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Warum noch Katholikentage?

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Daß die Katholikentage eine lange Tradition aufweisen, wäre an sich noch kein Grund, sie unbedingt weiterzuführen. Die Frage ist zu stellen, ob die Notwendigkeit, aus der sie entstanden sind, auch heute noch gegeben ist. Und ferner, ob ihre überlieferte Form auch heute noch sinnvoll ist. Die Frage ist um so mehr berechtigt angesichts der Skepsis gegenüber großen Parolen, der Abgestumpftheit gegenüber allzu lauten Forderungsprogrammen und schnell gefaßten Resolutionen unserer Tage. Die Freude an großen Demonstrationen ist, wie auch die Erfahrung der politischen Parteien zeigt, im Augenblick nicht allzu groß; es ist bequemer, den Großveranstaltungen am Rundfunk zu folgen, als selber aufzumarschieren. So steht am Beginn eines Katholikentages mit Recht die Frage nach dem Sinn einer solchen Veranstaltung und nach der Art, wie sie heute sinnvoll zu gestalten ist.

Der Beginn der Katholikentage geht in die Zeit zurück, da sich der deutsche Katholizismus nach den Auswirkungen der Aufklärung, der Säkularisation, inmitten einer neuen Aggression des damaligen Protestantismus der Notwendigkeit einer Regeneration, der Sammlung und Organisierung der Kräfte gegenübersah; eine Notwendigkeit, die dann in den Zeiten des Kulturkampfes noch dringlicher wurde. 1848 fand der erste Katholikentag in Mainz statt, dem die weiteren in jährlichen Abständen folgten. Oesterreich, im „Deutschen Bund“ stehend, war in den Bereich dieser Katholikentage einbezogen. 1853 fand ein solcher gesamtdeutscher Katholikentag in Wien statt. Tagungsort war der Re-doutensaal der Hofburg. Schon dieser Tagungsort zeigt, daß die Katholikentage damals keine Massenveranstaltungen waren, sondern Delegiertentage für die Vertreter der katholischen Organisationen.

Nach dem Ausscheiden Oesterreichs aus dem ..Deutschen Bund“, 1866, beginnt die Geschichte der österreichischen Katholikentage. Den beiden ersten, 1877 und 1889 in Wien, folgten weitere in wechselnden Abständen und an verschiedenen Tagungsorten. Auch sie behielten den Charakter von Delegiertentagungen bei. Freilich umfaßten sie Vertreter aus allen Teilen und Sprachengruppen der gesamten Monarchie. Sinn und Notwendigkeit zeigt ein Blick in die Zeitsituation. 1877 bis 1889. Die Hochblüte des Liberalismus, des Freisinns, der Freimaurerei bis in die höchsten Stellen des Landes, des aufkommenden Freidenkertums. 1866 die „Maigesetze“, ein Jahr darauf das Reichs-' volksschulgesetz. 1870 die einseitige Kündigung des Konkordates durch die österreichische Regierung. Die Industrialisierung mit ihrer sozialen Umwälzung. 1889 das sozialistische Hainfelder Programm. Die Omnipotenz der freisinnigen Presse. Die Hochschulen im Bann des Freisinns und des vordringenden Materialismus. Später dann die Los-von-Rom-Bewegung. Der immer aggressiver werdende Kampf der damaligen Sozialdemokratie gegen die Kirche. All das beweist die Notwendigkeit und Aufgabe der Katholikentage. Mitten im „katholischen“ Oesterreich war eine Sammlung der katholischen Kräfte notwendig geworden. Es ging um die Erkenntnis der Gefahren der Zeit, um Maßnahmen, Vorschläge, Forderungen zu ihrer Lieberwindung, um die Organisierung der aktiven katholischen Kräfte, um den Aufbau der katholischen Presse. Eine Vielfalt von Aufgaben waren diesen Katholikentagen gestellt, so standen sie auch nicht unter einem jeweils einheitlichen Thema. Der Vielfalt der angefaßten Aufgaben entsprach dann oft eine unübersehbare Vielheit von Resolutionen, die damit von selbst an Wirkung einbüßten.

Die Katholikentage nach dem ersten Weltkrieg (1923 war der erste in einer ganzen Reihe von Wiener Diözesankatholikentagen, 1933 der große gesamtösterreichische) änderten dann sehr merklich ihren Charakter. Die Zeit der Massendemokratie, der Demonstrationen und Aufmärsche, des Kampfes um die Straße hatte-auch die Katholikentage zu Massenkundgebungen gemacht. Nur eine imponierende Menschenmenge gab Gewicht in der Oeffentlichkeit. Akute weltanschauliche Kämpfe, ärgster politischer und antireligiöser Terror hatte viele Katholiken in den Betrieben, in den Wohnblocks in hoffnungsloseste Situationen gestellt. Für sie war das religiöse Gcmeinschaftserlebnis eines Katholikentages, das Bekenntnis einer gläubigen Masse die Quelle neuer Kraft zu mutigem Bekenntnis in der Not des Alltags. Die Katholikentage in dieser neuen Gestalt wurden dann auch jeweils unter ein einheitliches Thema und eine bestimmte Parole gestellt.

