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Vorwort zu einem großen Tag

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Nun ist der Tag vor der Tür, an dem das österreichische Volk zum ersten Male berufen ist, sein Staatsoberhaupt unmittelbar zu wählen. Während der Wochen, die hinter uns liegen, Vorbereitung eines bedeutungsvollen Tages, hat es in einer friedsamen Generalmobilisierung aufs neue die Probe seiner Demokratie bestanden, Landauf, landab bis in das letzte Alpendorf rollten die Versammlungswellen, das Aufgebot der Wähler zur Begegnung mit den Männern, die sich um ihr Vertrauen bewarben und in persönlicher Fühlung mit dem Volke dessen Urteil über ihr Wesen und Wollen anzurufen sich verpflichtet fühlten. Die große Versammlungstour, in der innerhalb kurzer Frist Dr. Gleißner in mehr als 100 Versammlungen sprach, auch trotz seines Alters Bürgermeister Körner und in gewissem Abstand auch der kommunistische Wahlwerber eine ungewöhnliche geistige und physische Leistung vollbrachten, verlief ohne den geringsten störenden Zwischenfall. Auch diesmal standen sich Weltanschauungen und weit verschiedene politische Bekenntnisse gegenüber. Die Massen bewahrten in diesem Vorspiel zum ersten direkten Volksentscheid eine disziplinierte Haltung, der niemand die Achtung wird versagen können. Der künftige Bundespräsident wird nach dieser Erfahrung zu erwägen haben, ob die ihm zustehende und bisher nie geübte Anordnung von Volksabstimmungen für sehr bedeutende Anlässe nicht zum Leben erweckt werden soll, schon um den Ressentiments gegen Parlament und Politik, den künstlich genährten und den begründeten, zu begegnen und Gesetzgebung und Volk einander näher zu bringen.

Eine volle Krönung der Demokratie wäre es gewesen, hätte auf die Haltung der Bevölkerung in dem Vorakt zur Wahl des Bundespräsidenten der Presseapparat der Parteien in gleicher Art geantwortet. Es sei hier nicht von den wilden Analysen die Rede, die zwischen ehemaligen Gruppen des nationalsozialistischen Lagers sich abspielten, etwa der „nationalen Liga“, einer Sekte, die mit der kennzeichnenden, nihilistischen Losung „Wählet ungültig“ auszog und im übrigen sich bemühte, die Kandidatur Breitners in dem „Sumpf des VdU“ zu ertränken; derartige Überbleibsel aus der Substanz überalterter politischer Gebilde werden mit der Zeit verschwinden und brauchen nicht viel Sorge zu machen. Ein anderes aber ist es, was sich trotz des im März zwischen den beiden großen Parteien geschlossenen Traktats zur Sicherung einer honetten Wahlvorbereitung ereignen konnte. Es geht hier nicht um Katzbalgereien, nicht um das Verlangen, dort fortzusetzen, wo andere aufgehört haben, gegen das Staatsinteresse und die Stabilität und Sicherheit unserer öffentlichen Ordnung zu handeln. Es muß vielmehr die Frage aufgeworfen werden, ob diejenigen, die innerhalb der Wahldebatten ein Geschoß aus der sozialistischen Presse hinausschleuderten, wi^ es seit langem nicht mehr die Atmosphäre vergiftet hat, sich bewußt “und gewillt sind, die Verantwortung für diese nicht mit dem unmittelbaren zeitlichen Anlaß verschwindende Verletzung der geschichtlichen Wahrheit und der Ehre des Gegners, aber auch der staatsnotwendigen Koordination der Kräfte angesichts der ringsum lagernden Gefahren zu tragen. Diese Frage muß mit um so größerem Ernste gestellt werden, als die bösartige Entladung nicht unter den Händen eines journalistischen Galopins geschah, der sein Tun nicht ermaß, sondern entzündet wurde durch den Führer des sozialistischen Hauptorgans, eines Publizisten von Erfahrung und Rang, dessen Mut in der Auseinandersetzung um den Marxismus und gegen den kommunistischen Widersacher aller Instanzen oft genug Respekt eingeflößt hat. Es darf nicht geschehen, daß durch duldsames Schweigen eine Geschichtslüge verkalkt, die Ehre eines redlichen und verdienten Österreichers in den Staub gezogen und das loyale Nebeneinander verkürzt wird, namentlich dann, wenn es für absehbare Zeit nur mit Lebensgefahr für Freiheit und Demokratie aufgegeben werden könnte.-

In der bezogenen Auseinandersetzung des sozialistischen Hauptorgans wurde der gewesene Bundespräsident Miklas beschuldigt, „nach dem Verrat an der Demokratie den Hochverrat an Österreich sanktioniert“ zu haben. Es sei hier unterlassen, auf die gehäuften sonstigen Bezichtigungen einzugehen, darauf, daß er „ein Beispiel“ gewesen sei, das sofort auf den nunmehrigen Bundespräsidentschaftskandidaten der Volkspartei in halbverhüllten Wendungen umgedeutet wurde. Diese Zeilen seien beschränkt auf die Feststellung von Tatsachen, die auf irgendeine Weise aus dem Gesichtsfeld sozialistischer Geschichtsbetrachtung verschwunden sind.

