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Warum Filmzensur?

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Das Wort „Zensur“ ist nicht erst seit Metternichs Zeiten verhaßt. Die Zensur wird, wo immer sie besteht, auch immer eine Einschränkung der künstlerischen Produktivität bedeuten, weil sich der Künstler immer auch krankhaften Stoffen zuwenden wird oder doch Stoffen, die über ein erträgliches Maß hinaus krankhaft zu wirken vermögen. Es sei nur auf die Selbstmordepidemie im Anschluß an das Erscheinen von Goethes „Werther“ verwiesen, derentwegen dieses Buch zeitweise auf dem römischen Index stand. Gleichfalls von zeitlicher Beschränkung sind mancher Regierung unliebsame politische Tendenzen, die zur Einführung einer Zensur Anlaß geben. Besonders aber der Notstand im Kriege hat solche Einschränkungen zur Folge.

Die österreichische Filmzensur war denn auch ein Kind des ersten Weltkrieges und bis 1918 militärischer Natur. Im Anschluß daran bildete sich das Recht der Polizei, Filmvorführungen bei auch nur befürchteten Störungen der öffentlichen Ruhe und Ordnung verbieten zu können. Überdies hatten die Länder das Recht der Zensur. Seltsamer Weis gehörte dies bei der Gemeinde Wien in den Aufgabenbereich des Stadtbauamtes, da dieses wegen der Sicherheitsvorschriften für die Kinos zuständig war! Diese Zensur, deren Entscheidungen die anderen Länder meistens folgten, waren doch die Erstaufführungen in der Regel in Wien, war sehr rigoros. Im Filmbeirat saßen bewährte Pädagogen. Insbesondere die Jugendzensuren waren sehr streng. Ganz selten waren Entscheidungen, die man nicht ganz verstehen konnte, wie etwa die Entscheidung, daß ein Nacktbadefilm für „Jugendzulässig“ erklärt wurde.

1934 kam es zu einer Neuordnung der Zensureinrichtungen. Sie brachte jedoch keine wirkliche Neuordnung. Zuerst wurde der Film, der in Österreich eingeführt werden sollte, dem Flandelsministerium vorgelegt, da dieses über die Zulassung im Rahmen des Filmkontingents entschied. Sodann wurde der Film meist dem Wiener Magistrat vorgeführt, der in jeder Sitzung einen Filmbeirat von mehr als 15 Mitgliedern umfaßt, die aus allen möglichen Zweigen der Verwaltung und der interessierten Körperschaften kamen. Die beiden Vertreter der Filmwirtschaft waren die einzigen, die praktisch nicht wechselten und diese hatten daher den größten Oberblick über die Zensurpraxis und damit den maßgebenden Einfluß, den sie in oft heftigen Debatten zu wahren wußten. Es ist daher kein Wunder, daß in dieser Zeit die Jugendzulässigkeit wesentlich liberaler gehandhabt wurde, als zur Zeit, da die Wiener Filmzensur praktisch eine Entscheidung von wenigen Pädagogen war. Von den 1935 in Wien zur Erstaufführung gebrachten Tonfilmprogrammen waren unter 311 Filmen 112, das sind 36 Prozent für „Jagendzxilässig“ erklärt worden. eine Ziffer, die sich durch nachträgliche Anerkennung von Entscheidungen des Unterrichts-inisteriums noch etwas erhöhte und fast 40 Prozent erreichte *. Vor 1930 machten die „Jugendzulässig“ erklärten Filme mir etwa durchschnittlich 30 Prozent and weniger der gesamten Filme aas.

Viele Filme waren bei Jugendverbot nicht gerade rentabel, da ein großer Teil der eifrigen Besucher damit ausgeschlossen war.

* Siehe das Buch des Verfassers „Gesamtverzeichnis der in österreidi erschienenen abendfüllenden Tonfilme“, Wien 1936.

Das Bundesministerium für Unterricht hatte durch Verleihung von Prädikaten, wie „Kulturell wertvoll“ und „Künstlerisch anerkennenswert“ in einer Anzahl von Ländern Steuerbegünstigungen für wertvolle Filme erreicht, die manchmal von entscheidender Bedeutung für die Vorführ-möglidikeit waren. Der Preis einer ausländischen Filmkopie betrug etwa 7000 bis 9000 S. Die Bearbeitung eines fremdsprachigen Filmes nur mit deutschen Untertiteln machte einen etwa gleidihohen Betrag aus, so daß eine ganze Anzahl von Filmen, die praktisch als fremdsprachige Filme nur in Wien und einigen größeren Städten laufen konnten, nicht einmal die Kosten für die erste Kopie hereinbrachten. Konnte dodi ein kleineres Kino oft mir 30 bis 50 S für das Vorführrecht bezahlen. Zu diesen Kosten kamen noch Zensurgebüh-ren, Werbekosten und die Kosten des Filmverleihes selbst, die ziemlidi beträditlich waren, mußten doch zum Beispiel einer Stenotypistin bis zu 400 S Monatseinkommen bezahlt werden. Daraus erklärt sich der Kampf der Film Wirtschaft besonders um die Jugendzulässigkeit. Immer wieder mußten Filmverleiher, die zum Teil beträchtliche kulturelle Leistungen aufwiesen, eben wegen ihrer Pionierarbeit in Ausgleich oder Konkurs gehen.

Mit den Ländern und den beiden beteiligten Ministerien hatten wir also elf Zensurstellen in dem kleinen Land. Dazu kam praktisch nach wie vor die Polizei- als zwölfte Stelle, wenn sie auch im Rahmen der Landeszensur arbeitete. Diese Zersplitterung war nicht vorteilhaft, weder für die notwendige Einheitlichkeit noch für die geldlidie Seite des Filmes.

In den großen Nachbarländern entschied eine einzige Zensurstelle. In den USA hatte die Filmproduktion im bekannten Hayes-Büro eine Selbstzensur, die zugleich Vorzensur war, da bei ihr schon das Drehbuch eingereicht wurde. Für die USA genügte dies, da ausländische Filme dort keine ernste Konkurrenz waren, erzeugte Hollywood doch jährlich 500 bis 800 Filme. I* Großferitannien veröffentlicht das Britische Film-institut regelmäßig die Jugendentscheidungen. In der Sowjetunion lag schon die Planung in staatlicher Hand. Besonders hier wurde bewußt Erziehungsarbeit geleistet.

Ist eine Jugendzensor — nm diese dreht es sidi praktisch, da gänzliche Aufführungsverbote dodi selten sind und letzten Endes auch von der Polizei verfügt werden könnten — nun eine wirklich notwendige Einrichtung?

Es handelt sich nicht darum, die Seelen der Jugendlichen vor nackten Girlbeinen zu schützen. Ein solche immerhin prüde Auffassimg wäre keine ausreichende Begründung, wenn sie gewiß auch nicht geringzu-sdiätzen ist. Im Wesen des Filmes liegt es vielmehr, wie die Arbeiten von Rene Fülöp-Miller und Gregor nachgewiesen haben, daß er die Phantasie auf die gründlichste Weise lenkt und insbesondere, wie hinzuzufügen ist, hei dem sehr bildsamen Charakter des Jugendlichen in der Reifezeit. Die Wirkung der „Phantasiemaschine“ bedeutet, daß die Träume des jugendlichen Mensdien in unerhört dauerhafter Weise beeinflußt werden. Ein Sich-Verlieren an die Welt der Illusion bedeutet, daß der aufwachsende Mensch, fern von den Realitäten des Lebens gehalten wird, daß er nicht lernt, seine Möglichkeiten nüchtern abzuschätzen, darin geradezu verzogen wird und sich von jedem Arbeitsethos entfernt. Und gerade nadi den Zertrümmerungen der letzten Jahre ist der aufbauwillige Mensch der, der gebraucht wird, nicht der unreife Träumer. Den jugendlichen Kinobesucher von der Phantasie-masdiine fernzuhalten und ihm im Film nur das Brauchbare vorzusetzen, das ist die Begründung für die Notwendigkeit einer Fijmzensur. Wenn man Jugendliche im Kino sieht, und am Anfang des Filmstreifens das ausländische Zensururteil „Adults“ (für Er-wadisene) erscheint, fragt man sich, wie das möglich ist?

Als das österreichische Filmbewirtschaftungsgesetz 1945 erschien, hat der Alliierte Kontrollrat dies nur mit der Maßgabe genehmigt, daß Filme aus alliierten Landern keiner österreidiischcn Zensur unterworfen werden dürfen. Dies ist an sich verständlich. Die bedauerlich Folge ist jedoch, daß damit noch keine Regelung der Frage getroffen wurde, ob ein ausländisdier Film Jugendlichen vorgeführt werden darf oder nicht. Hier ist eine baldige Regelung dringend notwendig.' Uni so mehr, als man unsere Jugend zum Bewußtsein erziehen muß, daß sie für den Aufbau zu arbeiten haben wird und nicht ein im Film vorgegaukeltes Leben — meist von Nichtstuern — führen können wird. Auch die heilige Zwölfzahl der alten Zensur wird man fallen lassen müssen. Wenige tüchtige und erfahrene Fachleute würden Besseres leisten als ein allzu großes Gremium. Die Film-begutachtungskommission des Bundesministeriums für Unterricht, die sich jeweils wenige Fachleute von Rang geholt hat, war denn audi in ihren Entscheidungen wesentlicher riditiger als die Landeszensuren, wie auch die aus wenigen Köpfen bestehende Zensur der Gemeinde Wien vor 1934 in ihrer Praxis besser war als das gut gemeinte Experiment der späteren Zeit. Eine Neuregelung der Filmzensur wird an diesen Erfahrungen nicht vorbeigehen dürfen und hoffentlich bald kommen.

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