6695694-1963_06_06.jpg
Digital In Arbeit

Warschau: wechselnd wolkig!

Werbung
Werbung
Werbung

Während der Dauer der ersten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils mochte es vielen Opti-r misten, die ihre Wünsche für Wirklichkeit nehmen, scheinen, es bahne sich in Polen mit Riesenschritten eine baldige Verständigung, eine schlackenfreie Symbiose von Staat und Kirche an. Mancherlei Anzeichen sprachen dafür. Wenn nicht alle, so konnten doch 25 von insgesamt 65 Bischöfen die Fahrt nach der Ewigen Stadt antreten. Zuhause blieben die vom Alter Gebeugten, Schwerkranke, in den meisten Diözesen ein in Abwesenheit des Oberhirten waltender Weihbischof und endlich ein paar dem Regime besonders unbequeme Gegner wie der Bischof von Kielce Kaczma-rek. Die gesamte polnische Presse berichtete über Papst und Konzil — wie sich Kardinal, Wyszynski in seiner Predigt vom 13. Jänner 1963 ausdrückte — „geradezu enthusiastisch“. Sogar im Organ der polnischen Atheisten-Gesellschaft „Argumenty“ wurde Johannes XXIII. als „höchster Anerkennung wert“ gerühmt. Die Parteiwochenschrift „Polityka“ hielt etwa die Linie ein, die in der „Nowa Kul-tura“ durch die Worte ausgedrückt wurde: „es ist unwahr, drr? sich im Vatikan nichts geändert hat“ und als Leitmotiv war die kommunistische Presse dahin orchestriert, daß, was wiederum in den „Argumenty“ stand, „das Christentum nicht mehr ein Feind, sondern ein Rivale“ im friedlichen Wettstreit der Weltanschauungen sei.

Auch auf eine Reihe symptomatischer äußerer Geschehnisse ist hinzuweisen: auf den freundlichen und dauernden Kontakt der nichtkatholischen Pressevertreter mit dem Episkopat ihres Landes, soweit er in Rom anwesend war; auf den offiziellen Besuchaustausch zwischen dem polnischen Botschafter, der als erster seine Aufwartung machte, und dem Primas; vornehmlich aber auf zwei Episoden, über deren Vorgeschichte und Nachhall keine völlige Klarheit herrscht: die halbstündige Sonderaudienz des Abgeordneten und Mitglied des kollektiven Staatsoberhauptes Polens — der Rada Pänstwa — Jerzy Zawieyski, die diesem vom Heiligen Vater binnen sechs Stunden nach dem durch Kardinal Wyszynski vorgetragenen Ansuchen gewährt wurde, und der Vortrag, den Zenon Kliszko, Mitglied des Politbüros der polnischen Kommunisten, am 10. Dezember im Gramsoi-Institut zu Rom über die Beziehungen zwischen Staat und Kirche seiner Heimat gehalten hat.

Zawieyski und Kliszko

Über die Audienz Zawieyskis ist in der dem Primas nahestehenden Wochenschrift „Tygodnik Powszechny“ (Vgl. „Die Furche“ Nr. 4) ein, keineswegs alle Schleier hebender, in Form eines Interviews gefaßter, ausführlicher Bericht veröffentlicht worden. Es ist bezeichnend, daß diese Unterredung, die schon Ende November redigiert worden war, erst nach so langet Pause, und vermutlich nach mancherlei hin und her, abgedruckt wurde.

Nicht minder wichtig waren die Darlegungen Kliszkos, eines persönlichen Freundes Gomulkas und eines aus dem Halbdutzend Männer, die in Polen etwas mitzureden haben. Der streifte in seinem Referat, dessen Text nicht veröffentlicht wurde, über das wir aber durch Zuhörer genau unterrichtet sind, die Möglichkeit einer Anknüpfung diplomatischer Beziehungen zum Heiligen Stuhl, ja sogar das eines neuen Konkordats. Alles das schuf eine Art von Euphorie: sowohl bei den mit dem Episkopat in enger Fühlung beharrenden Katholiken, als auch bei den dort weit weniger gut gelittenen Kollaboranten von der „Pax“ und nicht zuletzt in den Sphären kommunistischer Politiker und Intellektueller, die eine auf lange hinaus verbürgte Koexistenz zwischen Staat und Kirche wünschten. Man übersah dabei nur drei bedeutsame Umstände: das Regime betrachtete die Annäherung an den Vatikan als eine rein politische Angelegenheit, die an der [grundsätzlichen Religionsfeindschaft der maßgebenden Kommunisten nichts änderte; man wollte die offenkundige Polenfreundschaft Johannes' XXIII. dazu benützen, um die Kurie zu einer formellen Anerkennung der Oder-Neiße-Linie oder wenigstens zu konkludenten Entscheiden kirchen-verwaltungsrechtlicher Natur zu bewegen.

Endlich gab es, nicht nur innerhalb der in Polen herrschenden PZPR ('Vereinigte Polnische Ärhei'rerparte'-'. Kommunisten), sondern auch bei nicht-rrrÄistrschen LlrikslnteHekttilllen eiric starke Strömung, der „die ganze Richtung“, wie sie etwa durch Kliszko, den früheren Minister Bienkowski, Professor Schaff verkörpert wurde, nicht paßte, und die es zu keiner echten Verständigung von Staat und Kirche oder gar von PZPR und Katholizismus kommen lassen wollten. Dabei ist gerechterweise auch nicht zu unterschätzen, daß vielen Katholiken, die derzeit politisch im Lande nicht zu Wort gelangen, jede Gemeinschaft mit Kommunisten widerstrebt, sie sei noch so lose und noch so sehr auf bestimmte Bezirke begrenzt.

Neuer Durchfall

Die Folgen der eben geschilderten Gegebenheiten haben sich nach Neujahr 1963 gezeigt, und sie konnten bei nicht völlig mit polnischen Belangen vertrauten Beobachtern den Eindruck wecken, man eile nun wieder einem Bruch, wenn nicht gar einem Kulturkampf entgegen. Die Wendung ist nicht ohne Zusammenhang mit einer Verschärfung des Zwists zwischen den Parteigrößen der scharfen Tonart, und den meisten der PZPR angehörigen Intellektuellen. Wie in der Sowjetunion hat sich auch in Polen ein zäher Kampf um geistige Freiheit entsponnen, der an der Weichsel umso heftiger ist, als dort Gelehrte und Schriftsteller nach 1956 zu relativ ansehnlicher Bewegungsfreiheit gekommen waren. Dieselben Apparatschiki, die den Professoren und den Literaten wieder den Maulkorb umhängen möchten, sind es nun vor allem, die der Kirche bitter feind geblieben sind, während die mit ihr eine friedliche Koexistenz im Zeichen wahrer Toleranz Erstrebenden sich aus den „liberalen“ kommunistischen Intellektuellen rekrutieren. Freilich sind auch bei denen Pfaffenfresser und geschworene Glaubensfeinde vorhanden. Die „Argumenty“ trugen den ersten Angriff auf den Episkopat vor und beschuldigten ihn plötzlich, in Rom die nationale Sache verraten zu haben, da er nicht eine Änderung -des Standpunkts des Vatikans in der Frage der polnischen Westgrenzen erreichte (oder auch nur versuchte). Mit den freundlichen Korrespondenzen aus der Ewigen Stadt war es vorbei. Statt dessen mehrten sich die früheren kleinlichen Schikanen in Steuerfragen, in der Kontrolle des vertragswidrig aus den Staatsschulen verdrängten Religionsunterrichts, in Zensurangelegenheiten. Die Kirche begann sich ihrerseits zu wehren. Erstmals in einer Predigt Bischof Choromanskis, des Sekretärs des Episkopats, zum Jahreswechsel, dann durch die Predigten des Kardinalprimas, der mit Fug und mit allem Nachdruck feststellte: erstens, das Konzil hatte nichts mit weltlichen Fragen zu tun, und es konnte nicht, wie man es von kommunistischer Seite den polnischen Bischöfen zu fordern ansann, zur polnischen Grenzfrage Stellung beziehen, noch vermochte sich der polnische Episkopat um derlei zu bemühen. Zweitens, die Behauptung, er, der Primas, habe die nach Rom reisenden Bischöfe ausgewählt, ist erfunden; die Reisepässe wurden — wir fügen hinzu, oft nach langen Verhandlungen, wie bei Erzbischof Kominek — von den staatlichen Stellen bewilligt und ausgestellt. Drittens, die weltlichen Behörden haben, mögen das auch vielfach untergeordnete Übereifrige gewesen sein, sogar während der Zeit der größten Entspannung in der Konzilszeit, die Kirche und den Klerus mit kleinlichen Stichen bedacht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung