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Vormauer des Abendlandes

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Kriege zu gewinnen ist vielfach Sache des Glücks und der Umstände, erst der dauerhaft gesicherte Friede bedeutet den wahren Sieg. Für diese Friedenssicherung Europas durch Jahrhundertc gesorgt zu haben, ist das unsterbliche Verdienst des alten Habsburgerreiches.

Die einstige österreichische Militärgrenze entstand nicht aus Eroberungsgelüsten, sondern aus der Notwendigkeit, durch einen militärischen und sanitären Kordon gegen die schwerste Bedrohung der damaligen Zeit, die Türken und die Pest, einen Wall zu schaffen. In jahrhundertelangem Ringen organisch erwadisen, entstand dieses einzigartige Gebilde, ein im Rahmender Monardiie dem Kaiser und dem Hofkriegsrat in Wien direkt unterstelltes Gebiet, das, größtenteils von nichtdeutscher Bevölkerung besiedelt, nadi eigenen Gesetzen, in eigener staatsrechtlicher Stellung und in eigener sozialer Ordnung allein seiner Grenzaufgabe lebte. Die Leistung und das Verdienst Österreichs an dieser Schöpfung liegt nich sosehr in den Waffenerfolgen — die auf immer mit dem Namen Prinz Eugen verbunden seil, werden —, als in den praktischen Kulturleistungen und vor allem in der weisen Politik und psychologisch richtigen Behandlung andersnationaler und — was in der damaligen Zeit mehr galt *— andersreligiöser Elemente, die gerade durch ihre weitgehende Freiheit und Selbständigkeit an den Kaiser und österreichischen Staat gefesselt wurden.

Das 16. Jahrhundert, in das die Anfänge der Militärgrenze zurückreichen, kann in seiner umstürzenden Bedeutung auf politischem, wirtschaftlichem und geistigem Gebiet mit unserer heutigen Zeit verglichen werden. Gerade zu Beginn des bewegten Reformationszeitalter, trat die Lage im Südosten in ein für Österreich und Mitteleuropa kritisches Stadium.

Die Türken hatten das Erbe der Araber und Seldschuken übernommen, die seit dem 13. Jahrhundert das byzantinisdie Reich berannt hatten. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts betreten sie europäischen Boden, 1389 besiegen sie am Amselfeld das serbische Königreich und löschen damit Serbien für Jahrhunderte aus der europäischen Geschichte 1389 wird auch Bulgarien türkische Provinz, 1396 f'illt Sigismund von Ungarn bei Nikopolis. Nach einer kleinen Pause brechen die Türken in der Mitte des 15 Jahrhunderts abermals in Südosteuropa ein. erobern Warna, verheeren Siebenbürgen und machen, nachdem ihnen im Jahre 1453 der große Schlag geglückt war, in Konstantinopel den Halbmond aufzupflanzen. 1458 das ganze Land der Serben und Kroaten, 1462 die Walachei zur türkischen Provinz.

Österreich war durch seine Anteilnahme an den europäischen Aufgaben des Kaisertums in innere Teilungen dieser Gefahr gegenüber in Verteidigungsstellung gedrännt. Durch Geldzahlungen konnten zwar die Türken dazu gebracht werden, ihre Waffenstillstände — Frieden schlössen sie grundsätzlich niemals — auf längere Zeit ZU halten. Aber am Anfang des 16. Jahrhunderts brachen unter ihrem neuen Vorstoß 1526 Ungarn und Siebenbürgen in der Schlacht bei Mohacs zusammen. Der Weg war frei über Wien nach Mitteleuropa.

Nicht ohne Zusammenhang mit dieser bedrohlichen Lage erfolgte in diesem schicksalsschweren Jahr die staatsrechtliche Zusammenfassung der österreichischen Erbländer zusammen mir Böhmen und Ungarn und damit die Grundsteinlegung für die Großmachtstellung der Monarchie. Schwere Kämpfe um die Anerkennung in Böhmen und Ungarn, vor allem jedoch die erste Türkenbelagerung Wiens mochten nicht als vielverheißendes Zeichen an der Wiege des neuen Staatsgebildes erscheinen. Zwar war die Gefahr für Wien dank der tapferen Bürgerschaft gebannt .worden, aber im Vorfeld stand der Feind festverklammert. Die Katastrophe von Mohacs hatte zur Aufteilung von Ungarn geführt; neben einem westlichen, dem Kaiser zuerkannten Teil, und einem selbständigen Siebenbürgen verblieb eirj Restungarn als türkisches Paschalik, ein Zustand, der bis zu idem neuerlichen türkischen Vorstoß im 17. Jahrhundert währte.

