6732037-1966_02_04.jpg
Digital In Arbeit

Wandlungen im Donauhandel

Werbung
Werbung
Werbung

Kraft der geographischen Lage Österreichs zwischen dem Westen und dem Osten unterliegen Wirtschaft und Politik einigen Grundsätzen, die standortbedingt sind. Ein Staat, der im Norden, Osten und Süden von drei kommunistischen Volksdemokratien begrenzt wird, dessen Hauptstadt sich außerdem unmittelbar vor dem Eisernen Vorhang befindet, kann es sich nicht leisten, irrealen Thesen und Theorien zu huldigen, als ob er auf einer Insel oder in einem nach allen Weltrichtungen geschützten Gebiet leben würde. Österreich ist vielmehr gezwungen, jederzeit seine exponierte Stellung im Gesamtbild des Kontinents zu beachten. Daraus ergeben sich manche Vorzüge, aber auch einige Belastungen, gewissermaßen geographische Hypotheken, unter allen Umständen jedoch die Pflichten zur vorsichtigen Selbstbeschränkung sowie zur raschen Information über alle Vorgänge in Europa und Übersee. Freilich wurde diese äußerst schwierige Situation Österreichs erleichtert durch die Neutralitätsakte und das Prinzip der Nichteinmischung, aus denen sich automatisch eine betonte Zurückhaltung ergab. Seit Unterzeichnung des Staatsvertrags, somit im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts, erfuhr die Welt große Veränderungen, nicht zuletzt durch technische Fortschritte, die den Staat Österreich vor neue Aufgaben stellten. Auch in Zukunft dürfte die Sonderstellung der Zweiten Republik an einer wichtigen Wegkreuzung immer wieder neue Probleme aufrollen, die ausschließlich mit Geduld und Ausdauer, aber selbst dann nur bei strenger Einhaltung der gleichsam durch Geschichte und Geographie vorgeschriebenen Richtlinien gelöst werden können.

Zu diesen Aufgaben gehört in nächster Zeit gewiß auch der Handel mit den Donaustaaten (Jänner bis August 4,76 Milliarden Schilling, + 7,5 Prozent), der aber nicht nur deshalb von Bedeutung ist, weil er zum traditionellen Lebenskreis gehört und Österreich über viele neue Erfahrungen verfügt, sondern weil er auch ein Aktivum abwirft (718,8 Millionen Schilling, stabil), das schon angesichts der enormen Importüberschüsse des Warenverkehrs mit der EWG keinesfalls vernachlässigt werden darf. Seit’ kurzem beobachtet man nun zwei wichtige Wendungen. Trotz individuellen Verschiedenheiten der einzelnen kommunistischen Länder führte die Erleichterung des Touristenverkehrs zu einer Lockerung des kategorischen Prinzips vom absoluten Gleichgewicht der Importe und Exporte. Auch im Osten gilt heute der Fremdenverkehr als ergiebige, vielleicht sogar als unentbehrliche Quelle der Devisenbeschaffung, die dem Außenhandel eine beschränkte Elastizität verleiht und nach langen Perioden der totalen Erstarrung eine gewisse Bewegung begünstigt. Anderseits bieten Reisen nach Österreich eine Gelegenheit zu privaten Einkäufen von Konsumgütern, freilich in einem äußerst bescheidenen Rahmen, in keiner Weise vergleichbar mit dem Umfang der unsichtbaren Exporte nach dem Westen. Jedenfalls ermöglicht die neue Situation eine gegenseitige Orientierung über den wirklichen Stand der Dinge, der einige

Ausblicke auf die Zukunft öffnen mag.

