6558969-1948_38_03.jpg
Digital In Arbeit

Vorbei an dem Ziel

Werbung
Werbung
Werbung

Vielfach wird an den Bestimmungen des Dritten Rückstellungsgesetzes Kritik geübt und dessen Novellierung gefordert. Es scheint, daß ein großer Teil der sich in der Praxis tatsächlich ergebenden Unbilligkeiten einem Umstand zuzuschreiben ist, dessen Wirkungen den Verfassern des Gesetzes nicht zum Bewußtsein gekommen ist, nämlich dem Zusammenhang zwischen der Rückstellungspflicht einerseits und der Ä n- derung der Währung sowie der Verschiedenheit der Kaufkraft des Geldes im In- und Ausland andererseits. Die folgenden Ausführungen dienen der Beleuchtung dieses besonderen Problems.

Vorweggenommen sei, daß hiebei nur die Fälle des sogenannten „a n s t ä n d i g e n Erwerb e s“ im Sinne des zweiten Absatzes des § 5 des Gesetzes ins Auge gefaßt werden, während alle übrigen Fälle, in denen also „im übrigen die Regeln des redlichen Verkehrs“ nicht eingehalten wurden, ganz außer Betracht bleiben, da naturgemäß ein „Ariseur“ nicht die Grundsätze der Billigkeit für sich in Anspruch nehmen kann.

Die hier zur Erörterung stehenden Fälle werden im Kommentar zum Dritten Rückstellungsgesetz von Heller-Rauscher-Bau- mann (S. 212 f.) wie folgt charakterisiert:

„Bei der Annahme der Einhaltung der Regeln des redlichen Verkehrs wird aber nach der Absicht des Gesetzgebers ein strenger Maßstab anzulegen sein. Es wird verlangt werden müssen, daß ein dem wirklichen, nicht etwa nur dem in nationalsozialistischer Abhängigkeit geschätzten Werte der entzogenen Sache voll entsprechendes Entgelt bezahlt wurde; außerdem muß es auf eine solche Art geleistet worden sein, die annehmen läßt, daß der Erwerber alles ihm vernünftigerweise überhaupt nur Zumutbare getan hat, daß der vereinbarte Preis auch in die Verfügungsgewalt des Veräußerers gelangen sollte, mag auch diese Absicht später durch nationalsozialistischen Zwangseingriff verhindert worden sein; auch die Möglichkeit der freien Auswahl des Käufers durch den Verkäufer ist dem redlichen Verkehr eigentümlich. Der Erwerber darf in keiner Weise die Zwangslage, in der sich der Eigentümer erkennbar befand, zu seinem Vorteil mißbraucht haben. Das Verhalten des Erwerbers muß, abgesehen vom Vertragsabschluß mjt einem — ihm erkennbar — nur durch die nationalsozialistische Herrschaft zur Veräußerung Veranlaßten, ansonst in jeder Weise den guten Sitten entsprochen haben.“

An einer anderen Stelle des Kommentars (S. 169) heißt es in Erläuterung des dem § 5, Abs. 2, zugrunde liegenden Gedankens wie folgt:

„In diesem Zusammenhang dürfen aber auch die, wenn auch nur in Minderzahl vorgekommenen Fälle nicht übersehen werden, in denen der Entziehet sich zur Vermögens-, Übernahme tatsächlich nur auf Bitte des Verfolgten, der der Mittel zur Ermöglichung seiner Flucht entbehrte, entschloß und im Vertrauen auf die Rechtslage (ABGB.) für das ihm an gebotene Vermögen einen angemessenen Preis bezahlt hat, im Bewußtsein, daß er für diesen auch ein Vermögen unbedenklicher Herkunft hätte erhalten können und dadurch dem .Eigentümer“ die Ausreise und damit die Lebensrettung ermöglichte. Zwecks Berücksichtigung dieser Fälle wurde die Sonderregelung des § 5, Abs. 2, geschaffen."

Solche „anständige Erwerber“ will der Gesetzgeber (siehe wiederum S. 212 a. a. O.) „in Berücksichtigung der mitunter achtenswerten Motive des ,Entziehers‘ “ belohnen (privilegieren).

. Dieses dem „anständigen Erwerber" vom Gesetz eingeräumte Privileg besteht nun in der Hauptsache darin, daß ihm der Verkäufer nicht nur das rückzustellen hat, was er „zu seiner Verfügung“ erhalten hat, sondern daß darüber hinaus die Rückstellungskommission nach billigem Ermessen bestimmen kann, daß auch ein Teil des vom Erwerber bezahlten, vom Eigentümer aber nicht zur freien Verfügung erhaltenen Kaufpreises (namentlich also „Reichsfluchtsteuer“ und „Judenvermögensabgabe“!) dem Erwerber vom Verkäufer zu ersetzen ist. (§ 6, Abs. 1.) Dies ist eine Modifikation des im § 877 ABGB. niedergelegten Grundsatzes, wonach wer die Aufhebung eines Vertrages aus Mangel der wahren Einwilligung verlangt, dagegen auch alles zurückstellen muß, „was er aus einem, solchen Vertrag zu seinem Vorteil erhalten hat".

