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Von riariazell nach Wien

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Die Entwicklung der österreichischen Katholikentage seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts läßt sich in den Erinnerungen Friedrich Funders verfolgen. In diesen Katholikentagen spiegelte sich das Schicksal des alten Oesterreich wider: in seinen sozialen Forderungen, die gegenüber manchen auch heute noch vertretenen Programmen wahrhaft revolutionär wirken, das Elend und die Ausbeutung des Frühkapitalismus; in seinen Bemühungen um Wissenschaft und Presse, die geistige Zurückdrängung und die publizistische Inferiorität der Katholiken im liberalen Oesterreich, in seiner Aufsplitterung vom gesamtösterreichischen Katholikentag zum nationalen Katholikentag die kommende nationale Auflösung der Monarchie.

Auch für das Oesterreich nach 1918 sind die Katholikentage Mahnmale der Entwicklung, so der letzte vom Jahre 1933, der schon in seinem äußeren Ablauf den Stempel des österreichischen Dilemmas trug. Als gesamtdeutscher Katholikentag war er gedacht, stattgefunden hat er in einer Zeit des schwersten Abwehrkampfes Oesterreichs gegen das nationalsozialistische Deutschland. Mit seiner Proklamation der Ständestaatsidee, mit seinem paramilitärischen Gepränge leitete er eines der tragischesten Kapitel der österreichischen Geschichte ein. *

19 Jahre später, 14 Jahre nach dem gewaltsamen Auslöschen des Staates und des Namens Oesterreich, sieben Jahre nach der Wiedergeburt des Vaterlandes, fand 1952 der letzte gesamtösterreichische Katholikentag statt. Ihm war keine kleine Aufgabe gestellt. Er sollte das Fazit aus den bitteren Lehren der Geschichte ziehen, er sollte den Weg in die Zukunft abstecken. Er hat sich dieser Aufgabe mit einer Gewissenhaftigkeit unterzogen, die auch für die Zukunft vorbildlich war. Noch nie war ein Katholikentag auch im Geistigen so vorbereitet worden wie der Oesterreichische Katholikentag 1952. In einer eigenen Studientagung im Mai dieses Jahres hatten sich in Mariazell KathoIiken, Priester und Laien, Fachleute auf allen Gebieten zusammengefunden, um über all das zu beraten, was das katholische Volk bewegte, um Rückschau und Ausblick zu halten.

Das Ergebnis dieser Studientagung, das sogenannte Mariazeller Manifest, das in der offiziellen Publikation des Katholikentages Aufnahme fand, war mehr als eine Ad-hpc-Deklaration, sie stellt die Charta des österreichischen Katholizismus nach dem zweiten Weltkrieg dar. Sie ist in ihren wesentlichen Abschnitten auch heute noch als gültig und wegweisend anzusehen. Sie wurde bisher durch keine Erklärung von ähnlichem Gewicht ersetzt, sie wurde auch nicht durch die Entwicklung überholt, sondern durch die Entwicklung im wesentlichen bestätigt. Daß in den konkreten Forderungen des Mariazeller Manifestes manche enthalten sind, die bis heute Forderungen geblieben sind, beweist nur, daß sie von ihrer Aktualität nichts eingebüßt haben.

An die Spitze der Erklärungen stellt das Mariazeller Manifest ein Bekenntnis zur „freien Kirche in der freien Gesellschaft“. Die Notwendigkeit, die Kirche von den Bindungen der Vergangenheit freizuhalten, war das zentrale Erlebnis der österreichischen Katholiken nach 1945-: „Die Kirche ist auf sich selbst gestellt, und nur auf sich selbst“, heißt es im Mariazeller Manifest. Wovon die Kirche frei sein soll, das wird klar ausgesprochen:

„Jede geschichtliche Epoche hat ihre eigenen Notwendigkeiten und ihre eigenen Möglichkeiten. Heute aber hat die Kirche keinen Kaiser und keine Regierung, keine Partei und keine Klasse, keine Kanonen, aber auch kein Kapital hinter sich. Die Zeit von 1938 bis 1945 bildet hier eine unüberschreitbare Zäsur; die Brücken in die Vergangenheit sind abgebrochen, die Fundamente für die Brücken in die Zukunft werden heute gelegt. So geht die Kirche aus einem versinkenden Zeitalter einer Epoche neuer sozialer Entwicklung entgegen.“ '

Was hier allgemein proklamiert wird, wird im folgenden im einzelnen klar definiert. Es heißt im Mariazeller Manifest weiter:

„Eine fteie Kirche bedeutet daher:

Keine Rückkehr zum Staatskirchentum vergangener Jahrhunderte, das die Religion zu einer Art ideologischen Ueberbaus der staatsbürgerlichen Gesinnung degradierte, das Generationen von Priestern zu inaktiven Staatsbeamten erzog.

Keine Rückkehr zu einem Bündnis von Thron und Altar, das das Gewissen der Gläubigen ein-schläferte und sie blind machte für die Gefahren der inneren Aushöhlung.

Keine Rückkehr zum Protektorat einer Partei über die Kirche, das vielleicht* zeitbedingt notwendig war, aber Zehntausende der Kirche entfremdete.

Keine Rückkehr zu jenen gewaltsamen Versuchen, auf rein organisatorischer und staatsrechtlicher Basis christliche Grundsätze verwirklichen zu wollen.“

Das Mariazeller Manifest ist aber nicht im Negativen stehengeblieben. Die Ablehnung aller jener Experimente der Vergangenheit, die die Kirche politisch an die jeweilige Macht zu fixieren trachteten, ist verbunden mit einem Ausblick in die Zukunft, der uns eine neue Kirche, eine weite, offene und ungebundene Kirche zeigt. In der Mariazeller Deklaration heißt es weiter:

„Eine freie Kirche bedeutet aber nicht eine Kirche der Sakristei oder des katholischen Ghettos, eine freie, auf sich selbst gestellte Kirche heißt eine Kirche der weltoffenen Türen und ausgebreiteten Arme, bereit zur Zusammenarbeit mit allen, zur Zusammenarbeit mit dem Staat in allen Fragen, die gemeinsame Interessen berühren, also in Ehe, Familie. Erziehung; Zusammenarbeit mit allen Ständen, Klassen und Richtungen zur Durchsetzung des gemeinsamen Wohles, Zusammenarbeit mit allen Konfessionen auf der Grundlage des gemeinsamen Glaubens an den lebendigen Gott, Zusammenarbeit auch mit allen geistigen Strömungen, mit allen Menschen, wer immer sie seien und wo immer sie stehen, die gewillt sind, mit der Kirche für den wahren Humanismus, für .Freiheit und Würde des Menschen' zu kämpfen.“

In Mariazell wurde die „freie Kirche“, frei von den Bindungen der Vergangenheit und offen für alle Entwicklungen der Zukunft, gewiß nicht erfunden oder entdeckt, in Mariazell wurde nur das formuliert, was allgemeine Ueberzeugung war, gewonnen aus den bitteren Lehren einer zwanzigjährigen Vergangenheit. Diese Mariazeller Deklaration war aber auch ein Aufruf an alle Kräfte des Landes, daß hier eine neue katholische Generation bereit war, neue Wege zu gehen. Die innerösterreichische Entwicklung hat diesem Wollen einer neuen katholischen Generation recht gegeben. In dem Ausmaße, in dem die Kirche sich von den tagespolitischen und parteipolitischen Bindungen frei machte, in dem Maße konnten auch die politischen Kräfte des Landes nicht mehr in einer konfessionellen oder antikonfessionellen Fixierung verharren. Die Volkspartei als Nachfolgerin jener Christlichsozialen Partei der Ersten Republik, mit der die Kirche zu ihrem Vorteil einerseits und zu ihrem Schaden anderseits aufs engste verbunden war, hatte als erste diese Neubesinnung der Kirche respektiert. Sie hat sich bewußt nicht als eine katholische, auch nicht als eine christliche Partei schlechthin konstituiert, sondern als eine Partei, die, im wesentlichen wohl von Katholiken getragen, für sich das Recht in Anspruch nahm, auch nicht unbedeutende Bevölkerungsschichten zu vertreten, 1 die keinerlei religiöse oder kirchliche Bindungen für sich als ausschlaggebend anerkennen. Auf diesem Wege hat die Volkspartei ihre führende Stellung im Staate behalten. Daß sie nicht beabsichtigt, von dieser Stellung abzugehen, zeigt eine Aeußerung eines maßgebenden Mandatars, der in Krems die OeVP als den „unüberwindlichen Block der Katholiken, Protestanten, Liberalen und Freiheitlichen“ bezeichnet hat.

Am schwierigsten und langwierigsten vielleicht war die neue Entwicklung bei der Sozialistischen Partei. Die „Entideologisierung“, von der in den letzten Jahren so viel gesprochen wurde und die ja bei der Sozialistischen Partei einen Abbau ihrer antikirchlichen Fixierung und ihrer antireligiösen Tradition bedeutet, hatte begreiflicherweise dort mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen. Aber auch die Sozialistische Partei konnte auf die Dauer nicht mehr eine kämpferisch-ablehnende Haltung gegenüber einer Kirche einnehmen, die mit ihrer auch von den Sozialisten anerkannten Zurückhaltung in Fragen der Partei- und Tagespolitik jeden äußeren Vorwand zu dieser Kampfstellung genommen hatte. Das neue Programm der Sozialistischen Partei ist nur letzter äußerer Ausdruck einer Entwicklung, der sich die Partei nicht entziehen konnte und die im wesentlichen von der Entwicklung des Weges der Kirche in Oesterreich seit 1945, ja seit 1933 bestimmt war, einer Entwicklung, die im gesamtösterreichischen Katholikentag von 1952 mit seinem Mariazeller Manifest ihren klaren Ausdruck fand. Diese Entwicklung ist gewiß noch nicht abgeschlossen. So positiv das neue Programm der SPOe in dem Fehlen antireligiöser und antikirchlicher Punkte gegenüber dem früheren Programm zu werten ist, so negativ kann man gewiß auch das Fehlen eines ausdrücklichen Bekenntnisses zu Naturrecht, Religion und Kirche vermerken. Dies aber heute schon zu verlangen, hieße die Entwicklung überfordern.

Diese Entwicklung könnte man gewiß nicht fördern, indem man etwa — aus welchen Gründen immer — die Restauration einer überwundenen Vergangenheit versuchen würde und die österreichischen Katholiken je nach ihrer politischen Meinung in Schafe oder Böcke schiede, was gewiß — das sei ausdrücklich festgestellt — niemand in Oesterreich will. Diese Entwicklung kann aber sehr wohl gefördert werden, wenn man mit dem gegenüber der Vergangenheit besseren neuen Programm der Sozialisten ihre praktische Haltung konfrontiert, die oft, sehr oft, nicht nur unseren Vorstellungen, sondern auch dem eigenen Programm nicht entspricht. Diese kritische Haltung, die ja nicht nur gegenüber den Sozialisten angebracht ist, kann aber nur, soll sie nicht von vornherein parteipolitisch ausgewertet werden, von einer Kirche kommen, an deren grundsätzlich offenen Haltung nicht gezweifelt werden kann. Diese grundsätzlich offene, ungebundene Haltung hat der letzte Oesterreichische Katholikentag in seinem Mariazeller Manifest in klären Worten proklamiert. Das Leitwort des Wiener Katholikentages, „Ihr alle aber seid Brüder“, ist nur ein Ausdruck derselben.

Damit setzt der Wiener Katholikentag eine Entwicklung fort, die in ihren Ansätzen schon 1933 begonnen hat und die das Antlitz des österreichischen Katholizismus nach dem zweiten Weltkrieg entscheidend prägte. Diese Haltung hat der Kirche Achtung und Respekt bis in weite Kreise religiös fernstehender Menschen eingebracht, sie hat seelsorglich ein Neuland erschlossen und Tausende wieder zur Kirche zurückgeführt, die in ihr früher fälschlicherweise nur die Vertreterin gegnerischer, wirtschaftlicher und politischer Interessen sahen, und sie hat schließlich politisch durch ihre Haltung einen wesentlichen Beitrag zur inneren Konsolidierung und zum inneren Frieden in Oesterreich geleistet.

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