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Warum es kein Wiener Musical gibt

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In dem Artikel „Oesterreichs gefesselte Phantasie“ auf unserer Theaterseite stand ein Satz, der recht hart klingt und auch schon entsprechende Reaktionen ausgelöst hat. Ein österreichischer Staatspreisträger behauptete da nämlich, daß, wenn ein wirklich neuer Dramatiker käme, die Theater sich mit ihm nicht identifizieren und lieber auf ihn als auf das Publikum verzichten würden. — Durch die folgenden Ausführungen soll der Beweis geführt werden, daß solches im Einzelfall sehr wohl geschehen kann, wobei es sich bei dem zur Debatte stehenden Werk weniger um ein neues Drama mit revolutionärem Inhalt, als vielmehr um eine neue Kunstform handelt, der sich eine unserer Bühnen, obwohl sie speziell für sie geschaffen wurde, offensichtlich zu Verschließen trachtet.

Diese traurige Geschichte spielte sich folgendermaßen ab:

Seit Jahren bemüht man sich in der Wiener Volksoper, die der Bundestheaterverwaltung untersteht und von Franz Salmhofer geleitet wird, um ein neues Genre, eine Neuform der Operette, ein Mittelding zwischen Volksschauspiel, Singspiel und Revue, kurz „Musical“ genannt. Mit dem ersten Stück dieser Art („Kiss me, Kate“) hatte man einen durchschlagenden Erfolg: es wurde von Februar 1956 bis Jänner 1957 insgesamt 81mal vor bestbesuchtem Haus gespielt. — Auch das nächste Musical, „Wonder-ful Town“, ging noch gut und konnte innerhalb kürzester Frist 26mal gegeben “werden-. Das dritte Stück erwies sich als weniger zugkräftig und wurde von Februar bis April 1957 18mal gespielt — fiel also keineswegs durch.

Von Anfang an war dem Initiator dieser Musical-Aufführungen klar, daß man auf die Dauer nicht amerikanische Stücke importieren und es damit an der Volksoper sein Bewenden haben könne. Aber er wollte das Musical bekanntmachen und zur Diskussion stellen in der Hoffnung, nicht nur dem Publikum etwas Neues, sondern auch den österreichischen Komponisten, vor allem den jüngeren unter ihnen, eine Anregung zu geben. Anregung zu etwas Neuem, das vielleicht einmal an die Stelle der abgedroschenen Operette des silbernen Zeitalters treten und das Repertoire von guten Operetten und Spielopern ergänzen könnte: Anregung zu einem eigenständigen Wiener Musical.

So war es kein Zufall, daß gerade am Tag der Premiere von „Wonderful Town“, am 10. November 1956, vom damaligen Leiter der Bundestheaterverwaltung, Ernst Marboe, bei einer speziell zu diesem Zweck einberufenen Pressekonferenz, ein Preisausschreiben verkündet wurde, das „Operettenpreisausschreiben der Bundestheaterverwaltung“, wie es ein wenig ungenau genannt wurde. — Mit der Idee zu einem solchen Unternehmen ist es aber bekanntlich nicht getan, und nur den persönlichen Beziehungen von Ing. Marboe war es zu danken, daß sich auch ein Mäzen fand, das Preisausschreiben zu finanzieren. Es war dies Direktor Ludwig Bauer von der „Martha“-Erdöl-G. m. b. H. bzw. die genannte Firma. Die wesentlichen Bedingungen dieses Preisausschreibens lauteten:

Für eine Prämiierung kommen musikdramatische Werke in Betracht, welche an die Tradition der österreichischen Operette im Sinne eines Kunstwerkes mit großem Orchester, Gesangstimmen, Chor und Ballett anknüpfen, jedoch von dem Musical die Aktualität und das dichterisch inspirierte Textbuch beziehen.

Der Stoff dieser Werke muß entweder dem zeitgenössischen österreichischen Leben entnommen sein oder ein allgemeingültiges Problem von Interesse für Oesterreich behandeln oder auf einem Werk der österreichischen Literatur beruhen.

Jedes eingereichte Werk darf anderswo noch nicht zur Aufführung gelangt sein, auch darf über das! Recht der Aufführung des Werkes, noch nicht verfügt worden sein.

Für Werke, die diesen Voraussetzungen nach dem Urteil einer Jury entsprechen, werden ein Hauptpreis von 100.000 S und zwei weitere Preise von je 25.000 S ausgesetzt.

Diese Preise wurden von der „Martha“-Erdöl-G. m. b. H. in dem Bestreben gestiftet, durch Neuerweckung des österreichischen privaten Mäzenatentums dem heimischen künstlerischen Schaffen neue Impulse zu verleihen. Die Stifterin stellt diese Preise den Veranstaltern des Preisausschreibens unter ausdrücklicher Enthaltung von jeglicher Einflußnahme auf die Bedingungen des Preisausschreibens und die Preisverteilung zur Verfügung. Auch hat die „Martha“-Erdöl-G. m.b.H. die Bedingung gestellt, daß das zu schaffende Kunstwerk keinen Werbecharakter für ihr Unternehmen beinhalten darf.

Punkt 6 besagt, daß mit der Ver'eihunc? des Hauptpreises für die Bundesther-tTverwaltung (Direktion der Volksoper) die Berechtigung und die V e r p f I i c h t u n g eintritt, das Werk innerhalb zweier Jahre nach Uebernahme des Aufführungsmaterials zur Uraufführung zu bringen; Punkt“ 8 schließlich, daß die Jury sich aus dem Leiter der Bundestheaterverwaltung als Vorsitzenden, ferner dem Direktor der Volksoper und weiteren zehn Persönlichkeiten des österreichischen Theater- und Musikwesens zu konstituieren habe usw.

Der etwas knapp bemessene Einreichungstermin (ursprünglich der 1. Jänner 1958) wurde zweimal verlängert, und als die Jury ihre Arbeit beginnen konnte, lagen insgesamt 54 Arbeiten vor. — Wer das Resultat solcher allgemeinen Preisausschreiben kennt, wird sich nicht gewundert haben, daß da Kraut und Rüben aufgehäuft lagen und, 'daß eine Reihe von Einsendungen von vorneherein ausgeschieden werden mußte, weil sie keiner einzigen der angegebenen Bedingungen entsprachen. In seinem Rechenschaftsbericht über die Arbeit der Jury sagte Direktor Franz Stoß von der Josefstadt, daß die Einsender das Wort „aktuell“ anscheinend sehr weitherzig aufgefaßt hätten, denn unter den Helden der eingereichten Operetten kam nicht nur Mozart vor, sondern auch Kaiser Franz Joseph und Katharina Schratt, Maria Theresia und — natürlich — auch Erzherzog Johann. Die Schauplätze des „Wiener Musicals“ erstreckten sich von Spanien und Albanien bis Südamerika, und eines der Textbücher war in reinem Plattdeutsch abgefaßt. . .

So kamen nur zehn Einreichungen in die engere Wahl, von denen drei mit Preisen ausgezeichnet Wurden, und zwar

• „Traumleberl“, Text von Jörg Mauthe! Musik von Paul Kont;

•. „Eintritt verboten“, Text von Hans Hollmann und Ernst Pichler, Musik von Rudolf Bibl;

• „Wiener Panoptical“, von dem Autorentrio Gottfried Schwarz, Gerhard Narholz und Gilbert Obermair.

Soweit schön, soweit gut. Nun aber kommt das dicke Ende, dessentwegen wir unsere Rotationsmaschine in Bewegung setzen und die Aufmerksamkeit des geneigten Lesers erbitten:

Obwohl die 15köpfige Jury das genannte Werk von Mauthe und Kont einstimmig nicht nur als das beste, sondern auch, in weitem Vorsprung vor den übrigen, als den Bedingungen am meisten entsprechend gewertet hat, wurde weder ein erster noch ein zweiter Preis verliehen, sondern lediglich eine Reihe von Trostpreisen, und zwar erhielten die Autoren von „Traumleben“ gemeinsam 20.000 S. die von „Eintritt verboten“ 15.000, die des „Wiener Panopticals“ 10.000 S, und schließlich wurde dem bekannten Wiener Komponisten Hanns Jelinek für eine ältere Arbeit die weder mit Wien noch mit dem Genre Musical etwas zu tun hat, ein Anerkennungspreis von 5000 S verliehen. — Somit blieben von den ausgesetzten 150.000 S ganze

100.000 S in der Kasse (natürlich nicht in der des Preisstifters, sondern auf dem Bankkonto, über welches die Bundestheaterverwaltung gemeinsam mit der Jury verfügt).

Wieso kam es zu diesem kläglichen Ergebnis? War unter den eingereichten Arbeiten wirklich nichts Brauchbares zu finden?