Die Tradition wurde nach dem zweiten Weltkrieg aufgegriffen. Es folgte 1949 der Wiener Katholikentag unter der Devise: „Gebt Gott, was Gottes ist“, und der große gesamtösterreichische Katholikentag 1952 unter der Parole „Freiheit und Würde des Menschen“. Der letztere hatte in einer glücklichen Weise' versucht, mit dem Anliegen der Massenkundgebung das Anliegen einer Arbeitstagung zu verbinden, indem er die so fruchtbare Mariazeller Studientagung vorangehen ließ.

Und nun stehen wir vor dem Katholikentag 1958. Steht ein Anliegen hinter ihm, das ihn rechtfertigt? Und wenn ja, in welcher Weise kann diesem Anliegen eine sinnvolle Erfüllung gegeben werden?

Das Anliegen hatte der Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe vom November 1956 aufgezeigt. Es ist das Anliegen der gerade heute so dringlichen Gesellschaftsreform, die von den Katholiken aus innerster sozialer Verantwortung in die Wege geleitet werden muß. Nicht bloß Abwehr, Verteidigung. Heute wird von der Kirche, wird von den Katholiken ein positiver Beitrag, ein aktives Mitgestalten an einer gesellschaftlichen Ordnung erwartet, die in eine Zukunft weist. Vom ersten Katholikentag an ist neben all den anderen Problemen der Zeit auch die soziale Frage ständig auf dem Programm gestanden und hat, wie die Berichte zeigen, gerade in diesem Aufgabenbereich zu sehr intensiven Ueberlegungen und sehr konkreten Beschlüssen geführt. Die soziale Frage hat sich inzwischen gewandelt. Aber sie hat nichts von ihrer grundsätzlichen Dringlichkeit eingebüßt. Im Gegenteil, gerade die Weltbedrohung durch den Osten verlangt, daß die westliche Welt eine bessere, richtigere Ordnung aufzuweisen hat. Und schließlich ist inzwischen auch die Position des Katholizismus in Oesterreich eine andere geworden. Die Chance, die ihm heute in der Gesellschaft gegeben ist, ist für ihn eine ernste Verpflichtung.

Wenn aber1 ein im sozialen Leben aktiverer Katholizismus wirksam werden soll, sind Voraussetzungen zu schaffen. Und gerade hier sieht der Katholikentag seine vordringliche Aufgabe, die ihn zur Notwendigkeit macht. Nämlich die Aufgabe, in den Katholiken eine lebendigere soziale Verantwortlichkeit wachzurufen und ihnen die Postulate einer christlichen Gesellschaftsauffassung ins Bewußtsein zu bringen, die sie in der Vielfalt des konkreten Lebens verwirklichen müssen.

Und gerade deshalb, weil er nicht in erster Linie an den Staat und die Institutionen der Gesellschaft, sondern an die Katholiken selbst seine Botschaft zu richten hat, muß er versuchen, möglichst weite Massen des katholischen Volkes anzusprechen. Freilich wird gerade bei dieser Zielsetzung deutlich, daß sie nicht in isolierten Großkundgebungen allein zu verwirklichen ist. So wurde von Anfang an eine weitreichende geistige Vorbereitungsarbeit in der Breite des katholischen Volkes in die Planung einbezogen. Vor einem Jahr hat unser Oberhirte im Forum für das Laienapostolat den Auftrag dazu gegeben, und das ganze Arbeitsjahr 1957/58 wurde für diese Breitenarbeit benützt. In Kleruskonferenzen wurden die Seelsorger mit dem Anliegen vertraut gemacht und die religiöse Vorbereitungsarbeit besprochen. Denn die innerste Verankerung der sozialen Verantwortung liegt in unserer christlichen Existenz, in der Gotteskindschaft, in der Verbundenheit mit Christus und im Auftrag, den Er uns gegeben hat. Glaubensverkündigung, Gewissensbildung, Schriftlesung, Gebet sollten die innersten Voraussetzungen schaffen. Anregungen zur praktischen sozialen Tat im eigenen Lebensbereich, im Bereich der Pfarrgemeinde, der Gruppe sollten helfen, die Theorie ins Leben umzusetzen. Darüber hinaus sollte in den Gruppen bei Männern, Frauen und Jugend soziale Bildungsarbeit geleistet werden, sollten die Katholiken mit den Grundsätzen christlicher Gesellschaftsordnung vertraut gemacht, mit den heute gestellten Sozialproblemen befaßt und in Referaten und Diskussionen ihr Interesse und ihre Verantwortlichkeit lebendiger gemacht werden. So ist in diesem Jahr der Vorbereitung unendlich viel Kleinarbeit geleistet worden. Sicher nicht überall mit gleicher Intensität und Bereitschaft, im gesamten aber doch in einem beachtlichen Ausmaß. Und so darf die berechtigte Hoffnung ausgesprochen werden, daß die Großkundgebungen des Katholikentages nicht ins Leere sprechen, sondern als Höhepunkt dieser Jahresarbeit echten Widerhall finden und Ausgangspunkt für noch intensivere Arbeit in diesem Aufgabenbereich sein werden.

Neben diesem Appell an die soziale Verantwortung des katholischen Volkes liegt die Aufgabe des Katholikentages natürlich auch darin, zu den konkreten Problemen der heutigen Gesellschaft au der Klarheit christlicher Prinzipien heraus Stellung zu beziehen, Vorschläge zu unterbreiten und, wo nötig, auch Forderungen an die Institutionen der Gesellschaft zu richten. Damit war die andere Richtung der geistigen Vorbereitung gegeben. Ein Kreis von Fachleuten steckte die wichtigsten Fragenbereiche ab, die vor allem einer Behandlung bedurften. Eine Reihe von Arbeitskreisen wurde konstituiert, denen jeweils ein bestimmter Sachbereich zur ersten gründlichen Durcharbeitung übertragen wurde und die ihre Arbeit bereits im vergangenen Herbst aufnahmen. Es waren Arbeitskreise um die Sachbereiche: „Staat und Gesellschaft“, „Probleme der Wirtschaft“. „Partnerschaft“, „Bäuerliche Welt“, „Familie“. „Berufstätige Frau und Mutter“, „Wohnung und Siedhing“. Ein zweiter Arbeitsgang brachte die jeweiligen Ergebnisse der einzelnen Kreise vor einen größeren Kreis von Fachleuten und entsprechenden Praktikern. So sollten dem Katholikentag wirklich gültige Ergebnisse, über die im katholischen Bereich Uebereinstimmung besteht, zur Verfügung stehen. Gerade diese Begegnungen haben sich als sehr fruchtbar erwiesen und werden über den Katholikentag hinaus Bedeutung behalten. Was hier erarbeitet wurde, dient nun als Grundlage für die Sonderveranstaltungen, die in der Katholikentagswoche zu diesen einzelnen Bereichen des Gesellschaftslebens Stellung beziehen werden. Auch bei dieser Arbeit hat sich gezeigt, daß noch manche i Fragen einer gründlichen Weiterarbeit bedürfen, so daß auch hier der Katholikentag nicht nur Abschluß einer Vorbereitungsarbeit, sondern ebenso Anfang für neue Arbeit sein soll.

Immer waren die Katholikentage auch Höhepunkte des religiösen Erlebens. Tage des gläubigen Bekennens. Das muß auch der Katholikentag 1958 sein. Und darin liegt nicht zuletzt sein Sinn und seine Begründung. Zwar hat auch dieses Bekenntnis des Glaubens heute vielleicht eine etwas andere Note. Es ist nicht mehr das riskante und trutzige Bekenntnis im Angesicht einer aggressiven Ungläubigkeit. Wer heute am Katholikentag teilnimmt, riskiert nichts. Er wird kaum deshalb in seiner alltäglichen Umgebung neuen Feindseligkeiten ausgesetzt sein. Um so mehr soll es ein frohes, beglückendes Bekennen zur lebendigen Gemeinschaft der Kirche sein, zu Christus, dem Haupt, das uns alle eint und verpflichtet. Wenn dieser Katholikentag unter der Devise der Brüderlichkeit steht, dann sollen darüber nicht nur Worte gemacht werden. Sie soll eindrucksvoll erlebt werden dort, wo sie am lebendigsten Wirklichkeit ist: in der gemeinsamen Feier des heiligen Opfers. Der Höhepunkt des sozialen Katholikentages soll das Erlebnis der lebendigen Brudergemeinde der Diözese sein, die, um den Bischof geschart, mit Christus, dem Bruder, das Opfer darbringt, aus dem das Heil der Welt wird. Hier setzt die soziale Verantwortung ihren wertvollsten Akt. Ohne ihn bliebe alles andere leere Geschäftigkeit.

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