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Vor Beginn schon festgefahren

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In Kreisen der ÖIG ist man eher skeptisch, daß es noch vor dem Sommer und damit noch vor Mitte 1970 zu einer Zweiparteieneinigung über die Reorganisation der Industrieverwaltungsgesellschaft kommen wird. Gelang es der ÖVP, in einer Gipfel-bespreohuing zwischen den drei Bündeinteressen in dieser Frage eine gemeinsame Linie zu finden, so begann sich die Angelegenheit vorige Woche in der SPÖ zu spießen. Am 27. März übergab Vizekanzler Withalm während einer National-ratssitzung SPÖ-Chef Kreisky die ÖVP-Vorschläge zur Novellierung des ÖIG-Gesetzes auf zwei hekto-graphierten Blättern:

• Schaffung einer Verstaatlichten-holdung,

• Übertragung der Anteilsrechte des Bundes an diese reorganisierte ÖIG, Umwandlung der einzelnen Unternehmungen der Verstaatlichten in weisungsgebundene ÖIG-Töchter, Eliminierung des Proporzes in den Aufsichtsräten der einzelnen Unternehmungen.

Da man die traumatische Scheu der SPÖ vor einem Ausverkauf der Verstaatlichten an Private des In- und Auslandes von Seiten der ÖVP bereits einkalkuliert hatte, findet sich im ÖVP-Vorschlag eine Bestimmung, nach der die ÖIG in ihrem Aufsichtsrat über den Verkauf von Aktien und Anteilen nur mit Zweidrittelmehrheit beschließen kann.

Bevor das ÖVP-Papier vorlag, hatten sich die Spitzensprecher der SPÖ gegenüber Journalisten und in Parteiaussendungen auf die Linie zurückgezogen, wahrscheinlich handle es sich bei dem ÖVP-Vorschlag „nur um eine Scheinlösung“. Nachdem die Vorschläge der ÖVP in der Löwel-straße bekannt waren, verstummte diese Variante, lediglich die für diesen Fragenkomplex in der SPÖ zuständigen Experten ließen verlauten, man könne darüber reden und die SPÖ werde wahrscheinlich andere Vorschläge bei der Eigentumsübertragung und der Elkninierung des Proporzes machen.

Selbst Sozialisten in der ÖIG zeigten sich daher verwundert, daß erst drei Wochen nach der Papierübergabe ein sozialistischer Parteivorstand einberufen wurde, um die SPÖ-Marschroute festzulegen. In dieser Parteisitzung prallten dann die verschiedenen Meinungen der SPÖ-Gruppen hart aufeinander: Es bildete sich eine starke Gruppe, die sich überhaupt gegen die Aufnahme von Verhandlungen aussprach — mit der Begründung, man könne der Regierungspartei nicht knapp ein Jahr vor den entscheidenden Nationalratswahlen „helfen“; indirekt unterstützt wurde diese Gruppe von jenen, die meinten, die ÖVP-Vorschläge seien so, daß man sich schon einigen werde können; vor allem die Gewerkschaften, die jungen „Egg-Heads“ und die für das Parteiimage Verantwortlichen plädierten für Verhandlungen, da eine Ablehnung von vornherein der SPÖ in der Öffentlichkeit schaden würde. Endergebnis: Der Parteivorstand erklärte sich zu den Verhandlungen bereit, startete aber gleichzeitig in dem nach der Vorstandssitzung veröffentlichten Kommunique eine wilde Polemik, mit der der OPV im Zusammenhang mit der ÖIG so ziemlich alles mögliche Negative vorgeworfen wurde. Aus der Sitzung konnte man auch einen geknickten SPÖ-Klubobmann Pittermann gehen sehen, der dem SPÖ-Verhandlungs-komitee nicht angehören wird, obwohl sein Name in der Reihe der vier SPÖ-Verhandler bereits von Kreisky genannt worden war und bislang niemand dem SPÖ-Klubobmann seine durch die Verstaat-lichtenministerzeit erworbene Fach-mannfunktion in der SPÖ streitig gemacht hatte.

