linkskatholizismus“ bezeichnet wird.

Während also die gegen die CDU/CSU eingestellten bekennenden Protestanten von einer Parteigründung Abstand nahmen, wurde am 15. Juli 1945 in Lippstadt von Katholiken eine Partei errichtet, die sich Zentrum nannte und sich in Soest am 14. Oktober 1945 („Soester Programm“ des alten Zentrums) endgültig konstituierte. Nun ist es notwendig, festzustellen, daß das Zentrum II keinesfalls als eine Nachfolgepartei des Zentrums I bezeichnet werden kann, weil es, unter wesentlich anderen politischen, sozialen und religiös-kirchlichen Bedingungen errichtet, notwendig ein Reflex der besonderen Verhältnisse der Gründungstage sein mußte, ganz abgesehen davon, daß das neue Zentrum im Prinzip gegen eine unbestritten christliche Partei (und nur gegen diese) konstituiert worden war. Die neue Partei vermied es zudem, sich offiziell als katholisch zu bezeichnen und erklärte, nicht „konfessionell“ zu sein, ein Umstand, der allein schon die Sinnlosigkeit der Gründung offensichtlich machte. Dafür aber war das Zentrum II betont „republikanisch“ und war bemüht, links von der CDU eingereiht zu werden. %

Das Zentrum I aber war gegen den Versuch errichtet worden, die Kirchen, vorab die katholische, aus dem gesellschaftlichen Raum in die Isolierung einer Zeremonien- und Kultkirche abzudrängen. Seine Geschichte verläuft daher auf weiten Strecken gleichförmig zu der in einer uns heute kaum faßbaren, schwierigen Ausgangsstellung begonnenen Renaissance der katholischen Kirche im gesellschaftlichen Raum.

Wenn man will, kann man, den faktischen Ursprung des alten Zentrums verfolgend, diesen im „Literarischen Verein zur Aufrechterhaltung, Verteidigung und Auslegung der römisch-katholischen Religion“ (gegründet 1814) sehen. Die Gründung der Zeitschrift „Der Katholik“ (1821) ist im Zusammenhang ebenso zu erwähnen wie die Bildung des „Piusvereines für religiöse Freiheit“ (1848) und der katholischen Wahlkomitees. Erste politische Gruppierungen waren die „Partei der Patrioten“ in Baden und die „Katholische Volkspartei“ (1864).

Schließlich kam es dann 1870 zur Errichtung des Zentrums, das, wie oben erwähnt, auch von Evangelischen miterrichtet wurde, aber offensichtlich von solchen, die dem Katholizismus (als Konservative) nahestanden. Während diese Protestanten im Zentrum waren, obwohl sie der evangelischen Kirche angehörten, sind die Protestanten in der CDU dabei, weil sie gläubige Protestanten sind, wobei sie in keiner Weise das Bewußtsein ihres Andersseins als evangelische Christen verleugnen. Es ist doch bezeichnend, daß die evangelischen Angehörigen der CDU, gerade zur Wahrung ihrer Eigenart, eine eigene Arbeitsgemeinschaft haben, während die Katholiken auf die Bildung einer solchen Sondergemeinschaft verzichtet haben.

Jedenfalls steht heute fest, daß es der CDU/CSU nicht gelungen ist, alle politisch engagierten Katholiken für sich zu gewinnen. Iii den Niederlanden dagegen war es bei den diesjährigen Wahlen der „Katholischen Volkspartei“ möglich gewesen, von insgesamt 36,86 Prozent wahlberechtigten Katholiken 31,69 Prozent zu bewegen, ihre Liste zu wählen.

Wer führt nun das Zentrum? Die Gründer waren Amelunxen, Brockmann, Reismann und Helene Wessel. Wie dies bei Kleinparteien, vor allem nach Wahlniederlagen, schon so ist, wechselte die Führung des Zentrums mehrfach. Anfänglich hatte der aus der englischen Emigration zurückgekehrte (inzwischen schon verstorbene) S p i e c k e r die Führung, der aus dem Zentrum eine Art Labour Party machen wollte. Später überlegte es sich Spiecker und versuchte, mit einer Gruppe zur CDU hinüberzuwechseln, weshalb er ausgeschlossen wurde. Nach Spiecker übernahm (der ebenfalls schon verstorbene) Stricker die Führung, dann Frau Helene Wessel, die später ganz nach links abschwenkte und ausschied. Schließlich stellte sich Schulrat Brockmann aus dem Kreis Münster an die Spitze der Partei (die er schon einmal kurz geleitet hatte). Brockmann ist auch heute noch Führer des Zentrums und sitzt derzeit als einziger Abgeordneter seiner Partei im Bundestag. (Der zweite 1953 auf der Zentrumsliste gewählte Bundestagsabgeordnete ist zur CDU übergetreten.) Brockmann ist ein alter Politiker und war schon als Abgeordneter im preußischen Landtag.

Welches politische Gewicht hat nun das Zentrum II? Von dem einen Bundestagsabgeordneten abgesehen, befinden sich noch im Landtag von Nordrhein-Westfalen neun Abgeordnete (zuerst waren es 20, dann 16). Im niedersächsischen Landtag hat das Zentrum einen Abgeordneten (bei 1,1 Prozent der Stimmen f).

Auf „Regierungsebene“ hat das Zentrum in der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen in Dr. Amelunxen einen Justizminister und erhielt außerdem noch einen Staatssekretär beim Kultusminister zugestanden.

Auch in der Bundesrepublik zeigt sich nun ein Trend zum Zweiparteiensystem. Das Zentrum hatte im Bundesgebiet 1953 nur 0,8 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten. Auch 1957 werden kaum mehr Wähler für das Zentrum votieren, trotz der schweren Fehler der CDU/CSU, für die der Wahlausgang 1953 insofern ein Unglück war, weil er ihr zuviel Macht gab, die sie nicht immer so zu nützen verstand, daß sie die Massen für sich zu gewinnen vermocht hätte. Wenn auch, sei es wegen des unglücklichen Wehrgesetzes oder wegen der keineswegs sehr schöpferischen Sozialpolitik, im nächsten Jahr, wie man in der Bundesrepublik glaubt, viele ehemalige CDU- (weniger CSU-) Wähler zu anderen Parteien abschwenken werden, zum Zentrum werden sie kaum gehen. Diese? hat nur die Kraft, dagegen zu sein, und hat sich eine Art künstlichen Mond gebaut, auf dem es für sich und die alten Herren, die nur noch der Erinnerung leben, Politik zu machen versucht. Auch eine Linksneigung, wenn sie nicht durch ein anziehendes sozialreformatorisches Programm dokumentiert ist, vermag die mit der großbürgerlichen Politik der CDU Unzufriedenen kaum anzulocken. Wo aber das Zentrum ganz eindeutig „linke“ Politik zu machen versucht hatte, sind die Mitglieder, konsequenter als ihre Führer, einfach gleich zur SPD gegangen, wie in Bremen.

Uebrigens ist es mit der Linksneigung des Zentrums nicht immer so weit her. Als die HJ-Führer der FDP in Düsseldorf putschten, gelang es ihnen auch, die Hilfe des Zentrums zu erhalten, das, weil gegen die CDU stehend (obwohl ohnedies in der Landesregierung), sich für eine Rechts-Links-Regierung des konfessionslosen Sozialisten Steinhoff entschied. Der Kampf des Zentrums ging in Norchhein-West-falen sogar so weit, daß es den Rücktritt eines hohen katholisch gesinnten Beamten im Kultusministerium erzwang, der durch einen Zentrumsmann ersetzt wurde.

Die ortlose Politik des Zentrums war für viele seiner Führer in den letzten Jahren Anlaß, sich einen Ort ihres politischen Handelns zu suchen.

Daher die Uebertritte von Zentrumsleuten zur CDU. Freilich hatte man schon 1949 versucht, und zwar aus der Führung des Zentrums heraus selbst, dieses zum Anschluß an die CDU zu bringen. Ein in dieser Sache eingebrachter Antrag wurde aber mit 239 gegen 26 Stimmen verworfen.

Weil nun seine Anhänger, soweit sie als Katholiken sich für das Zentrum ausgesprochen hatten, zu einem Teil erkennen, daß ihre Partei sich zu Unrecht den Charakter einer Traditionspartei zugelegt hatte, sind die Austritte aus dem Zentrum nicht unverständlich: Der Bundestagsabgeordnete Rössing ging zur CDU, die Zentrumspartei Bonn-Stadt und Bonn-Land löste sich einfach auf, die Mitglieder gingen zum überwiegenden Teil zur CDU. Gleiches tat die Zentrumspartei der Stadt Köln. Ebenfalls zur CDU ging der Vorsitzende der Letmather Zentrumspartei (dieser als Protest gegen das Verhalten des Zentrums beim Düsseldorfer „Putsch“).

1. Die föderalistische CVP-Saar (seinerzeit vom ehemaligen Ministerpräsidenten Johannes Hofmann geführt) war nicht bereit, sich gleichsam ohne jede Gegenleistung der Saar-CDU und damit der Bundes-CDU anzuschließen. Jedenfalls scheiterten die Einigungsverhandlungen. Beide Teile behaupten ihre völlige Schuldlosigkeit am Scheitern der Verhandlungen, jüngst erst wieder auf Seite der CDU der die Verhandlungen führende Staatssekretär Lenz. Dagegen gelang es der CVP, mit dem Zentrum zu einem Arrangement in der Art zu kommen, daß beide Parteien eine löse Koalition eingehen, die den Namen „CVP — deutsches Zentrum“ führen soll. Für beide Partner besteht bei einer solchen Koalition keine Notwendigkeit der Abgrenzung von Interessen, da es im Saargebiet keine Zentrumspartei gibt und anderseits — auf Grund ihrer Eigenart — die CVP nur im Saargebiet bestehen kann. Von sehr viel Nackensteife zeigt die Vereinbarung zwar nicht, da das Zentrum erst vor kurzem ganz eindeutig gegen die CVP, gegen die Saarautonomie und gegen das Saarstatut war.

