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Was bezweckt die Öxfordvereinigung?

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In der Nummer 34 der „Furche“ erschien ein Aufsatz über die Oxfordbewegung, der nach meinem Urteil das Wesentliche dieser christlichen Erneuerungsbewegung nicht genügend klar herausstellt. Da mein persönliches Leben und das meiner Familie durch diese Oxfordbewegung stark beeinflußt wurde, möchte ich meine Erfahrungen mit derselben kurz darstellen, weil sie vielen anderen ebenso wertvoll werden kann wie uns selbst.

Die Oxfordbewegung nennt sich jetzt „Moral Rearmement“, „moralische Wiederaufrüstung“, abgekürzt MRA. Sie verlangt Rückkehr zu den vier Hauptgeboten Christi:

1. Absolute EhrSchkeit: „Ja, ja, — nein, nein, was darüber ist, das ist vom Übel.“

2. Absolute Reinheit: „Wer ein Weib ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen.“

3. Absolute Selbstlosigkeit: „Wer unter Euch der erste sein will, der sei Euer Diener.“

4. Absolute Nächstenliebe: „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst.“ Im Grunde genommen bringt also diese Bewegung nichts Neues, sie fordert die Erfüllung der alten Christusgebote, deren praktische Ausführung, soweit wir erdgebundenen Menschen sie überhaupt zustande bringen, alle Schwierigkeiten zwischen Menschen und Völkern beseitigen würde. Neu sind die Wege, wie diese Bewegung die Menschen erfaßt und aufrüttelt.

Ich hatte von der Oxfordgruppe — so hieß sie seinerzeit — schon gehört und von ihr gelesen, als ich mit einem ihrer Mitglieder in persönliche Berührung kam. Es war kein Pfarrer, sondern ein hoher Beamter des Völkerbundes, der zur Erfüllung seiner Mission für kurze Zeit mit seiner Frau nach Wien kam. Es waren Holländer. Sie benützten beide ihre freie Zeit zur Hilfe für andere Menschen.

Wie hat sich nun diese persönliche

Fühlungnahme abgespielt? Nachdem mir der betreffende Herr seine eigenen Lebensfehler der Vergangenheit in voller Offenheit erzählt hatte, mußte ich mit ihm eine sogenannte „Stille Zeit“ halten. Ich bekam ein Blatt Papier und sollte nun gesammelt darüber nadidenken, welche von den vier absoluten Forderungen Christi ich früher oder jetzt nicht erfüllt oder verletzt habe und die mir gekommenen Gedanken niederschreiben. Es war ersch reckend, wie viel alter Schutt da zum Vorschein kam. Es wurde mir heiß dabei. Und nun kam als zweites d:e Forderung, alles wieder gut zu machen, was man gefehlt hatte, soweit dies eben möglich war. Unter anderem sollte ich Zerwürfnisse mit Menschen bereinigen, bei denen ich den Fehler nur auf ihrer Seite sah, nicht bei mir. Bei genauer Überlegung wurde mir aber bewußt, daß ich in jedem Falle Mitschuld an der Verfeindung trug. So habe ich mehrere Entschuldigungsbriefe abgesandt, was mir recht schwer fiel. Die Antworten waren überraschend freundlich, wobei ein jeder seine Mitschuld zugestand. Nach all dem empfand ich ein tiefes Gefühl der Erleichterung. Es gab bei mir auch noch anderen „Schutt“. Die kurze Zeit, die ich mit diesem Manne verbrachte, hat mich tief aufgewühlt, denn ich hatte mir eingebildet, daß bei mir ohnedies alles in bester Ordnung sei.

Die stille Zeit frühmorgens ist bei mir seither wertvoll geworden. Man kann sie auch gemeinsam mit anderen abhalten und die gekommenen Gedanken austauschen. Es ist eine Gewissenserforschung, die ein jeder von uns notwendig hat, der sich vor Gott für sein Tun und Lassen verantwortlich fühlt. Die Oxfordbewegung verlangt, daß man sich Zeit nehmen muß, auf das Gewissen, durch das Gott zu jedem einzelnen von uns Menschen spricht, zu hören, am besten frühmorgens vor Beginn der Tagesarbeit und daß man dann auch seinem Gewissen zu gehorchen hat. Die Probe darauf, ob das Gewissen in einer solchen stillen Zeit mit uns redet, kann jeder machen.

Im Großen wirkt die Bewegung durch Tagungen, zu denen man persönlich eingeladen werden muß. Ich habe seinerzeit eine solche Tagung in Wimpfen mitgemacht, sie dauerte drei Tage. Da wird die Erfüllung dieser vier Forderungen an Beispielen des praktischen Lebens und an den Mitteilungen der einzelnen Teilnehmer unter Leitung eines geschulten Mitgliedes der Bewegung offen besprochen, soweit dies in einer großen Versammlung möglich ist. Bei allem Ernst gab es oft fröhliches Lachen. Außerdem hat jeder Gelegenheit, sich mit einzelnen Mitglieder der Bewegung unter vier Augen auszusprechen. Man wird dabei nicht ausgeforscht, auch nicht kritisiert, sondern der sogenannte Austauschpartner berichtet offen über seine eigenen Vergehen, Schwierigkeiten und Schwächen und wie er sie schließlich überwunden habe und wie er gut gemacht habe, was gut zu machen war. Dadurch verliert man die Scheu, mit seinem eigenen Schutt aufzuräumen.

Die praktischen Folgen der Bewegung und solcher Tagungen waren in manchen Ländern ganz offensichtlich. Steuerhinterziehungen wurden einbekannt und die Steuern nachgezahlt. Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verliefen in vielen Fällen reibungslos. Der kleine, uns allen so harmlos erscheinende Zollschmuggel bei Reisen verminderte sich merklich. Das soziale Gewissen weiter Kreise der Begüterte wurde geweckt. Viele Liebesgaben und Liebesdienste, die heute unserem Lande erwiesen werden, sind Auswirkungen der Oxfordbewegung. Dabei will sie keine neue Religionsgemeinschaft gründen oder sein, sie veranlaßt im Gegenteil jeden, den sie innerlich aufgerüttelt hat, in seiner eigenen

Kirche zu verbleiben und dort als echter

Christ zu wirken.

Um den Gründer einer großen Bewegung schaffen die Menschen alsbald eine Verehrungszone, durch die man schwer zu ihm hindurchgelangt. Hier ist dies nicht so. Frank Buchmann, der Gründer der Bewegung, war einmal in unserem Hause zu Gast. Er ist ein einfacher und fröhlicher Mensch und trug einen hellen Anzug.

Es wäre, nach meiner Meinung, für unser Land und seinen Wiederaufbau eine große Hilfe, wenn diese Bewegung auch bei uns weite Volkskreise beeinflussen würde.

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