Bei der öffentlichen Preisverleihung und der nachfolgenden Textlektüre hatte man die Möglichkeit, sich an Hand der vorgeführten Proben ein Urteil über die eingereichten Libretti und Kompositionen zu bilden. Was den zweiten usd iden--dritten Trostpreis betrifft? ; so kann man sich im großen und ganzen dem Urteil der Jury anschließen. Bei dem Werk von Mauthe und Kont ist dies nicht möglich, und der Protest des Komponisten gegen die Entscheidung erscheint durchaus begreiflich.

„Traumleben“ von Mauthe und Kont basiert auf Franz Grillparzers „Der Traum ein Leben“, dessen Fabel mit großem Geschick und bedeutendem literarischem Können und Geschmack ins Zeitgenössisch-Wienerische transponiert wurde. Der „Held“ ist ein junger Wiener Auto-mechaniker, dem es in seiner Werkstatt und in seiner Heimat zu eng wird. Mirza-Mitzi versucht ihn zurückzuhalten, aber er läßt sich durch Einflüsterungen von Zanga-Swoboda verführen, gerät auf die schiefe Bahn, wird für eine Tat beVlmt, die ein anderer vollbracht hf; er avanciert über Nacht, wird vor ein Gericht gestellt und verurteilt („Er hat sich von seinem Schicksal schieben lassen und stoßen lassen, hierhin und dorthin“) — und ist froh, als er aus dem bösen Traum (denn um einen solchen handelt es sich) erwacht und wieder in seine Werkstatt zurückkehren kann.

Zwei Dutzend Personen werden für diese Fabel auf die Bühne gebracht, außerdem gibt es Chöre der Mädchen, der Tanzenden und der Trauernden, der Häuser und der Passanten, ferner Sprechchöre der Aktionäre und Halbstarken, es gibt Ballett und große Verwandlungsszenen, kurzum: das Stück verlangt und beschäftigt, wie ja das Preisausschreiben fordert, einen großen Apparat. Aber auch sonst sind dessen Wünsche voll und ganz erfüllt: die nach Tradition und Originalität, nach künstlerischem Rang und Aktualität. — Warum also kein erster Preis?

Die Schwierigkeit ergpb sich wohl vor allem aus der Bestimmung des Preisausschreibens, daß mit der Verleihung des 1. Preises die Volksoper nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zur Uraufführung des prämiierten Werkes antritt. Und hier, so scheint uns, liegt der Hase im Pfeffer. In der Jury, in welcher Direktoren und Fachleute des Fernsehens, des Rundfunks, des Theaters und des „Wiener Musiklebens“ vertreten waren (übrigens ein viel zu großes und schwerfälliges Instrument, um eine profilierte Entscheidung zu treffen), hatte die Bundestheaterverwaltung und die Direktion der Volksoper ein gewichtiges Wort mitzureden. Die Einwendungen, die gemacht wurden, beziehen sich nicht etwa auf den Rang und künstlerischen Wert des „Traumlebens“, sondern auf angebliche „Aufführungsschwierigkeiten“, und 'zwar speziell in der Volksoper.

Hierbei zeigt sich eine Unfreudigkeit zum Wagnis, zum Neuen, zum Experiment, die in krassem Widerspruch steht zu der mäzenati-schen Tat der „Martha“-G. m. b. H. und die um so befremdlicher ist, wenn man sich die letzten Neuinszenierungen und die Pläne der Bundestheaterverwaltung für die nächste Zeit vor Augen führt: der kostspielige „Wilhelm Teil“ und Lehärs pseudo-dramatischen „Zare-witsch“ in der Volksoper, die mit großem Aufwand (125 Kostüme usw.) rekonstruierte „Puppenfee“ und die bevorstehende Premiere von „CavalUria rusticana“ und „Bajazzo“ in des ftaateoper-,/mußman-denn wirklich a.-Lle, alten Reißer ausgraben?). Denn die Kosten für alle diese fragwürdigen und überflüssigen Neuinszenierungen werden ja schließlich aus einer Kasse, der der Bundestheater, bezahlt.

Hier dagegen, mit der Uraufführung eines in jeder Hinsicht neuartigen und interessanten Werkes, für das man nicht einmal das Autorenhonorar zu tragen hatte, wäre eine wirkliche Chance geboten gewesen. Man hat sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht genützt, sondern versucht jetzt, das für die Volksoper geschriebene Werk an den Rundfunk, ans Fernsehen oder an eine Provinzbühne abzuschieben. Und das ist nicht nur schade, sondern auch nicht in Ordnung und widerspricht dem Sinn und Wortlaut des Preisausschreibens.

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