Es wäre ein Irrtum zu glauben, daß in 'der Zwischenzeit völliger Friede geherrsdit hätte. Die Grenze war dauernd in Unruhe und Bewegung. Raids bis zu 4000 Mann galten nicht als Bruch des Waffenstillstandes. Die Gefahr lauerte ununterbrochen, der Gedanke an Selbsthilfe und Grenzschutz lag daher nur zu nahe. Hauptträger des Selbstschutzgedankens waren die österreichischen Stände des am meisten bedrohten Gebietes, Steiermark und Krain, — die spätere sogenannte „Windische Gränz“. Sie sorgten in langwierigen Verhandlungen mit dem Kaiser und dem Reichstag für die Finanzierung der Grenze und warben immer wieder um Verständnis für den Ausbau des Grenzschutzes. Eine wesentliche Erschwerung für den inneren Ausbau der Grenzorganisation und die Kolonisation bildeten neben der leidigen Geldfrage die religiösen Gegensätze im Reich utÄ die Verquickung von Grenz- und Religionsproblemen in der Zeit der Gegenreformation. 1556 wurde schließlich ein gewisser Iwan Lenkowitsch, ein Kroate, zum selbständigen Hauptmann der windischen und kroatischen Grenze ernannt, ohne mehr dem innerösterreichischen Kommando unterstellt zu sein. Das wurde der erste bescheidene Anfang der Militärgrenze. Auf Grund der Entwicklung in der Praxis, in der es an Rückschlägen nicht fehlte, wurden dann in dem von Kaiser Ferdinand II. erlassenen Statut vom 5. Oktober 1630 die militärisdien, wirtschaftlichen und politischen Pflichten und Rechte der Grenzer, so wie sie aus der Praxis erwadisen waren, grundlegend festgelegt und blieben im wesentlichen bis zur Auflösung im Jahre 1870/71 in Geltung.

Diese wehrhafte Grenzbevölkerung genoß unter ihren gewählten Gemeindehäuptern, den „Knesen“, Selbstverwaltung und baute auf patriarchalischen Familiengemeinschaften, den „Hauskommunisten“, auf, deren Hausältester die Verantwortung für das ihm als Lehen übertragene Haus und dessen zugehörigem Feldbesitz verantwortlich war. In dieser ersten Grenzerzeit bestand die Organisation des militärischen Sdiutzes aus 19 ständig besoldeten Kompanien, die von „Wojwoden“ geführt waren und im Ernstfall, gerufen durch den General-Grenzobersten, in voller Ausrüstung innerhalb drei Stunden an den Mobilisierungsplätzen gestellt zu sein hatten, ein nur etwa 7000 Mann starkes, aber rasch bewcglidies Wachkorps wohlausgebildeter Berufssoldaten, die sozusagen mit dem Säbel an der Seite ackerten und schliefen. Sic waren durch ihren Treueid nur ihrem militärisdien Kommandanten und dem Kaiser verpflichtet, ein freies, stolzes Völkchen.

