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Vor allem autonom!

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Die Proklamierung des autonomen Südtiroler Gewerkschaftsbundes am 12. September 1964 ist in der breiten Öffentlichkeit Österreichs kaum registriert worden. Es gab in Südtirol bis zu diesem Zeitpunkt die vier allgemein in Italien bestehenden Richtungsgewerkschaften, die CISL, CGIL: kommunistisch, und CISNAL: faschistisch und UEL. Im Jahre 1952 wurde der Südtiroler Gewerkschaftsbund (SGB) innerhalb der CISL mit dem Ziele gegründet, neben den italienischen auch die Südtiroler Arbeiter und Angestellten gewerkschaftlich zu organisieren. Tatsächlich wurden auch in den Jahren nach 1952 zirka 18.000 Arbeiter und Angestellte im SGB — um nochmals klarzustellen — als einem Teil der CISL erfaßt.

Diese Zahl ging bis 1964, also bis zur Gründung des ASBG, auf rund 4500 zurück. Dieser enorme Schwund der deutschen Mitglieder innerhalb der CISL war darauf zurückzuführen, daß sie sich innerhalb der CISL nicht mehr vertreten fühlten. Dies geht aus folgenden Tatsachen hervor:

Mitteilungen an die Mitglieder In Form von Rundschreiben wurden überhaupt nicht herausgegeben, eine Zeitung wurde nach einem kläglichen Versuch ihres Erscheinens wieder eingestellt, kein einziger Kollektivvertrag wurde — nicht einmal auszugsweise — deutsch übersetzt, Versammlungen, Landeskongresse wurden nur in italienischer Sprache abgehalten. Der deutsche Generalsekretär war nur nebenberuflich, der italienische aber hauptberuflich angestellt. Die Sekretäre der Fachgewerkschaften waren meist Italiener. Die Südtiroleir waren zwar im Vorstand vertreten, doch wurde dieser ungefähr nur alle zwei Jahre einberufen und die deutschen Mitglieder außerdem zu spät verständigt, so dl aß sie nicht teilnehmen konnten. In den verschiedenen Kommissionen der Sozialversicherungsträger, des Wohnbaues usw. waren die deutschsprachigen Arbeiter nicht vertreten, so daß die aktuellen Probleme dort auch nicht erörtert werden konnten. Rechtsschutz war überhaupt nicht vorhanden, wohl das wichtigste Instrument einer Gewerkschaft, so daß das einzelne Mitglied bei einer Streitigkeit einen Rechtsanwalt beauftragen und damit Anwalts- und Gerichtskosten selbst zu tragen hatte. Dabei schien es üblich zu sein, daß auch noch in solchen Fällen der Sekretär der CISL von dem beauftragten Rechtsanwalt eine Provision erhielt. Bei Besetzung von Posten beim Staat, der Eisenbahn, Post usw. kamen nur italienische Mitglieder in Frage. Bei staatlichen Stellen kamen und kommen bis heute Angehörige der deutschen Volksgruppe überhaupt nicht zum Zuge. Wurden Italiener entlassen, dann kam es zu Aktionen durch die CISL, war der Entlassene ein Deutscher, so geschah nichts. Wollten deutschsprachige Funktionäre der CISL soziale Probleme in Zeitungsartikeln aufgreifen, dann mußten sie diese der Gewerkschaftsleitung gleichsam zur Zensur vorlegen, ansonsten wurde ihnen mit fristloser Entlassung gedroht.

Weil sich eben der deutsche Arbeiter und Angestellte aus den erwähnten Gründen in der CISL schlecht, ja man kann sagen überhaupt nicht vertreten fühlte, kam es zur Gründung des selbständigen autonomen Südtiroler Gewerkschaftsbundes. Der erste außerordentliche Landeskongreß, mit dem der ASGB in die Öffentlichkeit trat, wurde am 11. Oktober 1964 abgehalten. Bei diesem Kongreß wurde die Eigenständigkeit der Organisation hervorgehoben und festgestellt, daß der ASGB von keiner politischen Partei abhängig ist. Der Landeskongreß verurteilte die Gewaltanwendung als Mittel der Politik und beauftragte seine neugewählten Organe, in seinem Namen Verhandlungen zu führen, um auch den ASGB an eine demokratische Gewerkschaft auf gesamtstaatlicher Ebene anzuschließen, ohne seine Unabhängigkeit auf provinzieller Ebene aufzugeben.

Inzwischen ist der ASGB auch der Internationale der christlichen Gewerkschaften beigetreten und hat damit sein Bekenntnis zu christlichen Grundsätzen bekundet.

Nunmehr ist ein Jahr seines Bestehens vergangen, und die Leiter dieser Organisation haben trotz größten Schwierigkeiten beachtliche organisatorische Arbeit geleistet. Vor allem galt es, Sekretariate an bestimmten Stützpunkten zu errichten, bisher in Bozen (Zentrale), Meran, Brixen und Bruneck, mit je einem Einsatzsekretär. Derzeit sind ungefähr 5500 Mitglieder, also bereits mehr, als zuletzt beim SGB organisiert waren, erfaßt. Erfaßt sind ferner 14 Berufsgruppen; in 12 Ortschaften bestehen Ortsgruppen und Ortsausschüsse. Der ASGB hat bereits die CISL bei Betriebs-ratswahlen weit überflügelt. So gehörten in der letzten Zeit von 1100 Wahlberechtigten 733 dem ASGB, 185 der CISL, 86 der CGIL und 51 der Unabhängigen an.

Die Gründer des ASGB waren sich von Anfang an bewußt, daß sie mit Schwierigkeiten von Seiten der übrigen Gewerkschaften zu rechnen hatten. Der „ALTO ADIGE“ schrieb schon am 13. September 1964, also einen Tag nach der Proklamierung des ASGB: „Seit dem 11“. September gilt die Apartheid in Südtirol auch auf gewerkschaftlicher Ebene. Am 11. September haben einige Südtiroler Gewerkschafter der CISL beschlossen, einen autonomen Gewerkschaftsbund für die Südtiroler zu gründen. Die CISL nimmt die neue Spaltergruppe, wie sie bezeichnet wird, nicht sehr ernst und schreibt dazu: „In der Provinz sind Plakate und Flugblätter aufgetaucht, und in der lokalen deutschsprachigen Presse ist ein Artikel erschienen, der die Gründung einer autonomen Gewerkschaft für die Arbeiter deutscher Sprache (ASGB) auf Initiative von vier deutschsprachigen Funktionären des CISL/SGB ankünden. Das Provinzialsekretariat des CISL/SGB erklärt, daß diese autonome Gewerkschaft weder mit der CISL noch mit deren Provinzial-organisation in Berührung steht.

Die Schwierigkeiten, die von selten der italienischen Gewerkschaften bis heute gemacht werden, nehmen in dem Ausmaß zu, als es dem ASGB gelingt, immer mehr an Boden zu gewinnen und Erfolge für sich zu buchen. In der Gegnerschaft zum ASGB sind sich alle italienischen Gewerkschaften, gleichgültig, welcher weltanschaulichen Richtung, einig. Geklärt mußte auch die Stellung zum katholischen Werkvolk Südtirols (KVW) werden. Es besteht heute und bestand von jeher das beste Einvernehmen zwischen ASGB und KVW, denn es gab zwischen den beiden keinerlei Konfliktstoff, und dies um so mehr, als klare Linien zwischen den beiden Organisationen von Anfang an gezogen wurden. Der KVW ist eine kulturelle Organisation, war von Haus aus niemals als wirtschaftliche Interessenvertretung der Dienstnehmer gedacht und konnte daher von sich aus die Gründung des ASGB nicht als Konkurrenz empfinden. Die Fragen, die den KVW interessierten, waren, ob der ASGB durch seinen Anschluß an eine Organisation auf gesamtstaatlicher Ebene ausgerichtet sein konnte, wie sein Anschluß auf internationaler Ebene erfolgt und schließlich, wodurch die christliche Ausrichtung festgelegt ist. Die Beantwortung dieser drei Fragen lautete kurz und bündig: der ASGB ist auf gesamtstaatlicher Ebene an die CSC (Commissione Sindacale Cristiana) in Rom angeschlossen, auf internationaler Ebene ist der ASGB, wie bereits erwähnt, Mitglied des Internationalen Bundes christlicher Gewerkschaften (IBCG) mit dem Sitz in Brüssel, und schließlich ist die christliche Ausrichtung dadurch gegeben, daß er sich in seinen Satzungen zur christlichen Gesellschaftslehre bekennt und auf nationaler und internationaler Ebene christlichen Organisationen angeschlossen ist. Diese Klarstellung genügte dem KVW, und es besteht seit der Gründung zwischen den beiden Organisationen das beste Einvernehmen. Zu den italienischen Gewerkschaften aber ist das Verhältnis das denkbar schlechteste, weil vor allem diesen der Wille zur Zusammenarbeit fehlt. Die Arbeiterkammer von Bozen verstieg sich sogar zu dem Bekenntnis, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die CGIL, das ist die kommunistische Gewerkschaft, sich immer mehr zur Gewerkschaft aller Werktätigen entwickeln zu lassen, um „schließlich so zu einer einzigen Gewerkschaftsorganisation zu gelangen.

Die wirtschaftliche Lage Südtirols wird immer schwieriger, und man befürchtet im kommenden Winter eine große Arbeitslosigkeit. Daß sie sich auch auf die Gewerkschaftsbewegung, insbesondere aber auf die Organisation des ASGB, auswirken wird, ist zu befürchten. Die wirtschaftliche Situation ist schon jetzt kennzeichnend, wenn ein größerer Betrieb im Vintschgau seinen Arbeitern schon seit Juli die Löhne schuldet und sie nur mit geringen Ratenzahlungen abfertigt. Das ist aber nur ein Beispiel von mehreren. Das Problem Südtirols wird immer mehr ein soziales, und für die deutschen Arbeitnehmer gibt es nur den Weg der Selbsthilfe.

Um alle Südtiroler zu beschäftigen, wären bis zum Jahre 1975, also in zehn Jahren, 45.000 Arbeitsplätze zu schaffen, während in den letzten zehn Jahren aber nur 7000 geschaffen wurden. Die Südtiroler Arbeitnehmer sind davon überzeugt, daß sie auch Verpflichtungen haben, am Ausbau ihrer Wirtschaft mitzuarbeiten, aber man muß ihnen dazu die Möglichkeit geben. Die arbeitsrechtliche Situation ist infolge der Kompliziertheit des italienischen Arbeitsrechts sehr verworren, bestehen doch fast keine arbeitsrechtlichen Gesetze, sondern das italienische Arbeitsrecht beruht hauptsächlich auf der Verfassung und den von den Verbänden abgeschlossenen Kollektivverträgen. Die Schwierigkeit wird noch dadurch verstärkt, daß es für die deutschen Südtiroler keine authentischen Übersetzungen dieser Kollektivverträge gibt. Schon aus diesen kurzen Andeutungen ist ersichtlich, welch schwierigen Problemen sich die Südtiroler Arbeiter und Angestellten in einer selbständigen Organisation gegenübersehen. Zu einer Autonomie der Provinz gehört auch eine selbständige autonome Gewerkschaft. Es ist somit keine Frage, daß dieses Thema mit zum Verhandlungskomplex über Südtirol gehört. Die Arbeiter und Angestellten befinden sich in keiner rosigen Situation. Die Gründung des ASGB ist ein Anfang, um ihre Lage zu verbessern. Es sollten daher alle, denen Südtirol am Herzen liegt, auch an der guten Entwicklung des Allgemeinen Südtiroler Gewerkschaftsbundes interessiert ein.

Am 14. November d. J. veranstaltet der Bund seinen ersten ordentlichen Kongreß in Meran. Dem Ablauf dieses Kongresses wird nicht nur Bedeutung zukommen für das Land selbst, sondern auch Österreich wird nach Meran blicken.

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