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„Vulgär-Antikommunismus“

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Der folgende Aufsatz aus der Feder einer verantwortungsbewußten Persönlichkeit der politischen Emigration aus den Oststaaten zeigt ein Problem auf, das von vielem gerne geflissentlich übersehen, von manchen geringschätzig behandelt oder gar abgetan zu werden pflegt. Die wenigen, die seine ganze Gefährlichkeit — für die westliche und abendländische Welt — erkennen, schweigen oft, weil sie befürchten müssen, mißverstanden beziehungsweise als „Kryptokommunisten“ oder zumindest Schrittmacher des Bolschewismus verdächtigt zu werden. Die „österreichische Furche“ hält es ihrer weltanschaulich klaren Linie angemessen, der Sicht auf dieses heikle Problem nicht auszuweichen. Nicht die sind ja die Verteidiger Europas, seiner Kultur, der Freiheit und seines Glaubens, die heute oft am lautesten schreien, die mit der Parole „In diesem Kampf sind alle Mittel (also auch — und gerade — die des Gegners!) recht“ Gefahr laufen, sehr wider ihren eigenen Willen dem Gegner Schützenhilfe zu leisten, einfach, weil sie nicht sehen wollen, daß ihre „antibolschewistische“ Propaganda und Nachrichtentechnik die Erkenntnis der wahren Lage und der einen und unteilbaren Wirklichkeit ebenso vernebelt wie die ihrer Feinde. Demgegenüber hält der folgende Aufsatz fest: nur eine grundlegende Umstellung der zumeis von Emigranten geleiteten westlichen O s t propaganda auf eine Ostdokumentation kann dem Westen helfen, sich sachlich, schnell und politisch wirksam über die Lage zu informieren, gemäß dem alten Wort: „Richtig sehen, dann richtig handelnl“

„Die österreichische Furche“

Der BertBrechtsdie Satz, wonach erst das „Fressen“ und erst dann die Moral komme, ist das abschreckende Beispiel eines verachtungswürdigen „Vulgär-Marxismus“,

wie er einmal im Weimarer Deutschland propagiert wurde. Wenn jemand bei uns nach diesem Beispiel, das Schlagwort „Vulgär-Antikommunismus“ prägen wollte, würden die entsprechenden Belege bald eine kleine Bibliothek füllen.

Das Material ist tatsächlich reich- Es seien hier zur Illustration, und nur beispielsweise, Presse- und Rundfunkmeldungen, das heutige Ungarn betreffend, angeführt.

Man kann freilich vorerst kaum mehr tun, als den falschen Weg erkenntlich machen. Man kann nur sagen: Diese Waffen sind rostig, sie sind für uns schädlicher als für den Gegner, ja, sie sind seine regelrechten Verbündeten. Die richtigen Waffen sind nicht so leicht bei der Hand. Der Zugang zu ihnen ist raffiniert erschwert.

Anfang Dezember vorigen Jahres ging eine Nachricht durch die Zeitungen: „Die Budapester Regnum - Marianum - Kirche, ein „Nationalheiligtum der Ungarn“, soll „demoliert werden“, um einer Stalin- Statue Platz zu machen. Die Tatsachen: Die Kirche war in der Zwischenkriegszeit am Budapester Stadtwäldchen in einem romanisierenden Baukastenstil errichtet worden, am Kriegsende stand sie total bombenbeschädigt da. Die Bezeichnung „Nationalheiligtum der Ungarn“ war aus der Luft gegriffen. Um dieselbe Zeit hieß es: „Die ungarische Regierung verfügte die Abschaffung des Doktortitels, mit Ausnahme des Titels ,Dr. der schönen Künste’, der ohne Rücksicht auf die Vorbildung verliehen werden soll.“ Mit Ausnahme der falschen Zutat „ohne Rücksicht auf die Vorbildung“ steht nur fest, daß man das sowjetische System einführte, das übrigens dem der USA im Prinzip nachgebildet wurde. Es wäre gewiß lohnend, sich mit dem Hochschulwesen der Volksdemokratien kritisch auseinanderzusetzen, dazu leisten aber solche nichtssagende oder entstellende Meldungen so gut wie keinen Beitrag. Andere „Kultumachrichten“, wie jene, wonach auf den ungarischen Hochschulen nur „Arbeitersöfine“ als „zuverlässig“ betrachtet und zum Studium zugelassen werden, oder daß in den Theatern mit Vorliebe „Der Kaufmann von Venedig“ ąufgefūhrt wird, zeugen von einer vollen Verwirrung der Tatsachen.