Die Wellen der Auseinandersetzung schlugen im Parteivorstand der SPÖ so hoch, daß es gerade noch zur Nominierung der Unterhändler (Kreisky, Benya, Häuser, Probst — während seiner Rekonvaleszenz vertreten durch Czettel) und zur Formulierung des Kommuniques langte. Zum Erarbeiten der Marschroute für die Verhandlungen mußte für Freitag eine eigene innerparteiliche Enquete einberufen werden. Hier wurden für die ohnehin schon bekannten Differenzpunkte (Eigentumsübertragung und Proporz) Gegenvorschläge ausgetüftelt. Die ciuch hier lautstark hervorgetretenen Differenzen innerhalb der SPÖ versuchte Kreisky dadurch zu verbergen, indem er von der „Sozialistischen Korrespondenz“ seine vor diesem Enquete-Forum gehaltene Einleitungsrede verbreiten ließ, mit welcher die ÖVP noch schärfer als mit dem vortägigen Parteivörstandskommuniqu6 attackiert wurde und aus der man schon sehr deutlich mangelnde Verhandlungsbereitschaft herauslesen konnte. Während die „SK“ noch mit der Durchgabe der Kreisky-Attacke an die APA beschäftigt war, traf Kreisky Vizekanzler Withalm im Parlament und vereinbarte mit ihm ÖIG-ReformSitzungstermine für den 30. April und 7. Mai. .

Als Withalm nach der Sitzung die Kreisky-Rede sah, reagierte er scharf. Hatte die ÖVP bislang immei betont, es gehe ihr um eine sachliche und rasche Lösung und hatte sie sogar angeboten, eine Einigung mit der SPÖ nicht auf ihre Wahlkampffahnen als alleiniges Regierungsparteiverdienst zu schreiben, so wurde am Samstag in einer Stellungnahme des ÖVP-Generalsekre-tariats an die SPÖ die Frage gerichtet, ob sie überhaupt zu echten Verhandlungen bereit sei. Sei sie es nicht, dann solle sie dies gleich sagen, dann werde die ÖVP alleine die Verantwortung für die ÖIG-Reform übernehmen. Wie die ÖIG-Verhandlungen in den nächsten Wochen laufen werden, ist noch nicht vorhersehbar. Will die SPÖ die Verhandlungen mit dem Ziel führen, sie früher oder später platzen zu lassen, dann wird die ÖVP ihren angekündigten Mut beweisen und die ÖIG-Gesetznovelle allein im Nationalrat beschließen müssen. Damit würde die ÖVP zwar die mit den Sozialisten als Pendant zur Verlängerung der Marktordnungsgesetze getroffenen Vereinbarung brechen, nach der grundsätzliche Änderungen im Verstaatlichtenbereich nur mit Zustimmung der SPÖ gemacht werden sollen.

Den Sozialisten dürfte es aber schwerfallen, diesen Vertragsbruch anzuprangern und propagandistisches Kapital daraus zu schlagen. Denn:

• Erstens geht es bei der ÖIG-

Reform nicht um eine rechtstheoretische Erörterung, sondern um das Flottmachen einer wirksamen Verstaatlichtenverwaltung, an der zumindest die mehr als 100.000 in der verstaatlichten Industrie Beschäftigten ein Interesse haben müssen;

• zweitens wird es in der Öffentlichkeit auf kein Verständnis stoßen, wenn die Sozialisten die Gespräche an der Weigerung, den Proporz abzuschaffen, scheitern lassen. Der Weg, die von der ÖVP gewollte Lösung als Versuch der „Verschacherung der Betriebe ans Ausland“ zu verteufeln, scheint der SPÖ verbaut. Sie würden nämlich dann im Duett mit den kommunistischen Wölfen heulen, von denen sich Kreisky distanziert, so oft er nur kann. Einen kleinen Lichtschimmer in die Parteienauseinandersetzungen über die ÖIG-Verhandlungen brachte ÖGB-Präsident Benya mit einem Leitartikel in der Sonntags-,,AZ“: Ohne die ÖVP direkt anzugreifen, betonte er die SPÖ-Verhandlungs-bereitschaft. Es scheint so, als habe der ÖGB ein echtes Interesse an einer dauerhaften Existenzsicherung für die in der Verstaatlichten Beschäftigten, das so groß ist, daß Benya sogar in Richtung Zusammenarbeit mit dem Ausland („Wir müssen nun Herren im eigenen Haus bleiben“) Konzessionen machte. Das Verhandlungsergebnis scheint demnach davon abzuhängen, ob die offensichtlich an einer sachgerechten Lösung interessierte SPÖ-Gewerk-schaftsfraktion oder die nur noch in Wahlkampfkategorien denkenden Propagandaakteure um Kreisky in der SPÖ die Oberhand gewinnen werden.

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