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„Walküre“ in Wien

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DER 20. JULI IN ÖSTERREICH. Von Ludwig Jtdlieka. Sammlung „Das einsame Gewissen“. Betträge iiir Geschichte Österreichs 1938 bis 1945. Verlar Herold. Wien-München. 1865. 188 Selten. Preis 78 S.

Als der Leiter des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Wien genau vor zwei Jahren der „Furche“ einen Vorabdruck aus seinen Forschungen über den 20. Juli in Österreich zur Verfügung stellte C,Die Furche“ Nr. 29 bis 34, 1963), wußte er nicht, daß er dadurch das Erscheinen des geplanten Buches um ein Jahr verzögerte. Verzögerte und sein Buch bereicherte. Auf Grund der „Furche“-Veröffent-lichung meldeten sich nämlich noch verschiedene Persönlichkeiten, die wichtige Zeugenaussagen aus ihrem Erleben und Wissen zu machen hatten. Prinz Robert Arenberg — ein seinerzeitiger Mitarbeiter und persönlicher Freund von Oberst Marogna-Reduritz, der seine Rolle als Verbindungsoffizier der Bendlerstraße zu den eingeweihten Offizieren in Wien mit dem Tode bezahlte — war unter ihnen. Ferner meldete sich Professor Ludwig Reichold, der durch seine Forschung und theoretischen Arbeiten über die Arbeiterbewegung früh Kontakt zu dem Kreis um Jakob Kaiser gewann und von diesem sogar den Auftrag zur Skizzierung eines Sozialprogramms für die Erhebung erhielt. Fritz Bollmann, seinerzeit als Hauptmann Adjutant im Wehrkreis XVII wieder übergab dem Verfasser seine unmittelbar unter dem Eindruck der Ereignisse abgefaßte Niederschrift, und Mag. Josef Toch konnte durch seine inzwischen in Angriff genommene Arbeit über Robert Bernardts dem vorliegenden Werk wertvolle — den Lesern der „Furche“ ebenfalls durch einen Vorabdruck („Die Furche“ Nr. 29/1964) zum Teil schon bekannte — Einzelheiben über diesen Österreicher, der als enger Mitarbeiter und Vertrauter Staufenbergs in dessen Pläne genau so eingeweiht war wie er dessen Geschick teilte, bereichern.

So erschien das Buch nicht zum 20. Jahrestag der versuchten Erhebung deutscher Offiziere gegen Hitler, sondern ein Jahr später. Die historische Forschung wird es zu verschmerzen wissen, hat sie doch aus dieser durch einen „unvorsichti-

gen Vorabdruck“ in einer Wochenschrift bedingten Verzögerung großen Gewinn gezogen.

Ludwig Jedlickas Arbeit zielt darauf hin, ohne den „preußischen Kern“ der Erhebung in Frage stellen zu wollen, die „österreichische Nebenfront“ nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Denn sosehr die Planung und Erhebung von altpreußischen Elementen getragen wurde, sosehr zeigte sich doch innerhalb der Erhebung, aber auch durch sie bedingt, daß jene „gewissen Österreich-Tendenzen“, die niemand anderen als Kaltenbrunner Sorgen machten, beträchtlichen Auftrieb erhielten.

Daß die Männer des 20. Juli, allen voran Gördeler, auf ein Verbleiben Österreichs bei einem Deutschland nach Hitler ihre Hoffnungen setzten, wissen wir. Wir wissen aber auch aus den Memoiren des verstorbenen Bundespräsidenten Doktor Schärf und des ebenfalls verstorbenen ehemaligen Vizebürgermeisters von Wien, Lois Weinberger — beide waren direkte Gesprächspartner der Männer des 20. Juli —, daß solche Erwartungen von den Österreichern schon sehr früh enttäuscht werden mußten. Jedlicka kann auf Grund der Aussage von Prinz Robert Arenberg noch einen dritten Österreicher namhaft machen, bei dem ebenfalls sondiert wurde und der in seinem fernen Zwangsaufenthalt im Westerwald Gördeler eine ähnliche Antwort gab wie die Männer in Wien: Der ehemalige stellvertretende Chefredakteur der „Reichspost“, Oberst Walter Adam (S. 26). Auch steht Jedlicka eine persönliche Aussage von Altkanzler Schuschnigg zur Verfügung, gemäß der dieser von der viel beachteten und kommentierten Tatsache,, daß er auf Gördelers Kabinettsliste als Unterrichtsminister geführt wurde, erst 1945 erfahren hatte, geschweige vorher seine Zustimmung dazu gegeben hätte (S. 30).

So waren die Fronten klar. Die Hoffnung des Grafen Schulenburg auf „Reichstreue Widerstandsgrup-

pen in Wien“ (S. 24) trogen, und Gördeler selbst gestand leicht resigniert: „Österreich hat in allen Schichten seines Volkes dem Deutschen Reich innerlich die Gefolgschaft aufgesagt“ (S. 22). Seine letzte Hoffnung war nur, durch die Wiedergewinnung Südtirols“, hier einen Stimmungsumschwung erzielen zu können. Dennoch waren die österreichischen Widerstandsgruppen und -nester selbstverständlich bereit, mit allen Kräften die Aktion der Männer des 20. Juli zu unterstützen. Allein, ihr Ziel war nicht nur der Sturz Hitlers, sondern die Wiederherstellung des von der Karte gelöschten Vaterlandes.

Wie psychologisch günstig 1944 für eine Erhebung die Situation in Österreich und insbesondere in Wien war, wie demoralisiert zum Teil zu diesem Zeitpunkt selbst die NS-Kader bereits waren, versteht Jedlicka durch Dokumente der damaligen Machthaber unter anderm durch den schon erwähnten Kaltenbrunner-Bericht und den weniger bekannten Bericht des Hauptbereichsleiters Friedrich an Martin Bormann eindrucksvoll zu belegen. Das erklärt auch, warum die auf das durchgegebene Kennwort „Walküre“ einsetzende „legale“ Aktion außer in Paris nirgends so gut zum Tragen kam wie in Wien. Die im Wehrkreiskommando XVII auf dem Stubenring (heute Regireungsgebäude) in Zimmerarrest genommenen Größen aus Partei, Gestapo und SS ergaben sich beinahe alle ohne Aufmucken in ihr Schicksal. Ein Träger des goldenen Parteiabzeichens, General Sinzinger, selbst führte ohne Wimpernzucken (ohne allerdings in die Erhebung eingeweiht zu sein) die von Berlin erhaltenen Befehle durch. Einer der wenigen Wissenden blieb im Hintergrund. Der damalige Hauptmann Szokoll. Er rettete die Kader für den letzten entscheidenden Einsatz. So führt ein direkter Faden von „Walküre“ in Wien zu „Radetzky“ — zu der militärischen Erhebung im April 1945, die selbst noch in ihrem Scheitern durch Verrat Wien das Schicksal Budapests und Breslaus ersparte.

In Österreich wird mitunter, um sich einer klaren Stellungnahme zu

ijte.<M^nsip,.Jfl6-,?0-. Juli und ihrer Tat zu entschlagen, mit „patriotischem“ Augenaufschlag die Versicherung abgegeben, daß es sich um eine rein deutsche Aktion gehandelt habe, die Österreich nicht im Innersten berührt. Nach der vorliegenden Arbeit Jedlickas ist diese These nicht mehr ohne weiteres zu halten.

Statt einer Fußnote: Das mehrmals erwähnte „Wachbataillon Wien“, das am 20. Juli die Sicherung des Wehrkreiskommandos auf dem Stubenring durchführte, war 1944 kein Bataillon mehr. Die auf eine starke Kompanie zusammengeschmolzene Truppe, deren Soldaten noch zum Teil die auf den deutschen Wehrmachtsstil umgeschneiderten, unverwüstlichen Mäntel des Gardebataillons der Ersten Republik trugen, hieß deshalb zu diesem Zeitpunkt offiziell auch nicht mehr Wachbataillon, sondern „Wachtruppe Wien“.

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