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Von Stifter zu Claudel

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Adalbert Stifters „Witiko". Eine Deutung. Von Franz Hüller. Verlag Stiasny, Graz 1953.’ 119 Seiten. Preis 60 S.

Diese Darstellung eines Berufenen (Hüller ist Mitarbeiter der von Sauer begründeten großen Prager Ausgabe der Werke Stifters) muß als die beste bezeichnet werden, die wir über den „Witiko" besitzen. Seit der ersten Auflage (Eger 1930) hat sich deutlich in der Welt erwiesen, was Sitte, was Gesetz, was Maß bedeuten. Gegenüber dem Erstdruck sind einige stilistische Aenderungen, ferner die Deutschschreibung tschechischer Eigennamen (Sobjeslaw für Sobeslaw, Petrzin statt Petrin) festzustellen sowie die Tilgung der geschichtlich zwar bedeutsamen Vorrede, die heute aber zu Fehldeutungen führen würde (damals hat das tschechoslowakische Ministerium für Schulwesen und Volksbildung dem Verfasser immerhin Ermäßigung seiner Lehrverpflichtung bewilligt, damit er seinen Stifter-Studien obliegen könne). Zu dem von Hüller erstmals 1930, später u. a. bei Fischer 1939 („Mappe") veröffentlichten, bis damals unbekannten Stifter-Bilde, das er aus dem Nachlasse von Josef Salaschek erhielt, sei vervollständigend nachgetragen: dieser wurde 1835 als Sohn des Revierförsters Josef S. in Diensten des Grafen Philipp Kinsky geboren; Vater Josef war 1830 in Tannenberg, 1831 in Rodowitz und von 1838 bis 1873 in Fall nau (bei Kamnitz). Mein Großonkel war, wie mein Großvater J. E. Salaschek in seiner handschriftlichen Autobiographie, berichtet, Gesellschafter der Wanderfahrten in Südböhmen, zuletzt 1862, und Zeuge der Stifter- Verehrung, die damals schon, also fünf Jahre vor der Berufung Josefs nach Oberplan, in Krumau den Gerichtsadjunkten beseelte, der das Leidensbild des Zweiundsechzigjährigen bewahren sollte.

Große Gedanken entspringen im Herzen. Maximen von Vauvenargues. Herausgegeben von Wolfgang Kraus. Georg-Prachner-Verlag, Wien-Stuttgart. 152 Seiten. Preis 24.80 S.

Dieses Bändchen der schon bekannten Prachner- Reihe bietet eine von Wolfgang Kraus eingeleitete, zusammengestellte und von Candida Kraus neu übersetzte Sammlung der Betrachtungen und Maximen des französischen Aphoristikers Marquis de Vauvenargues (1715 bis 1747), der einer der bedeutendsten „Moralisten" Frankreichs war. Der Satz, der als Titel steht, ist als eine Hauptmaxime seines Denkens zu bezeichnen. Gegen den Intellektualismus der Aufklärung betonte er die Macht des Herzens, des Gefühls, die Bedeutung der Leidenschaften, und stand so im Gegensatz zum herrschenden Rationalismus seiner Epoche. Manche Erkenntnisse Nietzsches nahm er vorweg. Er übte aber nicht nur Kritik, sondern gab auch positive Weisungen für die Lebensführung, ohne ein eigenes philosophisches System zu entwickeln. Er war ein hervorragender Menschenkenner, und die Weisheit seiner Aphorismen hat die Zeiten überdauert. Für ihn selbst ist es charakteristisch, wenn er einmal schreibt: „Klarheit ist die Ehrlichkeit der Philosophen". Wenn die Sammlung auch nicht ganz vollständig ist — allzu Zeitgebundenes wurde weggelassen —, so gibt sie doch ein deutliches Bild dieses Denkers.

Wen die Götter lieben. Die Geschichte des Evariste Galqis. Roman. Von Leopold I n f e 1 d. Schönbrunn-Verlag, Wien. 332 Seiten.

Menanders tröstlicher Totenspruch „Wen die Götter lieben, der stirbt jung" bietet einen guten Romantitel, trifft aber nicht recht auf Leben und Sterben des Franzosen Evariste Galois zu, der kaum einundzwanzigjährig 1832 das Opfer eines Zweikampfes wurde, ein Genie der mathematischen Wissenschaft, Schöpfer der für die Algebra bedeutungsvollen Galoisschen Theorie. Er hätte, wäre er nicht jung gestorben, gewiß die Ernte seines Wirkens heimgetragen. Aus seiner bloß fragmentarisch überlieferten Lebensgeschichte formt Infeld einen Roman, der die Elemente der Spannung gut mit den Reflexionen ausbalanciert. Zwei Handlungen gehen nebeneinander her und verketten sich, die Historie der französischen Restauration der Bourbonen und die des Bürgerkönigtums auf der einen, das krause persönliche Schicksal des Evariste Galois auf der anderen Seite. Der sittlich- refigiöse Kern der Anschauungen von Saint-Simon wird richtig dargestellt, während für die Jesuiten nichts anderes übrigbleibt als die Schablone eines Kinderschrecks. Die epische Kraft des Autors erlahmt etwas im Angesicht der großen historischen Ereignisse. Auch die Umstände des Zweikampfes, der zum tragischen Ende des Evariste Galois führt, verkümmern im Kleinlichen der Intrige. Das Buch ist also kein großer Wurf, aber es ist interessant geschrieben, es wird insbesondere die der Mathematik Zugeneigten ansprechen, es darf schließlich für sich das Verdienst in Anspruch nehmen, eine der merkwürdigsten Persönlichkeiten der Restaurationszeit aus dem Halbdunkel ins helle Licht gerückt zu haben.

Die Uebersetzung des englischen Originals wirkt kümmerlich — „Der Atem des Todes hat meinen Haß geschmelzt" —; durchaus abzulehnen ist es, daß alle Briefe und Dokumente, auch die entscheidenden, in kleiner Schrift gesetzt sind.

Fünf große Oden. Von Paul Claudel. Ueber- tragen von Hans Urs von Balthasar. Herder- Verlag, Freiburg i. B. 145 Seiten. Preis 4.60 DM.

Diese Ausgabe ist nicht neu. Ihre Beliebtheit ist nicht von gestern (es liegt das erstmals 1939 erschienene Bändchen vom 8. bis 10. Tausend vor). Der Inhalt dieser „Oden" ist von weither und doch anwesende Gegenwart für den, der schauen kann im lesenden Hören dieser Dichtung: das Universum, die Kunst und das Weib — diese drei erklären einander. Und aus der steigenden Klarheit zeigt es sich, daß „christliche Existenz" auf dem dreieinigen Grunde unseres Selbstverständnisses liegt. Claudel macht es dem Leser, Hörer, Schauer nicht leicht. Er gibt selbst Erklärungen und der Herausgeber auch. Aber dies spricht nicht gegen die Dichtung, sondern für das Unaussprechliche des menschlichen Daseins — selbst in der Verdichtung des dichterischen Wortes „es" — das Leben als Ganzes — ist „so" unsagbar. Det Vergleich und die Bilder und die Vielfalt geben die Ahnung von Umfang und Inbegriff dessen, was wir Leben nennen. —- Die Meisterschaft des Uebersetzers braucht nicht eigens vermerkt zu werden: Hans Urs von Balthasar ist für Claudel und für die deutsche Sprache zuständig.

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