Das 17. Jahrhundert zeigte, wie notwendig die innere Festigung der „Konfin“, wie das Grenzgebiet in den Urkunden heißt, für die Zukunft gewesen war. Die Türken rüsteten sich noch einmal, diesmal zu ihrem größten Angriff auf das Abendland. Zudem hatte sich der König von Frankreich mit den Türken verbunden, um seine Angriffe auf westdeutsches Gebiet zu decken. So nahte das Jahr 1683, das neben seinen einschneidenden Folgen für Österreich und Südosteuropa auch für die Mjlitärgrenze den Weg zu einer großzügigen Entwicklung freimachen sollte. Unter der Führung des Savoyers wurden in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts in schweren Kämpfen und unter vielen Rüdc-schlagen das Banat, die kleine Walachei bis zum Alt, Serbien bis zum Timok und zur serbischen Morava und ein breiter Streifen Bosniens für Österreich und das Abendland zurückgewonnen und 1697 nicht mehr ein Waffenstillstand, sondern ein Friede, zu Karlowitz, geschlossen. Die windisch-kroatische Grenze war dadurch überholt, aber die Einrichtung des Grenzschutzes hatte sich so bewährt, daß man sofort daranging, auch die neuen Gebiete entsprechend zu sichern. Die Militärgrenze verlief nun quer durch Kroatien, der Save entlang, durch Syrmien, entlang der Theiß und der Maros nach Siebenbürgen. Damit war die äußere Form erreicht, die im wesentlichen keine Veränderung mehr erfahren sollte. Nach der ruhigen Zeit inneren Aufbaues im 18. Jahrhundert steht die Militärgrenze zu, Anfang des 19. Jahrhunderts, nachdem der Ring durch die Eingliederung der Siebenbürger Grenze bis Bistritz geschlossen war, auf der Höhe ihrer Ausdehnung. In der Konfin selbst und in den durch sie gesicherten Räumen wurde sofort, nachdem die Türkengefahr gebannt war, praktische Kulturarbeit begonnen. Der Kampf gegen das Einschleppen der Beulenpest wurde trotz der damaligen primitiven Mittel mit restlosem Erfolg geführt. Die Seuche ist seither nicht mehr in Mitteleuropa aufgetreten. Moräste wurden trockengelegt, eine riesige zwisdien Maros, Theiß und Temesch gelegene Wasser- und Sumpffläche, das Vidovdaner Meer, zu fruchtbarem Ackerboden ersten Ranges gemacht, Wälde wurden gerodet, Mustergüter angelegt und Menschen zur Besiedlung in die neugewonnenen Gebiete geführt. Es war ein persönlicher Freund des Prinzen Eugen, der Reitergeneral des Temescher Banates Graf Mercy, der mit holländischen Ingenieuren das Riesenwerk der Trockenlegung des ungeheuren, versumpften Binnensees.von Vidovaj begonnen hatte, der samt seinen Schilfgebieten eine Fläche viermal so groß wie der Neusiedler See bedeckte. Die Siedler, die in diesem Gebiete der Konfin Platz fanden, stammten zum Teil aus dem übervölkerten Innern des Reiches, aus Württemberg, Baden, der Pfalz, Lothringen und auch aus Schwaben. Sie haben unter schwersten Bedingungen und unter starken Menschenverlusten den Boden, der ihnen zuteil wurde, aus Sumpfland zu den fruchtbarsten Gebieten des Südostens gemacht — das Banat, die Batschka, Slawonien und Syrmien wurden auf diese Weise urbar gemacht. Es strömten viele serbische Flüchtlinge aus den türkisch besetzten Gebieten in das nach der Vertreibung der Türken leere Land und wurden gerne aufgenommen und mit bemerkenswerter Toleranz behandelt. So blieb die serbische Gemeinde unter ihrem zum Patriarchen erhobenen Oberhaupt in Karlowitz in ihrer religiösen und nationalen Eigenart im wesentlichen unbehelligt und konnte im 19. Jahrhundert die Keimzelle der südslawischen Nationalbewegung bilden. Bald zeigte sich die allgemeine Hebung des geistigen Niveaus der fremdnationalen Siedler. Fast jedes Dorf hatte seine eigene Schule, die deutsche Spradie wurde zwar von allen verwendet, ohne jedoch als Entnationalisierungsmittel zu wirken und empfunden zu werden. Das Fremdnationale wurde vielmehr geachtet und gefördert. Gerade diese Achtung ihrer Eigenart hat die Treue der kroatischen, serbischen und rumänischen Grenzer zu Österreich besser verbürgt, als es tyrannische Maßnahmen jemals vermocht hätten. Stolz auf ihre Freiheit und auf ihr Recht, außer ihrem militärischen Vorgesetzten einzig und allein dem Kaiser in Wien Rechenschaft zu schulden, lebten sie ihrer Aufgabe, Soldaten und Bauern zugleich zu sein.

Ihr ganzes Leben war für diese Aufgabe eingerichtet. Es war genau eingeteilt, wer im Notfall ausmarschieren sollte, wer die Feldarbeit zu verrichten, wer für die Instandhaltung der Straßen und Wege zu sorgen und wer den Dienst am Sanitätskordon zu versehen hatte. Jeder Grenzer war verpflichtet, unter Einsatz seines Lebens jederzeit zur Abwehr bereit zu sein. Die Dienstzeit war bei Männern unbegrenzt. In der kroatisch-slavonischen Militärgrenze zählte man 1862 rund 42.000 aktive Dienstoffiziere und Mannschaften und für den Ernstfall 85.000 Dienstverpflichtete. Außerdem 35.000 aus den Reihen der Jungmannschaften im Alter von 17 bis 20 und der 50-bis 60jährigen Männer, die für einfache und örtliche Dienste im Kriegsfall herangezogen wurden. Man konnte auf ein Aufgebot von rund 120.000 Mann rechnen. Dafür waren ihnen gewisse wirtschaftliche und soziale Vorrechte von staats-wegen gesichert.

Die letzten 50 Jahre des Bestehens der Militärgrenze und die Kräfte, die ihre Auflösung beschleunigten, bieten ein Vorspiel für das Ende Alt-Österreichs. Der wesentliche Grund jedoch, der das Ende dieser Einrichtung früher oder später herbeiführen mußte, war das Verschwinden der unmittelbaren Gefahr, die den Anstoß zu ihrer Bildung gegeben hatte. Die strenge Zucht der Konfin erschien in einer gesicherten Friedenszeit als unnötige Härte, andererseits war die fast mittelalterliche Idee des kaiserlichen Schutzes, die in der Neuzeit ihre eigenartige praktische Bewährung in der österreichischen Militärgrenze erhalten hatte, längst verblaßt.

Im Jahre 1870/71 erfolgte die Auflösung der österreichischen Militärgrenze nach 250-jährigem Bestehen. Territorial bedeutete sie im Sinne des Ausgleichs von 1867 die Unterstellung ganz Kroatiens unter die ungarische Verwaltung.

Eine der großen Schöpfungen österreichischer Staatskunst hatte ihr Ende gefunden.

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