Es sollte füglich bekannt sein, daß der gewesene Bundespräsident als Freund und engster politischer Gesinnungsgenosse Leopold Kunschaks zu jener Reihe christlichsozialer Politiker gehörte, die selbst noch, als verschiedene Verständigungsversuche mit der sozialdemokratiechen Opposition mißlungen waren, in einer hoffnungslos erscheinenden Lage noch die Demokratie zu retten suchten. Es gibt genug lebende Zeugen dafür, daß gerade der heute so schwer verunglimpfte damalige Bundespräsident leidenschaftlicher Anwalt dieses Konzepts war, so sehr, daß seine Haltung mehr als einmal kritische Situationen herbeiführte, aus denen die eingetretene Radikalisierung der Gegensätze auf allen innerpolitischen Fronten einen normalen Ausweg versperrte. Und dann kam jener 12. März 1938. Wer jenen von ungeheuerlichen Spannungen geladenen Tag, dessen Ereignisse den Untergang des österreichischen Vaterlandes zu bedeuten schienen, aus der Nähe des Geschehens miterlebt hat, kann nur mit höchster Achtung des mannhaften Verhaltens des Bundespräsidenten in jenen furchtbaren Stunden der Entscheidung gedenken. Als um 2 Uhr, mit Flugzeug aus Berlin eingelangt, der Staatssekretär Kepler als Abgesandter Hitlers in der Präsidentschaftskanzlei am Ballhausplatz die drohende ultimative Forderung nach Einsetzung einer nationalsozialistischen Regierung überreichte, verließ er sie bald mit der unzweideutigen Ablehnung des Bundespräsidenten. Eineinhalb Stunden später erschien der Militärattache der deutschen Gesandtschaft, Generalleutnant Muff, und überreichte im Auftrage des Generalfeldmarschalls Göring das militärische, mit 19.30 Uhr befristete Ultimatum: 200.000 Mann deutscher Truppen stünden bereit, die österreichische Grenze zu überschreiten. Abermals lehnte der Bundespräsident ab: „Ich werde das nicht tun, was Sie von mir verlangen, ich verletze nicht die beschworenen Pflichten meines Amtes.“ Der für abends angekündigte Einmarsch der Truppen unterblieb. Inzwischen war die Straße in Bewegung gekommen. Bewaffnete nationalsozialistische Formationen traten auf den Plan. Als um 19 Uhr Bundeskanzler Schusch-nigg dem Bundespräsidenten seine Demission überreichte und vorschlug, den Innenminister seines Kabinetts mit der vorläufigen Fortführung der Regierungs-. geschäfte zu betrauen, lehnte der Bundespräsident die Demission ab und versuchte, das Schicksal noch in österreichischen Händen zu halten.

Noch waren alle Handlungen darauf gerichtet, nach Hilfe auszuschauen, die internationale Lage zu klären. Erst gegen Mitternacht, als sich gezeigt hatte, daß die europäischen Großmächte untätig bleiben und der drohenden Vergewaltigung des kleinen Landes durch Hitler freien Lauf gewähren, veranlaßte der Bundespräsident die um 23.35 Uhr ausgegebene Rundfunkverlautbarung, daß der Innenminister Seiß-Inquart von ihm mit der Führung der Regierungsgeschäfte betraut worden sei.

Einige Stunden später donnerten die Motoren der Panzer und Bomber über den österreichischen Grenzraum — zu einem „Freundschaftsbesuch“, wie die offizielle Verlautbarung die Österreicher versicherte. Alle menschliche Hilfe hatte versagt, keine innerösterreichische Kraft hätte das Geschehen mehr abwenden können, auch nicht ein sozialdemokratisches Staatsoberhaupt.

Bis zur letzten Stunde hatte Miklas auf seinem Posten ausgeharrt,' Steuermann auf sinkendem Schiff, ein hartes Schicksal erwartend. Als Dank Demütigung und Verunglimpfung, eine bittere persönliche Erfahrung für einen alten wehrlosen Mann, aber auch eine bittere Erfahrung für alle, welche eine ausnahmslos gültige Verpflichtung darin sehen, unser öffentliches Leben von ungezähmter Leidenschaft, Unrecht und Haß zu befreien und mitzuwirken an einer Gemeinbürgschaft der anständigen Menschen: Freiheit dem grundsätzlichen Bekenntnis, Freiheit der Entfaltung aller gesunden Kräfte, Freiheit dem ehrlichen offenen Wort, Achtung vor der sittlichen Persönlichkeit des Nächsten und vor allen weltlichen Gütern Liebe für das bedrängte Vaterland! Das ist die Schuld eines jeden an das Gemeinwohl.

Vielleicht mußte unsere Öffentlichkeit die häßliche Zwischenszene in der Einleitung zur Bundespräsidentenwahl erleben, um gewissenaufrüttend daran erinnert zu werden, wie große Güter für Volk und Staat in diesem Wahlentscheid vom 6. Mai noch in die Scheuer zu bringen sind. f

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