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Wachtmeister für vier Wochen

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MONTAG: 1. TAG

Meine Einheit, die Funkkompanie eines Gruppen-Tel-Bataillons, hat im Vorjahr eine neue Unterkunft bezogen. Ich bin gespannt, ob sich viel . verändert hat. Seit der Umgliederung ist auch der 1. Juli Einrückungstag für Jungmänner. Ein sonderbares Gefühl, mit ihnen auf das Kasernentor zuzugehen. Einer winkt seiner Mutter, die etwas verschämt hinter dem Alleebaum steht. Einträchtig plaudernd wie eh und je verteilen die Vertreter der Jugendorganisationen der ÖVP und SPÖ ihre Flugblätter. Auch ich bekomme sie in die Hand gedrückt: „Wende dich mit deinen Anliegen direkt an die Beschwerdekommission beim Bundesministerium für Landes Verteidigung … Wir vertreten deine Interessen; wende dich an uns .. !"

Der Empfang ist freundlich; mancher ist über den unverhofften Zuwachs überrascht. Der Kommandant freut sich sichtlich und macht kein Hehl daraus, daß ihm besonders in der Urlaubszeit Hilfe bei der Ausbildung willkommen ist.

MITTWOCH: 3. TAG

Wir sind zu zweit. Der Sitz der Uniformen läßt zu wünschen, übrig — das Zivilleben in der Wohlstandsgesellschaft hat gewirkt; wir hoffen, ein paar Kilo herunterzutrainieren …

Das saubere, anfangs schmucklose Zimmer wird zusehends wohnlicher. Karten und Lehrtafeln haben wir als Wandschmuck ausgefaßt; eine Schreibtischlampe soll das Studieren der Vorschriften erleichtern. Pin-ups finden sich nicht an der Spindwand; an ihre Stelle ist der Dienstplan getreten, worin unsere Namen erschrek- kend oft in der Spalte „Leitender“ auf scheinen: Kommando beim Exerzieren, ein Vortrag über das Heeresdiszi- plinargesetz, Aufsicht beim Sport, Unterricht über „die Aufgaben des Bundesheeres und die möglichen militärischen Bedrohungen Österreichs". Da heißt es, sich gründlich vorzubereiten — vieles hat man doch schon vergessen.

DIENSTAG: 9. TAG

Zweimal in der Woche fahren wir auf Übung. Die Übungsvorbereitung besteht in der Ausarbeitung des Übungsbefehles, in der Durchführung der Übungsbesprechung und der Überwachung des Geräteverladens. Die Kaltverpflegung muß rechtzeitig bestellt und die Funkunterlagen müssen vorbereitet werden. Oft gibt es unvorhergesehene Schwierigkeiten: da ist ein Fahrzeug nicht einsatzfähig, weil es vorzeitig zur Überprüfung mußte — ein Wunder, was so ein GMC, Jahrgang 1940, überhaupt noch leistet! —, dort ein Truppkommandant erkrankt. Es zeigt sich, daß Organisieren erlernbar ist.

9.30 Uhr — Verkehrsaufnahme; die Funkverbindung haut hin wie noch nie. Bald treffen die ersten entschlüsselten Sprüche bei der Übungsleitung ein. Eine Richtfunkstelle meldet Ausfall eines Aggregates.

11.15 Uhr — Stellungswechsel. Um 15 Uhr kommt der Abbaubefehl. Bei der Rückfahrt in die Kaserne passiert es: eine lockere Sandstraße im Wienerwald, Gefälle, die Kurve um ein kleinwenig zu schnell angefahren, scharf gebremst — schon sitzt der schwere Lkw. mit dem Vorderrad im Graben. Gott sei Dank, niemand verletzt, doch ziemlicher Sachschaden. Hätte ich dem Jungmann doch den Befehl gegeben, die Strecke mit maximal 15 Kilometer je Stunde zu fahren! Nie zuvor ist mir die komplexe Verantwortlichkeit des Offiziersberufes so deutlich zu Bewußtsein gekommen. Außerdem: Woher soll das Bundesheer Lkw.-Fahrer mit Praxis nehmen, wenn schon zur soldatischen Ausbildung nicht genügend Kaderpersonal vorhanden ist?

