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Von der Nilmündung zu den Mondbergen

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Noch ist der Widerhall der britischen Indienerklärung nicht verklungen und schon tritt ein anderes, für das Empire höchst bedeutungsvolles Problem in das Stadium der Entscheidung. Der ägyptische Premierminister Nokrashi-Pascha hat bekanntgegeben, daß er die britisch-ägyptischen Streitfragen dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unterbreiten werde. Ihr Brennpunkt ist der Anspruch Ägyptens auf den Sudan.

Als am 2. September 1899 General Kit-cheners anglo-ägyptische Streitmacht das in Kettenpanzern, wie in Kreuzfahrerzeiten, anreitende Mahdistenheer zersprengte — ein Schlachtenbild, das der damalige Leutnant Winston Churchill mit Meisterhand gezeichnet hat—, wurde nicht nur die Gewaltherrschaft eines fanatischen Despoten vernichtet. Die Schlacht bei Omdurman bedeutete auch gleichzeitig das Ende der fünfzehnjährigen Unabhängigkeit des Sudan, einer in Europa vergessenen staatsrechtlichen Epoche, deren Weiterentwicklung sich gerade jetzt äußert. An ihre Stelle trat das anglo-ägyptische Kondominium, das sich unter den praktischen Händen der Engländer für das Land bewährt hat. Mit großer Tatkraft gingen sie daran, das Land, dessen Bevölkerung von 8 Millionen auf 2 Millionen gefallen war, wieder aufzubauen. Vom Anfang an strebten sie, die eingeborene Bevölkerung schrittweise in die Verwaltung das Landes einzuschalten. Einige Jahre vor dem zweiten Weltkrieg waren 55 Prozent der unteren Beamtenstellen mit Sudanesen besetzt. Es gab 1500 Schulen für 30.000 Schüler, 1200 eingeborene Lehrer und Rechnungsbeamte. Im ganzen zählte man 3000 Sudanesen in Intelligenzberufen, die vom ersten Buchstaben an herangebildet worden waren, und das Gordon College in Khartum entläßt alljährlich weitere dreihundert Absolventen. Die Bevölkerung ist, nicht zuletzt dank energischer sanitärer Maßnahmen, auf sechseinhalb Millionen gestiegen, und die Doppelstadt Omdurman-Khartum ist ein modernes britisches Kolonialzentrum geworden.

Die sudanesische Intelligenz, leidenschaftlich national, wie die aller im Werden befindlichen oder eben fertig gewordenen Staaten, lehnt sich dagegen auf. daß Ägypten ihr das Selbstbestimmungsrecht bestreiten will, das es für sich selbst in Anspruch nimmt. Ägypten verlangt von England für sich die Oberhoheit über den Sudan, da dieser 1820 von Mohammed Ali. dem Stammvater des jetzigen Königshauses, erobert wurde und bis zum Mahdistenaufstand unter ägyptischer Verwaltung stand. England habe ihn auf Grund einer anglo-ägyp-tischen Vereinbarung im Jahre 1899 erobert und Ägyptens Mitrechte im Vertrage von 1936 anerkannt.

Diese Argumentation tat zumindest nicht vollständig. Die sudanesische Unabhängigkeitsbewegung (UMMA) weist darauf hin, daß Ägypten niemals kraft eigenen Rechtes im Sudan geherrscht habe. Mohammed Ali habe im Namen des Sultans das Land erobert und die türkische Fahne gehißt. Die dann folgenden sechzig Jahre ägyptischer Herrschaft seien eine Kette von Unterdrückungen gewesen und die Sudanesen stützen sich bei dieser Behauptung auf General Gordons schriftliches Zeugnis. Unter dem Mahdi erlangte — wie wir erwähnt haben — der Sudan die volle Unabhängigkeit, und die ägyptische Regierung erkannte die Räumung des Landes offiziell an. Das anglo-ägyptische Kondominium beruht, nach sudanesischer Auffasisung. der wir hier folgen, lediglich auf dem Rechte der Eroberung. Im Abkommen von 1899 wurde über die Souveränität im Sudan niches bestimmt, und auch in jenem von 1936 erscheinen England und Ägypten nur als Treuhänder, Streng juristisch gesprochen ist der Sudan nach dieser Auffassung noch türkisches Gebiet, das aber im Vertrage von Lausanne, wie Ägypten, seine volle Unabhängigkeit gewann, freilich ohne in ihren Genuß treten zu können. Lord Kitchener führte die Flagge des Sultans neben dem Union Jack und es ist eine wenig bekannte Tatsache, daß er bei seinem Zusammenstoß mit Oberst Marchand in Faschoda nicht die britische oder ägyptische, sondern — die türkische Flagge aufzog. Niemals hat England den Sudan als Kolonie oder als Teilstaat des Empire behandelt und Ägypten selbst hat vor dem gemischten Gerichtshof 1910 erklärt, „die sudanesische Regierung sei durch das Abkommen von 1899 als selbständige Regierung begründet worden, völlig getrennt und verschieden von der ägyptischen.“ Während im zweiten Weltkrieg die ägyptische Armee neutral blieb, hat die Sudan Defence Force die eindringenden Italiener zurückgeschlagen und an der Befreiung Abessiniens tatkräftig mitgewirkt. Die Sudanesen betrachten eine Unterordnung unter Ägypten als Zeichen zum Bürgerkrieg. Dagegen sind sie bereit, ihrem nördlichen Nachbarn — allenfalls unter internationaler Garantie — einen angemessenen Anteil am Nilwasser zu gewährleisten.

Damit wird eine Frage berührt, die angesichts ihres wirtschaftlichen Schwergewichtes, auch ohne die politischen Schatten, die auf sie durch die anglo-britischen Auseinandersetzungen fallen, ein gewaltiges Problem darstellt.

Ägypten ist der Nil — und so ist es in höchstem Maße von der planvollen Bewirtschaftung und Verteilung- des Nilwassers abhängig. Wohl sorgt ein zentraler britischer Verteilungsdienst für eine Ägypten wie dem Sudan gerecht werdende Aufteilung der durch den Nildamm von Assuan aufgespeicherten Mengen.

Während dadurch für eine einsichtsvolle Einteilung des Vorhandenen Vorsorge getroffen wird, ist, besonders für Ägypten, die Sorge um die Zukunft nicht gebannt. Seine Bevölkerung liegt um 18 Millionen und ist im steten, raschen Steigen begriffen. England hat in der sudanesischen Gezireh weite Gebiete in Bewässerung genommen und der Baumwollkultur zugeführt — die Entwicklung von Uganda könnte ebenfalls weitere Wassermengen absorbieren und so fürchtet Ägypten, die gemeinsame Decke könnte zu kurz werden, und seine Lage ist, da es als Hauptinteressent von den Quellen am weitesten entfernt ist, gewiß ungünstig. Im Nildelta können weitere eineinvierteJ Millionen Acres in Kultur genommen werden, wenn sich die nötigen, zusätzlichen Wassermengen sicherstellen ließen. Dias könnte aber — und so gewinnt das in Ägypten geprägte Wort von der Einheit des Niltales seine reale Bedeutung — nur durch Maßnahmen außerhalb das jetzigen ägyptischen Territoriums geschehen. Ob es sich um den Bau eines Staudammes am Ausfluß des Blauen Nik aus dem Tanga-See, um die Anstauung des halb in Uganda und halb in Belgisch-Kongo liegenden Albert-Sees handelt — Tatsache ist, daß, wenn die Baumwollfelder von Damiette Wasser brauchen, ferne Völker im Inneren Afrikas Bauten von pharao-nischen Ausmaßen aufrichten müssen.

Die ägyptische Regierung hat den Kampf mit Geschick geführt. Ausgehend von dem Verlangen nach eigener, voller Souveränität, hat sie zuerst die Räumung der Zitade'le von Kairo erreicht. Die britische Flotte hat Alexandrien, eine ihrer wichtigsten Basen im Mittelmeer, verlassen. Schließlich verlangte Ägypten die Anerkennung der Oberhoheit der Krone über den Sudan. England gestand sie zu, aber dieser Akt rief im Sudan so heftige Empörung hervor, daß der damalige, jüngst abberufene Gouverneur Sir Hubert Huddieston in einer Proklamation erklären mußte, dem Sudan werde das Recht, über seine Unabhängigkeit selbst zu bestimmen, nicht genommen werden. Da Premierminister Attlee diese Erklärung deckte, brach die ägyptische Regierung die Verhandlungen ab und lehnte auch das Anerbieten der syrischen Regierung, in diesem Streitfall zu vermitteln, ab. Sie hat sich nun entschieden, den Fall vor den Sicherheitsrat zu bringen. So besteht alle Aussicht, daß damit ein Konflikt in Frieden ausgetragen wird, der für das Empire wie für die Machtverhältnisse im Vorderen Orient und im afrikanischen Raum höchst bedeutungsvolle Auswirkungen haben dürfte. Das Groß-Ägypten, das sich darin abzeich-. net, könnte ein Kristallisationspunkt für alle arabisch-mohammedanischen Vöjker Afrikas werden.

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