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Warum das Turiner Grabtuch so „jung“ sein dürfte

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Drei Laboratorien hatten 1988 das Turiner Leichentuch mittels eines neuen Verfahrens zur Feststellung des Alters eines Gegenstandes, untersucht. Das Ergebnis: Das Tuch stamme aus dem Mittelalter. Wahrscheinlich sei es zwischen 1260 und 1390 hergestellt worden, so die Diagnose der C-14- Methode. Die Medien überschlugen sich mit Schlagzeilen und Kommentaren. Man sprach von Fälschung. Hämisch hieß es* Was viele Christen als Beleg für die Auferstehung Christi angesehen hatten, sei nichts als ein Kultgegenstand, .um den sich eine Legende gerankt habe.

Viele Wissenschafter haben sich allerdings nicht mit der C-14-Dia- gnose zufrieden gegeben. Sie stand in zu großem Widerspruch zu allen anderen wissenschaftlichen Erkenntnissen über das Tuch:

■ Da sind eindeutige Spuren einer römischen Geißelung, einer Dornenkrönung, von Hand- und Fußwunden einer Kreuzigung sowie die eines Lanzenstichs in die Brust. Alles so wie es in der Leidensgeschichte berichtet wird;

■ Da stimmt das Bild auf dem Tuch überein mit byzantinischen Abbildungen Christi aus dem sechsten Jahrhundert (als das Grabtuch in Byzanz aufgetaucht sein soll), nachdem Christus vorher anders dargestellt worden war.

■ Da fand man im Tuch Spuren von Aragonit, das es in den Grotten Jerusalems gibt, sowie Pollen und Sporen, die belegen, daß es im ersten Jahrhundert in Palästina, dann in der Türkei, in Konstantinopel, Frankreich und Italien gewesen sein muß (Dokumenten zufolge der Weg des Tuchs).

Für diese Wissenschaftler drängte sich die Frage auf: Wie sollte das Ergebnis eines Verfahrens die anderen, wissenschaftlich ebenso abgesicherten Einsichten einfach unter den Tisch kehren?

Schon 1988 hatte P. Jean Baptiste Rinaudo, ein Biophysiker der Universität von Montpellier, eine Theorie entwickelt, die Antwort auf folgende Fragen geben sollte:

■ Wie kam das Bild auf dem Leichentuch zustande (das war ja nach wie vor gänzlich ungeklärt)?

■ Wieso ergab die C-14-Methode eine „Verjüngung“ des Tuchs von 13 Jahrhunderten im Vergleich zu anderen Untersuchungen?

Rinaudos Ansatz: Wenn das Deuterium, das im menschlichen Körper enthalten ist, zerfällt, gibt es gleich viele Neutronen und Protonen ab. Die Bestrahlung durch Protonen könnte eine oberflächliche Verbrennung erzeugen. Sie würde die Bräunung des Stoffes, die das Bild auf dem Leichentuch erzeugt, durch saure Oxidation der Zellulose bewirken. ‘

„VERJÜNGUNG“ DES TUCHES

Die Neutronen wiederum würden zu einer Erhöhung des Carbon-14-Ge- halts im Leinenstoff führen. Damit käme es zu einer Verfälschung des C- 14-Anteils im Vergleich zum tatsächlichen Alter des Tuches. Sie müßte bei der Messung also „Verjüngung“ des Leichentuchs erzeugen.

Diese Hypothese hatte den Vorteil, die Laboratorien nicht der Fälschung ihrer Ergebnisse zu zeihen (was infolge der Geheimniskrämerei rund um die genauen Daten im Anschluß an die Veröffentlichung der Ergebnisse auch behauptet worden war).

P. Rinaudo ging nun an die Überprüfung seiner Hypothese: Im Atomforschungszentrum in Grenoble ließ er ein Stück Leinwand einer Protonenbestrahlung aussetzen. Die Strahlungsintensität wurde dabei so berechnet, daß sie die Verjüngung des Leichentuchs um 13 Jahrhunderte bewirken müßte: 9 Billionen Protonen je cm2. Das Ergebnis war verblüffend. Es stellt sich eine besondere Art von „Verbrennung“ ein, die eine Färbung ergab, die jener auf dem Grabtuch sehr ähnlich war.

Hier war nun eine mögliche Erklärung für die bisher offene Frage, wie denn das Bild auf dem Grabtuch entstanden sei.

Blieb, die zweite Frage zu klären, die der falschen Datierung durch die C-14-Methode. Die entsprechenden Tests erwiesen sich als schwieriger. Schließlich gelang es aber, ein 3.400 Jahre altes Stück Leinwand von einer ägyptischen Mumie 20 Minuten lang in einem Forschungszentrum der französischen Atombehörde in Paris einer Neutronenbestrahlung auszusetzen.

Das Ergebnis war sensationell: Die Datierung mit der C-14-Methode versetzte das Tuch 46.000 Jahre in die Zukunft! Die Erklärung dafür war rasch gefunden. Die 20 Minuten währende Bestrahlung (sie war aus Betriebsgründen des Reaktors nicht kürzer möglich) war ein Vielfaches von dem, was P. Rinaudo für die „Verjüngung“ des Turiner Leichentuchs berechnet hatte.

Eine Umrechnung der beobachteten Werte auf die „Verjüngung“ von 13 Jahrhunderten ergab allerdings genau den von P. Rinaudo erwartete Bestrahlungsdichte von neun Billionen Neutronen je cm2.

Damit gab es doch eine Erklärung sowohl für die Entstehung des Bildes auf dem Leichentuch als auch für die spätere Datierung durch die C- 14-Methode.

Nun steht natürlich die Frage im Raum: Welche Ursache hat diesen Zerfall der Deuteriumkerne in der menschliche Haut hervorrufen können? Die Auferstehung Christi ist jedenfalls als einmaliges Ereignis in der Geschichte nicht wiederholbar und daher wissenschaftlich nicht faßbar. Sie könnte aber mit den oben beschriebenen physikalischen Vorgängen, die die Abweichungen der C-14-Methode erklären würden, einhergegangen sein.

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