Neue Struktur des Warenverkehrs

Bereits ein kurzer Blick auf die Importstatistik (siehe Tabelle A) enthüllt einen tiefgehenden Strukturwandel als Folge der bedeutend verminderten Leistungsfähigkeit. Vor 30 Jahren lieferten Ungarn, Rumänien und Jugoslawien in erster Linie Getreide, Schweine und Futtermittel, die Tschechoslowakei Textilien und Kohle, Bulgarien Rohtabak und einige technische Fette. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden Rinder, Schweine und vor allem Getreide von allen Warenlisten gestrichen, mit alleiniger Ausnahme von Mais und Gerste, so daß sämtliche Donauländer die größten Anstrengungen unternahmen, Ersatzprodukte aufzubringen, um den Tauschhandel in Gang zu halten, der in strenger Anpassung der Kontingente an die bilateralen Verrechnungsabkommen noch bis vor kurzem die Szene beherrscht hatte. Man experimentierte mit allen möglichen Warenkategorien, bis endlich einige neue taugliche Ausgangspunkte gefunden wurden, die heute deutlich sichtbar sind. Wer die Wandlungen der Importstruktur auf einen gemeinsamen Nenner bringen möchte, käme zum Ergebnis, daß die Donauländer aufgehört haben, eine Ernährungsbasis zu sein, sondern sich im wesentlichen mit der Lieferung von Rohstoffen begnügen müssen, angesichts der kurzen Transportstrecken zweifellos eine wichtige Funktion. Darüber hinausgehend wäre vielleicht eine Spezialisierung auf einige Hauptpro- dukte zu erkennen, denn im laufenden Jahr stützten sich die Tschechoslowakei auf Steinkohle, Grobkoks, Heizöl und Personenautomobile, Ungarn auf Pflanzenöl, Erdölprodukte, Eisen und Stahl, besonders vorgewalzte Blöcke, Jugoslawien auf Rohöl und NE-Metalle, Rumänien auf Holz, Mais und Fleisch, Bulgarien auf Eier, Obst und Gemüse, neuerdings sogar auf Stahlroheisen. Neben diesem Schema fanden sich etliche Spezialprodukte, etwa Hirse aus Rumänien, Chemikalien aus Ungarn, Rohtabak aus Bulgarien, Fischkonserven aus Jugoslawien, Hopfen und Kaolintone aus der Tschechoslowakei, während zugleich eine Flucht in den Honig einsetzte (Jänner bis Juni 1244 Tonnen, -)- 25 Prozent), trotz enorm niederen Preisen mit dem grotesken Ergebnis, daß die Importe von Honig und Hopfen größer waren als die Bezüge von Maschinen, die erst in den untersten Rängen figurierten.

Exporte als Spiegelbild

Auch die Exporte nach den Donauländern unterlagen einem Strukturwandel (siehe Tabelle B), allerdings nicht in ähnlicher Breite wie die Importe, obwohl im Vergleich zur Vorkriegszeit Textilien einen katastrophalen Absturz, dagegen Maschinen und chemische Erzeugnisse einen phantastischen Aufschwung erlebten. Unter den Exporten standen an erster Stelle nach Jugoslawien die Maschinen, nach Ungarn und der Tschechoslowakei die chemischen Produkte, nach Rumänien und Bulgarien schließlich Eisen und Stahl. Von den einzelnen Warenkategorien entfielen wiederum die höchsten Lieferungen bei Papier auf Ungarn, bei Zellulose und Metallwaren auf Jugoslawien, bei Magnesit und Textilien auf Rumänien, bei Eisen, Stahl und Aluminium auf Bulgarien, bei Maschinen und elektrischen Apparaten auf die Tschechoslowakei. Bemerkenswerte Fortschritte erzielten Lokomotiven auf dem Balkan, elektrischer Strom in Jugoslawien (Jänner bis Juni 154,5 Millionen kWh zu 49,1 Millionen Schilling, neu), aber die größte Überraschung boten unbestritten die chemischen Produkte, die leider nicht genau analysiert werden können, weil die Handelsstatistik den wichtigen Kunstdünger, die meisten Kunststoffe und einige andere Chemikalien auf die Sammelposition 9999 überträgt, wo sie die Rollen von Staatsgeheimnissen übernehmen. Nur Lacke, Farben und Desinfektionsmittel sind übersichtlich geordnet, ebenso die Exporte von Blei- und Zinnoxyd nach der Tschechoslowakei, von Kitten und mehrbasischen Säuren nach Jugoslawien, von Salzsäure, Phosphaten und Zahnzementen nach Ungarn, von Impfstoffen, Aluminiumoxyd und Zitronensäure nach Rumänien. Auch diese Exporte erinnern an den bemerkenswerten Aufschwung der heimischen chemischen Industrie, die im Inland oft unterschätzt wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung