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Von der Aufgabe des Laienchristen

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Bei der Gründung der „Furche” bekannten wir als unser Programm, dem Frieden, der Gerechtigkeit und der Zusammenarbeit aller Gutwilligen für Volk und Staat und die großen Gemeinschaftsanliegen der Menschheit, ohne parteipolitische Gebundenheit, dienen zu wollen. In katholischem Grundsatzboden wurzelnd, wünschten wir, dieses Blatt auch der freien Aussprache denjenigen, die von verschiedenen Seiten herkommend, denselben letzten Zielen zustreben, öffnen zu dürfen. Diese Bereitschaft ist von Persönlichkeiten, die nicht nach ihrem politischen Bekenntnisse und auch nicht nach ihrer Weltanschauung zu unserer engeren Gemeinschaft gezählt werden konnten, wiederholt in Anspruch genommen worden. Wir empfanden das ehrende Vertrauen nicht minder, wenn wir gebeten wurden, bei solchen Beiträgen von einer öffentlichen Namensnennung der Autoren abzusehen, da noch nicht überall für solche Gespräche „über den Zaun” der Abbau von Vorurteilen weit genug fortgeschritten sei. Wo wir im andern Lager Verständnis und Achtung für fremde Überzeugung und christliche Gesinnung fanden, dort haben wir für hüben und drüben davon Akt genommen.

Heute veröffentlichen wir im folgenden den Aufsatz eines der jüngeren Generation angehörenden, im politischen Leben stehenden Sozialisten, Der Verfasser begleitete zwei Artikel mit einem Briefe an den Herausgeber der „Furche”, in dem er sagt:

„Mein Begingen mag etwas seltsam erscheinen in unserer zerspaltenen Zeit: Ich — ein Sozialist — sende Ihnen zwei Aufsätze, die dem Christentum dienen sollen. Dafür gibt es wohl nur zwei Erklärungen: Entweder geht die Zeit aus den Fugen oder sie ist im Begriffe, zu festeren Fugen zurückzufinden. Es war für mich keine einfache Sache, dies an Sie zu senden. Denn auch ich habe Vorurteile. Meine Handlungsweise ist entweder mit leidenschaftlichem Idealismus zu entschuldigen oder mit himmelschreiender Naivität.”

Die Antwort der „Furche” kann keine andere sein als die Veröffentlichung des nachstehenden Aufsatzes, der mit dem von seinem Autor gewählten Titel vorbehaltlos und unverändert in seiner ergreifenden männlichen Schönheit hier wiedergegeben sei.

Mit derselben Dankbarkeit wie wir werden viele Tausende diesen Zuruf empfinden.

‘ „Die Furche”

Eine österreichische Zeitschrift veröffentlichte vor einiger Zeit als Ergebnis einer Umfrage nach dem Gailup-System folgende Zahlen: Von einem Kreis befragter Personen erklärten sich:

4,4 Prozent für Teilnahme der Kirche an Parteipolitik,

32,1 Prozent für christliche Grundsätze im Staatsleben,

40,3 Prozent für Neutralität,

16,5 Prozent für freisinnige Ausschaltung der Kirche aus dem öffentlichen Leben, 6,7 Prozent waren ohne Meinung.

Gleich, ob man den Wert solcher Befragungen und ihre Genauigkeit anzweifelt oder nicht, man wird jedenfalls zugeben müssen, daß sie doch einen ungefähren Anhaltspunkt geben können, wenn sie es auch keinesfalls vermögen, die bewegliche Fülle des Lebens in starre Zahlenreihen zu bannen oder gar die Urgründe des Seins, Denkens und Fühlens so zu packen und festzuhalten, daß sie sich daraus wieder zu lebendigem Wesen ablesen lassen.

Aller dieser Einschränkungen eingedenk, sind die angeführten Zahlen dennoch erschütternd genug. Leider hat es ähnliche Volksbefragungen, die man zum Vergleich heranziehen könnte, in früheren Jahrhunderten nicht gegeben, aber der Kenner Österreichs wird nicht daran zweifeln, daß die Ergebnisse einer solchen Befragung noch im 19., gar erst im 18. oder 17. Jahrhundert erheblich anders ausgesehen hätten.

Jeder echte Christ wird sich mit Leidenschaft fragen, wieso und warum es zu einer solchen Entwicklung gekommen ist, die eine Summe von Erscheinungen enthält, über welche schon ganze Bibliotheken geschrieben worden sind. Wir wollen aber einmal nicht die Einflüsse studieren, die Indifferenz und Antiklerikalismus hervorgebracht haben, nicht die Spuren von Politik und Geistesgeschichte verfolgen, sondern uns in eben dieser Gegenwart und in uns selbst umschauen.

Auf der Suche nach Beispielen bin ich auf mich selbst verfallen und habe über meinen eigenen religiösen Lebensweg nachgedacht. Ich bin erst vor drei Jahren ein — wie ich glaube — lebendiger Christ geworden. Wenn ich die Zeit davor betradite, fällt mir auf, daß es seit meiner letzten Religionsstunde im Maturajahr niemals ein Mensch versucht hat, mich für das Christentum zu interessieren. Ich war weder Einsiedler noch Insaße einer nationalsozialistischen Ordensburg, ich habe vielmehr ein recht durchschnittliches Leben geführt, wie Millionen andere Menschen auch. Als Abiturient hatte ich Reisen, Mädchen und Berufspläne im Kopf, und ich glaube, daß ich mich darin höchstens nur um Nuancen von meinen Altersgenossen unterschied. Ich muß zugeben, daß ich damals vom Christentum sehr wenig begriffen hatte. In der Folgezeit verlor ich es ganz aus den Augen. Ich zimmerte mir so etwas wie eine Privatreligion zurecht, glaubte an die Natur und an einen Gott, der mir keine Unbequemlichkeiten verursachte, und fühlte mich im großen und ganzen recht wohl dabei. Im Krieg und KZ knüpfte ich zwar aus begreiflichen Gründen die Beziehungen zu meiner Gottheit etwas enger, aber sonst blieb alles beim alten.

Auf welche Weise ich dann im Sommer 1945 mit Christus in Kontakt kam, ist für diese Betrachtung nicht wesentlich, aber es ist geschehen. Nun betrachte ich die siebenundzwanzig Jahre davor als einen ungeheuren Verlust. Wie anders wäre mein Leben innerlich und äußerlich verlaufen, wenn meine Hinwendung zum Christentum schon früher erfolgt wäre! Wenn es in all den Jahren wenigstens einen einzigen Menschen auf meiner Lebensbahn gegeben hätte, der mir mit Christus an den Leib gerückt wäre!

Darum erhebe ich heute bittere Klage gegen alle jene, die mir befreundet und bekannt waren, sich Christen nannten und es vielfach auch mit bestem Wissen und Gewissen waren, und die es dennoch nicht fertig brachten, mit mir von’ihrem Glauben zu reden. Ich war weder ein wüster Abenteurer noch ein kalter, herzloser Spötter, der wohlmeinende Leute von vornherein abgeschreckt hätte, ich war nicht besser und nicht schlechter als alle anderen Menschen im Durchschnitt auch sind.

Diese Worte sind an die Leser der „Furche” gerichtet, wahrscheinlich an Menschen also, die sich dessen vollbewußt sind, was Gott und Religion in ihrem Leben ausmachen — nämlich alles, uwenn sie es ernstnehmen und die Gnade haben, es zu begreifen. Und nun frage ich: warum mußte ich die meiste Zeit meines bisherigen Lebens weglos wandern? Warum habe ich in all den Jahren niemals in eine Kirche hineingefunden? Warum war mir das Tor zum christlichen Glauben wie mit tausend unsichtbaren Balken verschlossen? In trage die Antwort seit langem in mir herum: weil der Großteil unserer Christen zu lässig, zu bequerti, zu faul ist! Weil der Großteil unserer Christen sidi den Kuckuck um das Seelenleben seines Nächsten was schert! Und well die meisten guten Christen zu scheu sind, ihr Glaubenserlebnis dem Mitmenschen zu entdecken!

Es ist nur allzu billig, der Kirche und den Priestern die Schuld in die Schuhe zu schieben. Priester können nicht mehr tun, als möglichst gut zu jenen zu predigen, die Gottes Wort hören wollen. Was aber geschieht mit jenen Menschen, die keine oder noch keine Beziehung zur Kirche haben? Was geschieht mit jenen, die das Christentum für eine langweilige Sache halten, weil sie es nicht kennen, die an der Kirche vorbei zum Tanzboden oder in die freie Natur laufen, die jedes christliche Buch beiseiteschieben, die das Radio abdrehen, wenn von der Kirche gesprochen wird, weil sie überzeugt sind, angeödet zu werden? Was geschieht mit den Millionen in- aller Welt, die katholisch oder protestantisch getauft sind, ohne eine Ahnung zu haben, was das Christentum wirklich ist?

Man kann nicht mit dem Lasso auf die Straße gehen, die modernen Herdenmenschen einfangen und zu Predigt und Gottesdienst zerren, man kann auch nicht in unseren Regionen mit Pfeifen und Zimbeln durch die Straßen ziehen und Reklame machen. Wo es um die innersten Dinge geht, wirken auch Wandzeitungen und Plakate, die nur von Gläubigen verstanden werden, absolut nicht auf jene, die vom wirklichen Christentum, vom wirklichen Leben in der Kirche nichts wissen.

Um zur Antwort zu kommen, will ich abermals nicht weit ausholen, sondern bescheiden im engsten Kreise bleiben und mir selbst den ersten Vorwurf machen. Ob ich gleidi nun schon eine Weile ein neues Leben, ein neues Glück und eine neue Fröhlichkeit in Christus gefunden habe — gnadenvoll und unverdient —, habe ich von diesem köstlichen Reichtum nur meinen engsten Freunden und meiner Familie berichtet. Ich sehe, daß ich keine Spur anders war, als jene viele Christen, die in all den früheren Jahren an mir vorbeigegangen sind. Diese Wurzel alles Übels aber gilt es auszurotten, und hier ist die Aufgabe der Laienchristen. Erwecken wir die Traditionen und Lehren zu lebendigem, ja munterem Leben, seien wir hellhörig für den Befehl, unser Christentum weiterzugeben, scheuen wir uns nicht, Uraltes in das Atomzeitalter zu übersetzen, Gott scheut es, in der Sonne des zwanzigsten Jahrhunderts ebensowenig genannt zu werden, wie im Tageslicht des ersten Jahrhunderts. Ein ehrliches Glaubenswort aus ehrlichem Herzen hat noch immer zu überzeugen vermocht. Gehen wir hin zu unserem Nachbar, wenn uns unsere Religion wirklich etwas bedeutet, und erzählen wir ihm von unserem Erlebnis. Ziehen wir aus mit Eifer, Takt und einfältiger Klugheit, es gibt viele, allzu viele, denen es so geht, wie es mir ergangen ist, daß ich aus tausend Gründen zum Worte Gbttes nicht gelangen konnte und der tausendhundertste Grund war die Lauheit meiner christlichen Nachbarn. Wo bliebe denn unsere Liebe, wenn wir von unserem Schatz nicht austeilen wollten? DieserSchatz hat die selstame Eigenschaft, daß er um so heller strahlt und um so mehr wird, je freigiebiger man ihn verschenkt.

Jeder von uns hat einige Freunde und einen mehr oder weniger großen Bekanntenkreis: hier ist das große Feld für kraftvolle, frische Taten! Zerbrechen wir die törichten Schranken zwischen Mensch und Mensch, öffnen wir die Herzenskammern und lassen wir den Glaubensstrom fließen! Das ist keineswegs einfach, aber es ist möglich, denn wenn-es nicht möglich wäre, dann wären die Apostel weiland die einzigen Christen geblieben. Turmhoch sind wir eingeschlossen von unserer rührenden Scheu, unser Glaubenserlebnis preiszugeben. Wie ungeschickt sind wir doch! Das Wort Gottes ist doch kein Nebelhauch, kein zerbrechliches Glasgespinst — es ist die Kraft aller Kräfte —, haben wir das etwa vergessen? Besinnen wir uns auf unser Eigentliches, ziehen wir aus und reden wir mit schlichter Zunge von dem, was uns im Innersten/ bewegt.

Denn also hat uns der Herr geboten: „Ich habe dich den Heiden zum Licht gesetzt, daß du das Heil seiest bis an das Ende der Welt!”

1 „Berichte und Informationen”, Heft “75.

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