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Vorstudien des Kaisers

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Bereits um 1800 aber beschäftigten Kaiser Franz II. Pläne und Vorschläge über die Errichtung eines Polytechnischen Instituts höheren Ranges. Die Napoleonischen Kriege verzögerten die Vorbereitungen, mit denen schließlich der Direktor der Wiener Realakademie Johann Joseph Ritter von Prechtl betraut wurde. Das nach seinen Plänen, die aber Kaiser Franz oft nachhaltig beeinflußt, errichtete Polytechnische Institut schloß die Wiener Realakademie als Vorbereitungsschule und das k.k. Fabrikproduktenkabinett als Sammlung, die durch das physikalische Kabinett des Kaisers ergänzt wurde, mit ein. Der Organisationsplan Prechtls gestaltete das Institut als eine den Universitäten gleichrangige Hochschule. Die Professoren des Polytechnikums waren den Professoren der philosophischen Fakultät gleichgestellt, die Hörer wie die Studenten der Universität vom Militärdienst befreit. Bei der Gründung wurden acht Lehrkanzeln geschaffen, die mit hervorragenden Fachleuten, die zum Teil aus der Praxis kamen, besetzt wurden.

Unter der umsichtigen Leitung Prechtls blühte das Institut auf und wurde zum Vorbild für viele Neugründungen ähnlicher Art im deutschen Sprachraum. Eine große Reihe glänzender Namen der Technik sind in irgendeiner Form mit dem Polytechnischen Institut in Wien verknüpft.

Rückhalt der Wirtschaft

Die Ereignisse des Jahres 1848 trafen das Institut schwer, die Unruhen machten auch vor ihm nicht iialt; es wurde am 7. Mai 1848 geschlossen. Prechtl nahm seinen Abschied, Professor Adam von Burg übernahm die Direktion, doch wurde et bald durch einen militärischen Leiter ersetzt. Erst 1858 wurde wie-ier ein Professor Direktor, das Polytechnikum konnte sich wieder seinen praktischen und wissenschaftlichen Aufgaben widmen. 1865 trat der erste vom Professorenkollegium frei gewählte Rektor sein Amt an, 1901 erhielt die Hochschule das Promotionsrecht.

Heute muß man die Weitsicht der Gründer bewundern, die zu einer Zeit, in der die Technik kaum noch lie ersten schüchternen Gehversuche gemacht hatte, nicht nur die Notwendigkeit einer solchen Hochschule erkannten, sondern ihr auch einen >rganisatorischen Rahmen zu geben wußten, der ihrer Entfaltung in jeder Beziehung Raum gab und im Prinzip Iis heute erhalten blieb. Was die rechnische Hochschule für Österreich ind Wien bedeutet, wird in den Festschriften, die anläßlich des fubiläums erscheinen werden, ausführlich geschildert werden. Als Schlaglicht sei nur eine Bemerkung des Präsidenten des österreichischen [ndustriellenverbandes angeführt, laß der Wiederaufbau der österreichischen Industrie nach dem zweiten Weltkrieg unmöglich gewesen wäre, wenn die Hochschule nicht die notwendigen Ingenieure geliefert und lie Wirtschaft in ihr nicht einen Eachlichen Rückhalt gefunden hätte.

Große Aufgaben zu lösen

Die Aufgaben, die die kommenden Jahrzehnte der Hochschule stellen werden, sind sehr groß.

Daß die weitere Entwicklung der Technik, die Grundlage unserer Wirtschaft und unseres Wohlstandes, immer höhere Ansprüche an Wissenschaft und Forschung stellen wird, laß die Erfüllung dieser Anforderungen, die Erhaltung des wissenschaftlichen und technischen Niveaus, lamit der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft größte Anstrengungen fordert, ist zwar eine 3insanwahrheit geworden, doch werden die nötigen Folgerungen nur sehr :ögernd gezogen. Es muß in aller Deutlichkeit gesagt werden, daß für liese Aufgaben wirklich Opfer gebracht werden müssen.

Die Technische Hochschule hat mentwegt auf die Notwendigkeiten hingewiesen, hiefür Pläne erstellt die ohnehin an der untersten Grenzi des Erfordernisses liegen, docl schreitet die Verwirklichung in einen derart zögernden Tempo vorwärts daß der Fachmann sich ernste Sorgen machen muß, mehr noch, er es als zwecklos ablehnt, weitergehend« Perspektiven ins Auge zu fassen.

Im eigenen Bereich hat die Hochschule in jüngster Zeit getan, wai in ihren Kräften stand: sie hat in Verein mit der Wirtschaft einer Wahlplan erstellt, der Ingenieure mii betriebswissenschaftlicher Schulung heranbildet und damit einem drängenden Bedürfnis der Praxis abgeholfen. Der zunehmenden Bedeutung der chemischen Industrie Rechnung tragend, hat sie einen Lehrgang füi Verfahrensingenieure neu eingerichtet. Ingenieure, die die Probleme des modernen Verkehrs beherrschen können sich nun in einem Wahlplar für Verkehrstechnik und Fahrzeugbau die nötige Ausbildung sichern. Ein kürzlich ins Leben gerufenei Hochschulikurs, „Moderne Rechentechnik“, bildet Mathematiker heran, die die in der Wirtschaft auftretenden mathematischen Fragestellunger und ihre Lösungen insbesondere aui neuzeitlichen Maschinen beherrschen

überbeanspruchte Lehrer

Daneben aber müssen selbstverständlich die traditionellen Studienrichtungen betreut und ausgebaut werden, sodaß die Inanspruchnahme des Lehrkörpers durch die Lehrtätigkeit allein schon ein kaum erträgliches Maß erreicht hat. Aber di« Lehre ist nicht das einzige Gebiet das die Hochschule zu bearbeiten hat Wissenschaftler haben nun einma das Bedürfnis und den Ehrgeiz aucl am Ausbau ihrer Fächer zu arbeiter und bei der engen Verflechtung dei technischen Wissenschaften mit dei Wirtschaft erwartet auch diese Anregungen und Fortschritte, will beraten werden, benötigt Gutachtei und Prüfer. Alle diese Aufgaber müssen ihre Berücksichtigung finden. Schließlich aber sind sich di( Technik, besser ihre Träger, ■ die Ingenieure, bewußt geworden, dal sie die modernen Lebensformer ermöglicht und geschaffen haben daß sie Kulturträger sind. Auch aus diesem Bewußtsein wird die Hochschule in Zukunft Folgerungen zi ziehen haben, indem sie die Probleme „Mensch und Technik“ unc „Gesellschaft und Technik“ in ihre Gedankenarbeit einbezieht.

Uberblickt man also den Aufgabenbereich der Hochschule und überlegt, wie groß sein Einfluß auf alle Lebensbereiche ist und wie rasch ei in naher Zukunft noch wachsen wird dann wird auch der innere Sinn dei Jubiläumsfeier deutlich: die ganze Öffentlichkeit an ihre Verantwortung zu mahnen und sie aufzufordern ebenso weitsichtig, überlegt und opferbereit für die Zukunft zu handeln, wie es die Gründer der Technischen Hochschule in Wien vor 150 Jahren unter wesentlich un-»ünstieeren Verhältnissen taten.

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