Emstzunehmende Argumente sammeln, konzentriert denken, mühsame Kleinarbeit leisten, ist immer unbequem. Bequemer ist es, der Phantasie der Masse, die ja durch Kino und Lektüre anspruchsvoll geworden ist, und jede auch tatsächlich grauenvolle Begebenheit noch bei weitem überflügelt, neue Nahrung zu geben und dadurch Angst und Hysterie zu erzeugen. Wem zu Nutzen? So berichteten westliche Rundfunkstationen von dem folgenden Fall: „Achtzig ungarische Bergwerksleute wurden von der Polizei über den Haufen geschossen und die Leichen sodann der nächsten Schicht gezeigt, um die Arbeitsmoral letzterer dadurch zu heben … Ein Flüchtling berichtete davon… bisher noch unbestätigt…“

— verlautet es, dann, einige Tage später: „Budapest dementiert nicht, es ist also wahr.“ Dje Zeitungsmeldungen beriefen sich dann nicht mehr auf den Flüchtling, sondern auf die sonst als seriös bekannte Londoner Quelle. Es ist hier das Wesentliche nicht, daß Budapest die Nachricht tatsächlich dementiert hat — die psychologischen Risse und Lücken der „Nachricht“ lagen auch so schon handgreiflich da. Und doch wurden die Nachrichten verbreitet…

Bei dem Grßsz-Prozeß im Vorjahr dagegen machte es peinlichen Eindruck, als von einer zielbewußten Prozeßführung die sozialen Mißstände auf dem ehemaligen kirchlichen Großgrundbesitz — im Ausland unwidersprochen — vorgebracht wurden. Viele Katholiken saßen damals beim Radio und erwarteten, erschüttert oder verwirrt, daß einer „ihrer“ Emigranten im Ausland das Wort ergreife, übertriebenes richtigstelle, aber auch geschehene Fehler bekenne. Nichts davon geschah.

Eine Gewaltaktion, schon im Hinblick auf ihre rücksichtslosen Formen, stellte vor Jahresfrist die Evakuierung von mehreren Tausend in den Augen des derzeitigen ungarischen Regimes „unbrauchbarer“ Menschen dar — ehemaliger höherer Offiziere, Beamten, Industriellen, Aristokraten, Minister, sogar Polizeichefs aus der Horthy-Zeit. Das war ein schändliches Handeln gegen die elementarsten Gesetze der Menschlichkeit — und darüber hinaus ein psychologischer Fehler in der „Strategie“. Aber diesen Fehler machten dann jene westlichen Organe wenigstens teilweise wieder „wett“, die von einer „Deportierung des arbeitenden Mittelstandes“ und über eine neue „rassische Diskriminierung“ Klage führten. Denn jedermann in Ungarn mußte sehen, daß die Meldungen in dieser Form unrichtig waren. Die ungarischen Zeitungen brauchten also nur mehr aus westlichen Zeitungen zitieren, um die Sicht und die instinktiv-naive Urteilsbildung der führerlosen ungarischen Massen noch mehr zu verwirren und daraus zweifellos taktischen Nutzen zu ziehen.

Nun böte das bekannte Münchener „Radio Freies Europa“ eine noch einmalige Gelegenheit, diesen führerlosen und teilweise desorientierten Massen das zu geben, dessen sie im eigenen, wie des Westens Interesse so bitter bedürfen. Aus einer ernsten, systematischen, allgemein verständlichen Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis des Marxismus-Leninismus würden diese, da sie nicht nur die passiven Teilnehmer, sondern an Ort und Stelle die unmittelbaren Zeugen wären, Nutzen ziehen können, über die eigentliche positive Aufgabe einer solchen Institution, nämlich die Vermittlung einer christlichen europäischen Kulturtradition sowie über die bisherigen Fortschritte auf diesem Wege zu sprechen, würde den Rahmen dieser Betrachtungen sprengen. Es sei aber daran erinnert, daß Salvador de Madariaga einer „Osteuropäischen Konferenz“ in London im Jänner dieses Jahres die Schaffung einer „Rund- funkuniversität“ vorschlug, die die Geschichtsfälschungen und den Mißbrauch der anderen Wissenschaftszweige durch die Kommunisten zu bekämpfen hätte. Er betonte, daß diese Rundfunkuniversität kein Propagandainstrument sein sollte, sondern „ręin wissenschaftliche Ziele verfolgen müßte“. Leider muß man sagen, daß zur Verwirklichung solcher Absichten erst eine Strukturänderung im bisher praktizierten Verfahren erfolgen müßte. Die angeführten und andere ähnliche „Nachrichten aus dem Osten“ stammen bekanntlich meistens von Flüchtlingen, vorwiegend Politikern und Journalisten, die unmittelbaren Zugang zu den westlichen Redaktionen haben. Man stelle sich das seelische Klima der Emigranten vor — geschichtliche Parallelen gibt es in großer Zahl —, und wird sich nicht weiter darüber wundern, daß sie schwer Unbefangenheit, Geduld und den nötigen Realitätssinn zu einer feinmaschigen Kleinarbeit und strengen Sachlichkeit aufbringen und glauben, daß es ausreicht, wenn sie die Methoden der anderen Seite einfach übernehmen. So entsteht eine Art Ballspiel: hüben wie drüben.

Die übliche Entschuldigung freilich lautet: „Die Amerikaner“ sind es, die heutzutage auch im Pressewesen dominieren. Die Amerikaner? Gerade die amerikanische „Neue Zeitung“ in Deutsch

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