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Vor der letzten Mauer in Polen

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Jetzt weiß man es: es war wieder einmal nur die Ruhe vor dem Sturm, die Polen lange Zeit inmitten aller Satellitenstaaten ein verhältnismäßig gemäßigtes politisches Klima gewährte. Während schon lange die nationalen Wappen aller anderen Volksdemokratien durch kaum zu unterscheidende Embleme, die aufs Haar jenen der einzelnen Sowjetrepubliken glichen, ersetzt wurden, thronte auch in „Volkspolen“ noch immer im roten Schild der weiße Adler, der nur als ein Zeichen seines Zugeständnisses an die neue Zeit seine Krone ablegen mußte. Während auf Exerzierplätzen der Tschechoslowakei, Ungarns, Bulgariens und Rumäniens die Rekruten in Uniformen paradierten, die in ihrem Schnitt und Rangabzeichen alle das eine Vorbild nicht verleugnen konnten und wollten, setzten die polnischen Soldaten, selbst unter dem Oberbefehl des russischen Marschalls Rokossowski, dessen allmächtige Stellung nur mit der eines ehemaligen zaristischen Gouverneurs von Polen verglichen werden kann, nach wie Vor jene eigentümliche vierkantige Polenmütze, die „Konfederatka“, über das Ohr. Und zur gleichen Zeit, als in anderen Satellitenstaaten die härtesten Schläge gegen die Kirche geführt wurden, als sich über die Person Erzbischof Berans das Schweigen senkte und Erzbischof Grösz vor das Tribunal geführt wurde, reiste der Warschauer Erzbischof Wyszynski offiziell mit Reisepaß und Begleitung nach Rom und zurück.

Dieses polnische „Idyll“ hinter dem Eisernen Vorhang geht nun zu Ende. Die ersten Stöße des Gewitterwindes zeigen das nahende Unwetter. Dumpf wie der Donner grollte die Stimme Molotows, als er, vor kurzem in Warschau, flankiert von zwei Marschällen der Sowjetunion, anläßlich der Wiederkehr des Tages, an dem die Rote Armee 1944 — nicht 1939 vielleichtl — die polnische Grenze überschritten hatte, einen neuen Bannfluch gegen den Titoismus und seine Helfershelfer Schleuderte. Nicht an die Adresse Belgrads war er in erster Linie gerichtet. Vielmehr galt er den Gastgebern. Eine Warnung für diese sollte er sein, Schluß zu machen mit dem Versuch, einen eigenen Weg zum kommunistischen Heil zu gehen, keine Zeit mehr zu verlieren mit Rücksichten auf nationale Sonderheiten.

Der Befehl zum Angriff auf die letzten Bastionen polnischer Eigenstaatlichkeit und Eigenständigkeit war gegeben. Ihm folgte sehr bald die erste Vollzugsmeldung. Ein schneller Stoß traf die letzten Reste der alten polnischen Armee — jenen versprengten Haufen. Die Bomben der deutschen Stukas hatten sie 1939 verschont, die Kugeln des Afrikakorps

waren an ihnen vorbeigeflogen, als sie, unter der Führung General Sikorskis und General Anders' auf fremder Erde neu formiert, unentwegt den Kampf für die polnische Freiheit wieder aufnahmen. Die polnische Freiheit! Sie kam nicht, als der Krieg zu Ende war. Statt ihr kamen die Männer von Lublin, die Bierut und Cyrankiewicz, die Moskaus Armee und das Zurückweichen der westlichen Staaten an die Macht brachten. Aber der Ruf der Heimat war für manche stärker als die Mahnungen ihrer Kameraden, die zur Vorsicht rieten. Während das Gros der Armee Anders seine Fahnen einrollte, die Uniform auszog und das alte

polnische Schicksal der Bmigration einer

Rückkehr in ein Vaterland von Rußlands Gnade vorzog, stellten sich wenige dem neuen Regime, der alten Heimat, wie sie glauben, zur Verfügung. Von ihnen fanden sich auf der Warschauer Anklagebank Brigadegeneral Stanislaw Tatar, ehemaliger Chef der Operationsabteilung der polnischen Armee und später Mitglied des polnischen Generalstabs in London; Brigadegeneral Franci-sek H e r m a n, stellvertretender Chef der Nachrichtenabteilung der Armee; Brigadegeneral Jerzy Kirchmayer; Generalmajor Stefan Mossor; Oberst Marian U t n i k, ehemaliges Mitglied des Generalstabs in London; Oberst Stanislaw N o w i c k i, der im Generalstab in London mit „besonderen Aufgaben“ betraut war; Oberst Marian Jurecki; Major Wladyslaw Roman und .Kommandant“ Szepan W a c e k.

Offiziere auf der Anklagebank, Generale vor dem Bluttribunal! Wie weit sich das Regime mit diesem Schritt vorgewagt hat, auf höheren Befehl vorwagen mußte, kann nur jemand richtig ermessen, der weiß, mit welcher beinahe kindlichen Liebe das polnische Volk an seiner Armee hing — ist nicht noch die Revolte der Matrosen für die verurteilten Generale ein sprechender “Beweis dafür? Die polnische Armee, das war vor allem in t trüben Zeiten stets der Hort der Nation. Wo immer Polen kämpften, dort war seit den Tagen Kosciuszkos und Denbrowskis auch das Vaterland, gleichgültig in wieviel Fetzen die polnische Landkarte zerrissen war und welche Herren gerade über die Heimat herrschten. Nach dem Offiziersprozeß von Warschau wird es aller Welt und auch dem polnischen Volk offenbar: es gibt zur Stunde keine polnische Armee mehr, es gibt heute nur mehr polnische Divisionen in der Sowjetarmee. Ähnlich wie vor 1830, jener Zeit, von der eine alte zerlesene Chronik berichtet: „Noch ist Polen Königreich, aber der König von Polen ist der Zar aller Reußen ..

