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Wahlkampf schon entschieden?

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„So ein Tag, so wunderschön wie heute, so ein Tag kommt niemals mehr!” Aus den rauhen Kehlen tausender Stahlarbeiter der Dortmunder Hoesch-Werke tönte der Freu- dengesarag. Ihre plötzliche, wilde Streikaktion hatte zum Ziel geführt. 30 Pfennig mehr pro Stunde waren ihnen von der Betriebsleitung zugestanden worden. Wirtschaftsminister Schiller stimmte in den Freu- denjulbel ein und lohte, daß es in knapp zwei Tagen zu einer Einigung im Tariifkonflikt gekommen war. Eine Ungerechtigkeit im Lohngefüge der deutschen Stahlindustrie schien durch die radikale Aktion von 200.000 Arbeitern beseitigt. Den Arbeitern des Hoesch-Konizerns ging es nämlich nur um die Gleichstellung mit ihren Kollegen bei Thyssen und Mannesmann, .jag/maisoio non ist Daß der Freudengesang der Hoesclj- Arbeiter jedoch nur der Auftakt zu einer der größten Krisen in der bundesdeutschen Wirtschaft war, und kurz vor den Bundestagswahlen, das ahnte noch niemand. Erst als in den folgenden Tagen eine Welle wilder Streiks große Teile der eisenschaffenden Industrie und dann auch des Bergbaus heimsuchte, war die Krise offenkundig, die Experten bereits lange vorausgesehen haben. Daß sie jetzt mit soldier Heftigkeit ausgebrochen ist, daran trägt freilich in verschiedener Form der immer hef- tiaer werdende und sich immer stärker auf wi rt sch aftspoli tische Fragen konzentrierende Wahlkampf keine geringe Schuld.

Tatsache ist, daß Lohnerhöhungen in der stahlerzeugenden Industrie seit langem in der Luft lagen. Während der glühendheißen Julitage hatten die Arbeiter an den Hochöfen in zahllosen Überstunden Rekordmengen jenes im Zuge einer nicht vorhergesehenen Hochkonjunktur heiß- begehrten Stahls geschaffen. Die Stahlpreise schnellten in die Höhe, die Auftragsbücher der Stahl- konzeme quollen förmlich über. Jedem war klar, daß auch die Arbeiter ihren Anteil an diesen Gewinnen fordern würden.

Denn was die Gewerkschaft durch ihr langes Zuwarten zu verhindern versucht hatte, ist nun prompt und mit geradezu brutaler Heftigkeit eingetreten. Wohl haben etwa die Stahlarbeiter in Nordrhein-Westfalen eine , Lohnerhöhung …von • 11 Prozppt erhalten, doch erklärte, bereits Hermann Brandi, Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes Eisen- und Stahlindustrie, daß Lohnerhöhungen in diesem Ausmaß nicht mehr zu verantworten seien und nur der Ausweg in Preiserhöhungen bleibe. Gewerkschaftsvertreter aber erklärten, daß man sich noch nicht. zuMedengebem könne.

Eine Partei wie die CDU/CSU, die ihren Wahlkampf vornehmlich mit S ich e rhei tsp a rolen bestreitet, weist nun darauf hin, daß die Gewerkschaften ihre Leute nicht mehr unter Kontrolle haben, daß Minister Schiller durch seine Reden die streikenden Arbeiter ermutigt hat und daß die nun kommenden Preiserhöhungen dadurch provoziert wurden, daß Minister Schiller sie ewig als Folge der Nichtaufwertung an die Wand gemalt hätte. Die Arbeiter, diese Preissteigerungen befürchtend, hätten vorsorglich Lohnerhöhungen verlangt, die, nun tatsächlich zustandegekommen, wiederum Preissteigerungen provozieren. Frohlockend verkündet die CDU/CSU, daß Schillers konzentrierte Aktion zusammengebrochen sei. Wahlredner Strauß aber verkündet in bayrischen Bierzelten: „Das war doch alles professoraler Quatsch.”

Die SPD, die nun fürchten muß, daß angesichts der grölenden Scharen streikender Berg- und Stahlarbeiter etliche ihrer potentiellen Wähler ins konservative Lager abrutschen, sieht sich nun darin: bestätigt, daß es .’bei ‘ einer Aufwertung ‘der D-Mark nie •’ 1 so-’- weit gekommen wäre,1 dert-daTu!.’ nie diese Überhitzung der Konjunktur eingetreten wäre, die die Bundesrepublik nun mit ihren keineswegs immer positiven Folgen heimsucht. Sie sitzt hier jedoch am kürzeren Hebelarm. Wohl ist die Aufwertungsfrage zu einem Wahlschlager geworden, der jedoch durch seine etwas schwierige, für den Laien schwer zu entscheidende Problematik, in seinen Dimensionen schwer greifbar und übersehbar ist. Von den Streiks ist dies schwer, zu behaupten, da sie dem bundesdeutschen Bürger jeden Abend mit aller Deutlichkeit via Fernsehen in die gute Stube gebracht wurden.

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