2. Die zweite föderalistische Partei der Bundesrepublik ist die B a y e r n p a r t e i (B P). Wenn auch die jetzt in Opposition stehende CSU versucht, die BP auf ihre Seite zu bringen, wird ihr dies kaum gelingen, da die Gegensätze, die in Bayern besonders persönlicher Natur sind, derzeit nicht zu überbrücken sind (zumindest scheint es so, wenn man die gegenseitigen Reden liest). Die BP braucht (ebenso wie das Zentrum) mindestens 5 Prozent. der abgegebenen Stimmen, um im Bundestag vertreten sein zu können (die bekannte „5-Pro-zent-Klausel“, gerichtet gegen die Parteienzersplitterung). Daher will sie Wahlbündnisse eingehen. Zu diesem Zweck ist sie gesonnen, sich dem Meistbietenden zu verkaufen, gleichgültig, ob sie nun ein Bündnis mit der SPD, mit der FDP oder mit den „Preißen“ vom BHE eingehen muß.

Bei der BP kommt noch dazu, daß ihre Anhänger sie fast zu einem Viertel, wie Zwischenwahlen bewiesen haben, seit der letzten Wahl verlassen haben und zur CSU übergegangen sind. So trat aus Protest gegen Verhandlungen der BP mit der SPD die gesamte Fraktion der BP im Stadtrat von Passau (der Oberbürgermeister ausgenommen) aus. Ebenso verließen eine Reihe von kommunalen Amtsträgern in Alt-Bayern die BP, obwohl Alt-Bayern das Stammland der BP ist. Außerdem gehen auf kommunaler Ebene die Mandatare der BP weithin, entgegen den Weisungen der Münchner Zentrale, mit der CSU.

Nun schien es eine Zeitlang, als ob Absprachen zwischen BP und Zentrum zu einer Koalition führen würden, so daß nach einer Vereinigung von CVP, BP und dem, weil es eigentlich nur in Rheinland-Westfalen wirksamen Bestand hat, tatsächlich auch föderalistischen Zentrum, unter Einschluß der kleinen Gruppe der Deutsch-Hannoveraner, ein „f ö-deralis tischer Block“ entstanden wäre. Ob durch einen solchen Block ein belebendes Element in die heute erstarrte deutsche Innenpolitik kommen könnte, mag dahingestellt bleiben, wenn es auch erwünscht wäre, wenn die deutsche Innenpolitik aus ihrem Schema „I like Adenauer“ und „I do not like Adenauer“ heraus und zu anderen Fragestellungen finden würde, die eine Beseitigung des noch immer vorhandenen Führermythos (auch der Anti-Adenauer-Komplex ist ja ein auf den Kopf, gestellter verdeckter Führermythos) brächte. .

Wie immer schließlich das Zentrum sich „verehelicht“, es wird sich zu behaupten versuchen. Und das wird ihm auch, wenn freilich nicht in Form von Mandatsgewinnen, gelingen. Gibt es doch tatsächlich so etwas wie eine politische „Kränkung“ vieler Katholiken, insbesondere jener, welche die Sozialpolitik der Bundesregierung nicht billigen können. Die Massen denken nicht so sehr in außenpolitischen Kategorien, wie man bei der CDU meint, die zwar Wohlfahrt geschaffen hat (so daß die

Bundesrepublik weiterhin von einem Wirtschaftswunder bedroht ist, wie vor kurzem ein Journalist sagte), es aber versäumte, die Verteilung der neuen Güterfülle so vorzunehmen, daß sie von den Massen als einigermaßen gerecht anerkannt wird.

Trotz der sichtbaren Liquidation der Parteiorganisation (gerade wegen des Verhaltens der Führung) fährt diese fort, ihre Existenz nur aus ihrem Kampf gegen die CDU zu rechtfertigen und lediglich sich als Anti-CDU-Partei zu zeigen. Nicht aber eine Anti-CSU-Partei, weil es in Bayern kein Zentrum gibt (von einer Gruppe um den politisch sehr beweglichen Dichter Weismantel abgesehen) und auch früher nicht gegeben hatte.

Weil gegen die CSU gerichtet, ist das Zentrum auch bundesregierungsfeindlich. Es ist in der Begründung der Ablehnung der Politik des Kanzlers in keiner Weise von den anderen Oppositionsparteien unterschieden und unter anderem auch gegen die (freilich auch bei der CDU nicht populäre) Wehrpflicht (dies erklärte Brockmann ausdrücklich am 14. Juli 1956).

In den letzten Monaten aber seheint die Situation für das Zentrum als Ganzes sich zu wandeln. Erstens im Zusammenhang mit der Eingliederung der Saarparteien in die Bundes-parteipolitik und zweitens wegen des Wahlkampfes 1957, der, wie in den USA, die Innenpolitik schon ein Jahr vorher zu bestimmen scheint und Verschiebungen bringen kann, welche die ganze Struktur der deutschen Innen-und Außenpolitik wandeln können.

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