Die Geldentwertung und die in ihrem Gefolge seit dem Jahre 1938 verfügten Währungsänderungen haben es aber nun mit sich gebracht, daß auch der privilegierte „anständige Erwerber“ keineswegs soviel an innerem Wert z u r ü c k e r 1) ä 11, als er hingegeben hat, und auch der Verkäufer mitunter einem solchen anständigen Erwerber nicht alles zurückstellen wird, was er aus dem Vertrag zu seinem Vorteil erhalten hat. Dies möge an dem folgenden Beispiel erörtert werden:

, Ein Haus im Vorkriegsschätzwert von damaligen 100.000 S wurde im April 1938 um diesen Betrag verkauft. Auf dem Hause lasteten Hypotheken im Betrage von 60.000 S, die vom Erwerber in Anrechnung auf den Kaufpreis übernommen und alsbald bezahlt wurden. Der Rest des Kaufpreises von 40.000 S ging auf Reichsfluchtsteuer, JUVA, Arisierungsauflage und dergleichen auf oder ging sonst dem Eigentümer vert- loren. Infolge der Umrechnung der Vorkriegsschillinge in Reichsmark und dieser wiederum in jetzige österreichische Schillinge beträgt der Kaufpreis, in jetzigen Schillingen ausgedrückt, 66.667 S, wovon 40.000 S auf die Hypotheken entfallen. Die Rückstellungskommission findet es nun für billig, sagen wir, dem Erwerber außer dem „zur freien Verfügung des Eigentümers“ verwendeten Betrag der Hypotheken, das sind 40.000 S, auch noch die Hälfte des Kaufpreisrestes, demnach weitere 13.333 S zuzusprechen. Demzufolge müßte der „geschädigte Eigentümer“ insgesamt 53.333 ö. S in heutigem Geide zurückerstatten, wogegen er aber zur Zeit des Verkaufes jedenfalls 60.000 damalige Schillinge (als den ursprünglichen Nominalwert der Hypotheken) zu seiner freien Verfügung und damit „zu seinem Vorteil“ erhalten hat. Dazu kommt noch, daß der innere Wert — die Kaufkraft — des Altschillings von 1938 ein weit höherer war als der des heutigen Neuschillings. Denn die in Reichsmark umgewandelten und nunmehr mit dem Reichsmarknominalbetnag in Neuschillinge umgewechselten Altschillinge haben die sehr bedeutende Entwertung der Reichsmark während des Krieges zur Gänze mit gemacht, während es andererseits nicht sicher ist, ob die weitere, nach der Befreiung Österreichs einsetzende Entwertung des Neuschillings durch die Währungsreform vom Dezember 1947 zur Gänze wettgemacht worden ist. Es kann daher gesagt werden, daß in Rückstellungssachen die Veränderungen des Geldwertes sich stets zum Vorteil des Verkäufers, des — um mit dem Gesetz zu sprechen — „geschädigten Eigentümers“ undzumNach- teil des Erwerbers, und zwar insbesondere auch des „inständigen Erwerber s", geltend machen. Denn gemessen an der Kaufkraft des Geldes, erhält der damalige Käufer nur einen Bruchteil dessen zurück, was er selbst für den Erwerb des „entzogenen Vermögens“ hingegeben hat, während der „geschädigte Eigentümer“ keineswegs verhalten wird, all das zurückzustellen, „was er aus dem Vertrag zu seinem Vorteil •erhalten hat“. Dieser Grundgedanke des Gesetzes wird daher infolge der eigenartigen Auswirkungen der Geldentwertung in der Praxis ebensowenig verwirklicht wie die auf Begünstigung des „anständigen Erwerbers“ gerichtete weitere Absicht des Gesetzgebers.

So gelangen wir zu dem Ergebnis, daß das

Dritte Rückstellungsgesetz den Zweck, den es sich selbst gesetzt hat, nicht erfüllt.

Der Rückstellungswerber strebt demnach an und erhält die Rückstellung eines Objekts, dessen gegenwärtiger wirklicher Wert den Wert der von ihm rückzu erstattenden Gegenleistung um ein Vielfaches übersteigt. Dadurch gerät die Rückstellung aus der Sphäre der Wiedergutmachung in die der Spekulation. Gerade dies aber ist es, was Rückstellungen dort, wo die seinerzeitige Vermögensübertragung unter „Einhaltung der Regeln des redlichen Verkehrs“ vor sich gegangen ist, oft unbillig und moralisch anfechtbar erscheinen läßt.

Bei der notwendigen Novellierung des Dritten Rücfcstellungsgesetzes sollten daher für Fälle des „anständigen Erwerbes“ fol gende Gesichtspunkte berücksichtigt werden:

E ie im Falle der Rückstellung zurückzuerstattende Gegenleistung (Kaufpreis) ist entsprechend dem Werte des rück gestellten Objekts im Zeitpunkt der Rückstellung aufzuwerten.

Zumindest sollte wie der sonstige Schaden (vergi. LGR. Dr. Schimetschek in der „Furche“) auch der Geldentwertungsschaden zwischen geschädigtem Eigentümer und anständigem Erwerber geteilt werden.

Wir werden sicheren Boden unter den Füßen haben, wenn wir bestrebt sind, der wahren Absicht dės Gesetzgebers zum Durchbruch zu verhelfen. Diese ist aber nicht darauf gerichtet gewesen, der Rache oder der Spekulation die Hand zu bieten, sondern darauf, begangenes Unrecht gutzumachen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung