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VW 1600 L: Berg- und Talbahn

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Es kommt selten vor, daß man sich „auf den ersten Blick“ in einen Testwagen verliebt. Bei den meisten Fahrzeugen treten anfangs eher die negativen Eigenschaften in Erscheinung, und es gibt bekanntlich kein Fahrzeug, das nicht neben Plus- auch Minuspunkte hätte, denn es ist ja immer ein Kompromiß. Da empfindet man allein die unterschiedliche Lage zum Beispiel der Handbremse oder des Rückspiegels gegenüber dem gewohnten und liebgewonnenen eigenen Fahrzeug als störend. Erst recht gilt das natürlich vom Getriebe, nicht nur von der Art seiner Betätigung, sondern auch von seiner Bauweise.

Der VW 1600 L ist zumindest für denjeni- u gen, der nicht Wagen aus dem Wolfsburger Stahl regelmäßig zu fahren gewohnt ist, eines jener Fahrzeuge, an die man sich erst gewöhnen muß. Der erste Eindruck war, was Form, Dimension — es handelte sich um einen Combi — und Einstiegsmöglichkeiten anbelangt, durchaus nicht negativ, aber dann fing der Nörgler, der in jedem Tester schlummert, seine Stimme zu erheben an: Warum verstellt mir der Rückspiegel einen Teil der Sicht durch die Windschutzscheibe? Warum ist das Gaspedal relativ weit vom Bremspedal entfernt? Warum muß ich, um den Hebel der Getriebeautomatik von der Parkstellung in die Nullstellung zu bringen —ansonsten startet der Motor nämlich nicht —, eine Art „Berg- und Talbahn“ überwinden? Gewiß, am Armaturenbrett ist das fein säuberlich aufgezeichnet, wer Augen hat, zu lesen, versteht die Anleitung sofort, auch wenn er das Betriebshandbuch vorher nicht gelesen hat.

So zumindest erging es mir, als ich das Fahrzeug für eine längere Reise über Autobahnen, durch enge Dorfstraßen Süddeutschlands, aber auch über hohe Pässe in der Schweiz übernahm. Schneller, als ich dachte und als es sonst der Fall zu sein pflegt, war die Umstellung vollzogen, die anfängliche Befremdung ob dieser oder jener Kleinigkeit vergessen, und trotz voller Auslastung des Fahrzeuges, zwei Erwachsene, zwei Kinder und die Kofferräume voll bis auf das Letzte, jedoch ohne Sichtbehinderung nach hinten, ging M bei glühender Hitze flott los. Der Testwagen hatte knapp 10.000 km auf dem Tachometer, und so konnte er gleich von allem Anfang an voll ausgefahren werden.

„Weiche“ Gänge

Grundsätzlich kann dieses Fahrzeug auf Stufe 3 ohne jedes Schalten gefahren werden. Drückt man das Gaspedal ständig durch, erreicht man gute Beschleunigungen. Tut man das nicht, schaltet die Automatik relativ bald hinauf, und die Beschleunigung wird dadurch ein wenig herabgesetzt Bei scharfem Durchtreten des Gaspedals, „kick down“, verspürt man deutlich den Vollgaspunkt und ohne Betätigung des Wählhebels wird im Bedarfsfälle bis etwa 90 km pro Stunde herun- tergeschaltet. Bei Bergfahrten, besonders im Kolonnenverkehr, oder in Kurven wird man beachten müssen, daß die Automatik anders reagiert, als wenn man selbst schalten würde. Stellt man den Wählhebel auf Stufe 2, dann kann die Automatik nicht mehr in der 3. Fahrbereich hochschalten, man kann mi der gleichen Untersetzung beschleunigen unc vermeidet so die leichte Verzögerung de: Schaltvonganges. Das gleiche wiederholt siel in allen jenen Fällen, in denen der erste Fahrbereich verwendet werden muß. Eines steht fest: Diese Automatik nimmt es mit jeder ausgeklügelten amerikanischen Schaltung auf. Es ist eine wahre Freude, die Weichheit des Gangwechsels zu beobachten; hat man sich einmal an das Fahrzeug gewöhnt, dann spürt man durch entsprechende Dosierung beim Anfahren kaum den bei jeder Automatik vorhandenen leichten Ruck. Auf Gefällsstrecken ist allerdings die Bremswirkung der beiden unteren Stufen nicht überwältigend. Trotzdem hatten wir auch auf langen und steilen Gefällen niemals ein Gefühl der Unsicherheit

So ideal das Getriebe an sich ist und so gut es auf den Motor abgestimmt erscheint, würde man sich doch bei diesem Wagen mit 54 PS ein etwas Mehr an Leistung wünschen. Auch ein Ölkühler würde zu einer weiteren Vervollkommnung beitragen. Bei Höchstbe- sehleuniigung schaltet die Automatik weich und exakt bei etwa 60 km h in dien zweiten Fahrbereich und bei etwa 95 km h in die höchste Stufe. Tritt man das Gaspedal nur teilweise durch, dann liegen die Umschaltdrehzahlen niedriger. Eine gewisse Vorsicht ist in jenen Fällen notwendig, da der Wagen zum Beispiel, wenn die Batterie oder der Anlasser versagt, abgeschleppt werden müßte. Das darf nur über kurze Distanzen und mit mäßiger Geschwindigkeit erfolgen. Bei der bekannten Zuverlässigkeit aller

VW-Typen dürfte man selten in diese Lage kommen.

Man hätte erwarten können, daß die Spitzengeschwindigkeit den Annehmlichkeiten der Automatik geopfert werden- muß. Wir haben trotz starker Belastung mit dem VW 1600 L die vom Werk angegebene Höchstgeschwindigkeit von 130 km pro Stunde sogar leicht überschreiten können. Die Tachometerskala, die bei 60 km h um fünf Prozent zu viel anzeigt, ist bei 120 km h recht genau.

Doch nun zum — neben der Automatik — Bestechendsten an diesem Wagen: Es ist die außerordentlich gute Straßenlage. Von früheren Erfahrungen gewitzigt, tasteten wir uns nur mit einer gewissen Zurückhaltung an den Grenzbereich heran. Wir fanden, daß dieser VW der gutmütigste von allen bisher getesteten ist. Seitenwindempfindlichkeit ist nur dann vorhanden, wenn der vordere Kofferraum leer ist. Etwa 30 Kilogramm Gepäck, vorne verstaut, machen da? Fahrzeug stabil, die erwartete Übersteuerungstendenz blieb aus, in gewissen Situationen gab es sogar ein leichtes Untersteuern, man darf also mit Fug und Recht von einem weitgehend neutralen Verhalten des Fahrzeuges sprechen. Allerdings wurde diese hervorragende, der Sicherheit dienende Eigenschaft nur durch eine aufwendige Achskonstruktion möglich: die neue Porsche-Doppelgelenkhinterachse trägt wesentlich zur Verbesserung der Straßenlage bei.

Heißer Motor

Mag das die bedeutendste Neuerung an dieser Type sein, auch andere Veränderungen in Kleinigkeiten fallen angenehm auf. Etwa der Verriegelungsknopf in den Rückenlehnen der Vordersitze oder die Griffe an den Türen mit dem nach innen verlegten Druckknopf, mit dessen Hilfe man das Abschließen ohne Schlüssel erleichtert und gleichzeitig das Sichausschließen verhindert. Apropos Schlüssel: Warum muß man bei einem Fahrzeug, dessen qualitative Ausführung sprichwörtlich ist, Schwierigkeiten beim Einführen der Schlüssel in die Türschlösser haben? Sehr häufig passiert es nämlich, daß der Schlüssel „hackelt“, und das wäre, nicht nötig. Ein Sonderlob verdient.die. leichtgängige Lenkung, sie ist sehr direkt, das Einparken ist ein Kinderspiel, und Korrekturen bei rascher Fahrt sind leicht durchführbar. Das Zweikreisbremssystem ist ganz hervorragend, wir würden uns allerdings einen etwas geringeren Pedaldruck wünschen.

Die Karosserie könnte in den Innenmassen breiter sein, die Kofferräume, obwohl nicht übertrieben groß, genügten für unsere Zwecke vollauf, bei der Verteilung des Gepäcks allerdings ist es notwendig, alle wärmeempfindlichen Gegenstände, erst recht Reiseproviant, nicht hinten, sondern vorne zu verstauen, denn die Hitzeentwicklung, besonders bei hohen Außentemperaturen sei-

tens des Unterflurmotors, ist merkbar. Die Armstützen für die vorne Sitzenden sind angenehm, ihre Fortsetzung nach vorne mündet in einem nach unten geneigten Griff, sie laden den Beifahrer zum Festhalten während der Fahrt mehr ein als die Haltevorrichtung vor ihm am Armaturenbrett Mustergültig sind die Maßnahmen in punkto passiver Sicherheit, Plastikknöpfe am Armaturenbrett und an den Fensterkurbeln sowie an den Riegeln bei den Dreieckfenstern, die allerdings etwas leichter zu betätigen sein sollten. Hervorragend die Geräuschdämpfung, Lüftungs- und Beheizungsregulierung. Letztere wirkt sogar bei Leerlauf, und erstere kann durch die aussteilbaren Fenster im Fond bedeutend gesteigert werden.

So rundet sich das Bild dieses Wolfsburger Erzeugnisses in der Zusammenfassung etwa folgendermaßen ab: Materialqualität und Verarbeitung außen und innen hervorragend, das Fahrwerk in jeder Beziehung einwandfrei, die Lenkung besonders angenehm, selbst lange und schwierige Strecken können ermüdungsfrei gefahren werden. Übersichtlichkeit der Instrumente, Bedienung, Scheibenwischer zweistufig, Geräuschpegel, Beheizung und Belüftung verdienen die höchstmöglichen Noten. Als Minuspunkte wäre eine gewisse Untermotorisierung, ein in der Breite etwas zu enger Innenraum und die bereits eingangs erwähnten, allerdings nicht in die Waagschale fallenden Kleinigkeiten zu erwähnen.

Wir haben die Beschleunigungswerte bei voller Belastung, vier Personen mit Gepäck, und dann ohne Gepäck mit bloß zwei Personen auf den Vordersitzen miteinander verglichen. Die Unterschiede waren kleiner als erwartet; gemessen wurde aus dem Stand im 3. Fahrbereich mit durchgetretenem Gaspedal, es ergaben sich von 0 bis 60 km h, belastet, 10 Sek., mit bloß zwei Personen 9 Sek., von 0 bis 80 km h waren es 16,1 Sek., 14,3 Sek., von 0 bis 100 km h kamen wir auf 25,4 Sek., 23,8 Sek. und schließlich von 0 auf 120 km h auf 45,6 Sek., 40,1 Sek.

Was uns bei dieser Fahrt am meisten überraschte, war der Benzinverbrauch. Wir haben einige Testberichte miteinander verglichen, die diesbezüglichen Zahlen lagen stets zwischen 11 und 14 Liter pro 100 km, je nach Fahrweise. Unser Gesamtverbrauch, Autobahn mit sehr scharfer Fahrt, Pässe, Stadtfahrten und zum Teil schlechte Normalstraßen, allerdings im „Bummeltempo“ gefahren, betrug 10,85 Liter Super pro 100 -tam Ebenso überraschend war der praktisch nicht vorhandene Ölverbrauch: Während der 2770 km langen Strecke kontrollierten wir gewissenhaft den Ölstand, besonders nach scharfer Autcbahnfahrt. Die Marke am ölmeßstab blieb unverändert, ein Nachfüllen war nie nötig. Zieht man die bekannt guten Kundendienste, die mäßigen Preise der Ersatzteile, den durchaus annehmbaren Treibstoffverbrauch, die verhältnismäßig niedrige Steuer, 720 Schilling pro Jahr, und den guten Wiederverkaufswert in Betracht, dann ergibt sich, daß dieser VW 1600 Variant Automatic nicht nur ein Fahrzeug ist, welches dem Benützer viel Freude beim Fahren macht und ihm ein Gefühl der Sicherheit verleiht, sondern daß es auch sehr wirtschaftlich ist.

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