FREITAG: 12. TAG

In der Wirtschaftskanzlei empfangen wir die um Taggeld und Dienstgradzulage vermehrte finanzielle Entschädigung für die Waffenübung im Ausmaß eines Monatsgehalts plus aliquoten Teilen.

Der Vormittag vergeht mit staatsbürgerlichem und wehrgeographischem Unterricht im Lehrsaal. Ich zeichne eine Skizze Österreichs an die Tafel; der beaufsichtigende Offizier läßt sich die einzelnen Bundesländer nennen. Auf die Frage „Wie heißt das westlichste Bundesland?“ verfällt einer der Jungmänner in betretenes Schweigen. Dafür platzt ein anderer mit der Behauptung heraus, ich hätte vergessen, die Grenze gegen Frankreich zu markieren. Ich bin heilfroh, daß ich eine Landkarte mitgebracht habe …

Mit Mühe kann ich den 40 versammelten Soldaten (darunter befinden sich auch zwei Akademiker) einen österreichischen Nobelpreisträger, nämlich Berta von Suttner, entlocken. Die nächste Antwort ist schon Auer von Welsbach. Resignierend versuche ich es schließlich mit einem Zahlenquiz:

1918? - 1934? - 1938? - 1945? - 1955? — verbunden mit der Preisfrage „Was wissen Sie über den 26. Oktober?“.

MONTAG; 22. TAG

Die neuen Bergschuhe, die wir ausgefaßt haben, sind jetzt eingetreten. Unser Verhältnis zu Offizieren und Kaderpersonal läßt nichts zu wünschen übrig. Die Unteroffiziere sind ausgesprochen kameradschaftlich und hilfsbereit; sie freuen sich, uns an ihrer praktischen Erfahrung teilnehmen zu lassen und uns kleine Vorteile zu zeigen — etwa, wie man bei einer Ausziehhemmung auf dem Schießstand die Patronenhülse rasch aus dem Lauf bekommt. Im Kasino werden wir von den Ordonnanzen zwar mit ausgesuchter Unfreundlichkeit behandelt, doch dürfte das eine allgemeine Erscheinung im Zeitalter der Selbstbedienung sein. Das Tischgespräch mit den Offizieren und waffenübenden Kriegsteilnehmern ist besonders interessant.

Am Abend üben wir mit der Mannschaft ein paar Lieder. Neu sind die meisten ja gerade nicht, obwohl sich manches Brauchbare im Liederschatz des jungen Bundesheeres findet. Leider aber nicht im frisch erschienenen Soldatenliederbuch …

DONNERSTAG: 25. TAG

Nun ist es soweit. Gestern hatten wir schriftliche Prüfung über ein allgemein-militärisches Thema. Heute läuft der praktische Teil der RO-Prü- fung in Anwesenheit eines hohen Offiziers ab: Lösung einer Gefechtsaufgabe mit Einsatztruppe, Exerzieren mit einem Zug und Fragen aus der Fachausbildung. Die Prüfung findet im Gelände statt, und unbarmherzig brennt die Sonne herunter. Nicht alles klappt, wie wir es von uns selbst gewünscht hätten, doch schließlich kommt die erlösende Mitteilung des Prüfungsergebnisses: mit Erfolg abgelegt. Der Bataillonskommandant nimmt uns formell in das Reserve-Offiziers-Korps auf.

Die Soldaten haben brav mitgetan, als wüßten sie, daß Versager nicht nur auf die Prüflinge, sondern letzten Endes auf die Einheit selbst zurückfallen. Uns aber gibt das die Gewißheit, daß sich schon etwas anfangen läßt mit unseren Soldaten, wenn man sie nur richtig anpackt und durch das eigene Vorbild mitreißt. Sicher ist es keine leichte Aufgabe für den ins Zivilleben zurückgekehrten und beruflich meist sehr ausgelasteten Maturanten oder Akademiker, durch eine freiwillige Waffenübung aktiv am Aufbau der militärischen Landesverteidigung mitzuarbeiten.

DENNOCH: WENN ICH DIE VIER WOCHEN nüchtern und ohne zeitfremde Romantik überdenke, so kommen sie mir trotz manchen Gegenargumenten gut angelegt vor.

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