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Von Renten, die „ruhen“

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Herr A., Sozialversicherungsrentner, 69 Jahre alt, lebt mit seiner 65jährigen Gattin von einer Monatsrente von 1049 S mehr schlecht als recht. So hält er nach einem Nebenerwerb Umschau und findet einen solchen als Theaterbilleteur mit einem Taglohn von 20.60 S. Ordnungsgemäß meldet er dieses Einkommen seiner Pensionsversicherungsanstalt und wird bald darauf mit einem Bescheid überrascht, der ihm mitteilt, daß ihm für die Dauer dieses Bezuges von seiner Rente monatlich 470 S stillgelegt werden. — Man greift sich an den Kopf, ja, ist denn so etwas möglich? Der Mann hat doch seine karge Rente durch die Prämieneinzahlungen eines ganzen Arbeitslebens erworben? Und weil sie nicht ausreichend ist und er nun als alter Mann noch gezwungen ist, einem Nebenverdienst nachzugehen, kürzt ihm der Versicherungsträger seine Rente?

,O ja, das gibt es: Der § 94'ASVG bėsagt nämlich, daß im Falle eines Zusammentreffens des ¥enfenänspruciies mit einem EihirommitTaus einer unselbständigen Erwerbstätigkeit der Grundbetrag der Rente mit jenem Betrag zu ruhen habe, um den das im Monat gebührende Entgelt aus dem Dienstverhältnis 500 S übersteigt, höchstens jedoch mit dem Betrag, um den die Summe aus Rente und Entgelt monatlich 1300 S übersteigt. — Das ASVG enthält aber auch noch weitere Ruhensbestimmungen, so wenn der Rentenanspruch mit einer Bundespension zusammentrifft, wobei dann der Grundbetrag der Rente um 239 S (bei Direktrenten) bzw. 147 S (bei Hinterbliebenenrenten) gekürzt wird (§ 93) oder wenn zur Pensionsversicherungsrente ein Rentenanspruch aus der Unfallversicherung hinzukommt (§ 92); dann ruht die Rente aus der Pensionsversicherung mit dem halben Betrag des niedrigeren der beiden Ansprüche, wodurch Altersrenten allerdings nicht betroffen werden. Begegnen sich schließlich zwei Rentenansprüche selbst, wie etwa eine Witwenrente nach dem Gatten mit einer selbst erworbenen Rente, so ruht der niedrigere Anspruch zur Hälfte (§ 91).

Ist der den Geheimnissen der Pensionsversicherung etwas ferner Stehende schon über diese Bestimmungen verwundert, so staunt er noch mehr, wenn er hört, daß im Gegensatz dazu, dem Rentner gar nichts abgezogen wird, wenn er in irgendeiner Form selbständig erwerbstätig ist. Da kann er ruhig monatlich einige Tausender verdienen, ohne daß er etwas zu befürchten hätte. Daß es hier zu einer Durchbrechung der Ruhensbestimmung kam, ist ein

Verdienst des Rentenbemessungsgesetzes von 1954 (§ 6 Abs. 2 Lit. a), das im Motivenbericht die richtige — und zweifellos auch für die anderen Ruhensfälle stichhaltige — Anschauung vertrat, daß die Kosten der hier für die Kontrolle erforderlichen Verwaltungsarbeit die durch sie erzielte Ersparnis glatt verschlinge.

Aber was ist hier eigentlich rechtens? Schon seit Jahren besteht da unter den Fachleuten der Sozialversicherung ein erbitterter Streit. Die einen erklären, die Rentenruhensbestimmungen seien nichts anderes als ein Eingriff in den individuellen Rechtsanspruch des Betroffenen und sprechen von Rechtsraub und Konfiskation. Die anderen wiederum behaupten, für die Sozialversicherung gelten keineswegs die Spielregeln der Privatversicherung, wo das Vertragsverhält- nis nicht ohne Zustimmung des Partners einseitig abgeändert werden könne, und weiter, daß eine Kumulierung von sozialen Renten- , einkūnftęp;junstatthaft sei und es ohne, , die Ruhensbestimjpungen ein soziales Zuviel geben.

Nun läßt sich in dieser Streitfrage sicherlich viel für und wider anführen, und es ist sicher, daß die Versicherungsträger schon aus Ersparnisgründen ihren Standpunkt hartnäckig verteidigen werden. Worüber man aber nur einer Meinung sein kann, ist, daß die Ruhensbestimmungen des ASVG dem durch unsere Bundesverfassung gewährleisteten Recht auf

Gleichheit aller Bundesbürger vor dem Gesetz (Art. 7 Abs. 1 B — VG) widersprechen. Denn das ASVG differenziert dabei zwischen solchen Personen, die nur einen Anspruch aus der Pensionsversicherung haben und solchen, die mehrere Ansprüche (allenfalls auch auf Entgelt aus einem Dienstverhältnis oder eine Bundespension) besitzen und weiter wiederum zwischen dieser Rentnergruppe und der, die neben der Rente noch einen Bezug aus einer selbständigen Erwerbstätigkeit hat. Diese dem. Gleichheitsgrundsatz widersprechenden Differenzen machen es notwendig, daß sich der Verfassungsgerichtshof, je eher, je besser, mit diesem Problem befaßt. Wenn dies noch nicht geschah, so deshalb, weil es bisher in dieser Frage keinen direkten Weg zu unserem höchsten Tribunal gab. Denn der mit einem Rentenruhensbescheid beteilte Rentner muß sich nach dem ASVG mit einer Klage an das Schiedsgericht für Sozialversicherung vyerideri, das Ihn selbstverständlich auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen abweisen muß. Damit ist der Rechtsweg aber auch schon beendet; eine Berufung an das Oberlandesgericht Wien läßt das ASVG in dieser Frage nicht zu und auch der Weg zum Verfassungsgerichtshof ist dem Rentner versperrt, weil dieser nach Art. 144 Absatz 1 B — VG nur über Beschwerden gegen Bescheide der Verwaltungsbehörden erkennen kann, keineswegs aber berufen ist, g e-

richtliche Urteile hinsichtlich ihrer Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Der Versuch einiger Rentner, gegen den Kürzungsbescheid unmittelbar den Verfassungsgerichtshof mit der Begründung anzurufen, der Versicherungsträger sei doch einer Verwaltungsbehörde gleichzusetzen, erwies sich als erfolglos. So wären also nach dem geltenden Recht lediglich die Landesbehörden nach Artikel 140 B — VG berechtigt, beim Verfassungsgerichtshof die Ueberprüfung der Ruhensbestimmungen des ASVG auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu beantragen. Dazu aber haben sich diese bis jetzt noch nicht bereit gefunden.

In einer unmittelbar vor den Nationalratswahlen in Wien stattgefundenen Versammlung eines Rentnerverbandes haben die Vertreter aller drei im Nationalrat aufscheinenden politischen Parteien die Zusicherung gegeben, auf eine Aufhebung der Ruhensbestimmungen, zumindest aber auf eine weitgehende Lockerung derselben hinzuarbeiten. Dabei wäre noch darauf hinzuweisen, daß die für Rente und Nebenverdienst im ASVG als noch zulässig festgelegte 1300- Schilling-Grenze heute durch die Lohn- und Preiserhöhungen längst überholt ist. Auch taucht die weitere Frage auf, ob es denn wirtschaftlich überhaupt vertretbar ist, in einer Zeit der Vollbeschäftigung den Rentnern das Arbeiten zu verbieten.

Die - gleich von Härten und Wider-- gebungswege angekündigt und im Sozialministerium liegt der Entwurf der fünften ASVG-No- velle veröffentlichungsbereit. Wir wollen hoffen, daß das leidige Rentenruhensproblem hier endlich eine vernünftige Bereinigung findet. Verfassungswidrige Gesetzesbestimmungen sind nämlich auf die Dauerunhaltbar.

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