Der polnische Nationalstolz hat einen schweren Stoß erlitten, die polnische Nation aber ist noch nicht in ihrem Mark getroffen. Weit ist der Gegner vorgedrungen, sehr weit. Aber wie oft in der polnischen Geschichte, wenn er sich be-

reite am Ziele glaubte, steht er plötzlich' vor einer letzten unsichtbaren Mauer. Die letzte Mauer des polnischen Volkes ist sein tief verwurzelter katholischer Glaube, der es von seinen Nachbarn im Westen und Osten unterschied und gerade in der Stunde der Gefahr immer wieder den innersten Kern der Nation behütet und hinübergerettet hat — in lichtere Zeiten. Die Männer von Warschau wußten als Polen nur zu gut,' warum sie vor dem Frontalangriff gegen die katholische Kirche bis zur Stunde zurückgeschreckt sind. Wird sie der Befehl Moskaus gegen ihre bessere Einsicht jetzt zum Sturm gegen diese letzte Mauer treiben? Manche Anzeichen deuten darauf hin. Gut beraten aber wären sie, wenn sie, bevor 6ie das Signal zum Angriff geben, sich von irgendeinem alten Bauern an der Weichsel oder aus den

Karpathen jene Geschichte erzählen ließen, die sich an das polnische Nationalheiligtum von Czenstochau, jenen sichtbaren Ausdruck des polnischen Katholizismus, knüpft. Als im 17. Jahrhundert, in jener Zeit, die wegen ihrer Unzahl von Invasionen in der polnischen Geschichte die „Sintflut“ genannt wird, Karl Gustav von Schweden ganz Polen unterworfen hatte, trotzte ihm allein auf der Ebene von Kielce—Piotrkow der „Helle Berg“, das Kloster von Czenstochau. Siegesgewiß gab General Miller den Angriffsbefehl. Nur noch eine Frage von wenigen Tagen... Doch der Helle Berg hielt und täglich sah man von Ferne die Mönche mit dem Bild der Magna Mater Poloniae zur Mittagszeit um die Wälle ziehen. Doch da begab sich Wunderbares. Dichter Nebel hüllte Berg und Kloster ein. Die Kugeln der Angreifer blieben in den Mauern stecken oder sie prallten ab und richteten Tod und Verheerung in den Reihen der Angreifer an.

Eine fromme Legende? Vielleicht auch eine tiefe Weisheit.

Die Mauern von Czenstochau jedenfalls wurden niemals von den Belagerern überstiegen.

Cocktail-Party

Nein, es handelt sich im folgenden nicht um die todernste „Cocktail-Party“ des großen britischen Dichters. Es geht vielmehr um die gewissermaßen quälende Lustigkeit eines „österreichischen Erfinders“, der dieser Tage die Wiener Presse zu einer Cocktail-Stunde in die Räumlichkeiten des österreichischen Presseklubs einlud. Diese Cocktail-Stunde hat inzwischen stattgefunden oder nicht, mit zehn Teilnehmern oder ganz entre nous, wir wissen es nicht; die Form der Parte hat uns den Mut genommen, die Party zu besuchen. Und das, obwohl es dabei um nicht weniger und mehr ging, als „selbst älteste Glatzenträger wieder zu vollem Haarwuchs“ gelangen zu lassen, womit (wörtlich): „ein Jahrtausende alter Traum der Menschheit vor der Erfüllung“ stehe. Schamhaft und taktvoll um eine würdige Realisierung dieses Menschheitstraumes bemüht, verzichtet der Erfinder, wie die Einladung versichert,

„auf oberflächliche Sensationsmache und einträgliche geschäftliche Ambitionen und stellt in eben errichteten Beratungsstellen in ganz Österreich in sozialster Weise allen Kriegsteilnehmern (Glatzenleidende durch Stahlhelmtragen U6W.) eine kostenlose Behandlung zur Verfügung, zu deren Publikation er die Unterstützung der Presse ei-bittet“.

Da ist es endlich, was wir nun eigentlich mit der Sache zu tun haben sollen: die Aufgabe der Presse' bei diesem sozialen Beginnen, aufmerksam zu hören, unvoreingenommen zu prüfen und danr sachlich darüber zu schreiben. Also, rar ans Werk. Aber, halt, warum so eiligr Die Tage sind heiß, eine kleine Abküh Iung kann nicht schaden:

Daß gastliche Arrangement dieser Presse konferenz hat die... übernommen. A n

Erfrischungen werden Cocktail, Wermut, Sandwiches usw. gereicht. Ihrem Besuche gerne entgegensehend, hochachtungsvoll f. d. V o r-bereitende K o n f e r e n z k o m i t e e (Unterschrift unleserlich).“

Wahrhaftig, keine geringe Abkühlung. Eine erfrischende Naivität. Und ein bitterer Tropfen Wermut in den überschäumenden Becher betriebsamer Menschenfreundlichkeit: Wissenschaft bei belegten Broten, Humanität bei Cocktail, Kriegsopferfürsorge bei „usw.“, und das Ganze ohne „oberflächliche Sensationsmache“ und mit wirksamer „Unterstützung der Presse“. Gerade das letztere aber erlauben wir uns, wenigstens was uns selbst betrifft, ebenso höflich wie bestimmt abzulehnen — auch wenn das „Vorbereitende Komitee“ bedauerlicherweise in den Räumen des österreichischen Presseklub tagte.

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