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Was blieb vom Deutschtum im Südosten?

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Rund zwei Millionen Seelen zählte das Deutschtum in den drei Donaustaaten Ungarn, Rumänien und Jugoslawien vor Beginn dieses mörderischen Krieges. Heute, nachdem die Furien des Krieges durch diese Lande, die ein Paradies lukullischer Träume waren, gezogen sind, ist weder von den Südostdeutschen noch von den Reichtümern viel übriggeblieben. Die Pioniermission, die ihnen Maria Theresia und ihr großer Sohn überantwortet haben, ist beendet, sie selbst vertrieben und ihr Besitz aufgeteilt. Nur die Gräber werden ewig an sie gemahnen.

Ungarn ist dabei, das Problem der Dönauschwabcn, die nach den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz das Land verlassen müssen, einer noch erträglichen Lösung zuzuführen. Die letzte Friedensvolkszählung vom Dezember 1930 wies 479.000 „Deutschsprechende“ auf, denn in Ungarn gab es nur eine einzige Nation, nämlich die historischungarische, die sowohl Magyaren als auch Deutsche, Slowaken und Serben umfaßte. So sagte es die uralte Sankt-Stephans-Verfas-sung. Bei allen Volkszählungen wurde also nur nach der Sprache, die man „am liebsten spricht“, differenziert. Auch die 1941 stattgefundene Volkszählung wies eine fast gleichgebliebene Anzahl von Deutschen in Ungarn auf.

Der Rückzug der Armeen Hitlers aus dem Donauraum im Herbst 1944 war von einer immer größer werdenden Anzahl von Volksdeutschen begleitet, die in ihren Siedlungsgebieten die nationalsozialistischen Ideen, verbreitet hatten und nun die Reaktion der umwohnenden Völker befürchten mußten. Auch in Ungarn verließ ein ansehnlicher Teil des Schwabentums, soweit er im „Volksbund“ gearbeitet hatte, das Land. Um den verbleibenden, bedeutenden , Rest jedoch wird ein heftiger Kampf geführt, der noch nicht endgültig entschieden ist. Dies wird verständlich, wenn gesagt wird, daß keineswegs das ganze Ungarndeutschtum im Lager Dr. Bäschs stand. Trotz der Monopolstellung, welche der Volksbund nach den Wiener Verträgen (1940) einahm, bestand immer noch eine ansehnliche Gruppe von Männern, die nicht den pangermanistischen Parolen aus Berlin folgen wollten. Diese Kreise, zu denen die Abgeordeten Dr. Gratz, PinteY, Klein und andere gehörten, konzentrierten sich im „Ungarländisch-Deütschen Volksbildungsverein“ (UDV), der von Dr. Bleyer 1924 gegründet worden war und von den Anhängern Dr. Bäschs später heftig angegriffen wurde. Der UDV verfolgte eine Politik der engen Zusammenarbeit mit den Magyaren, die freilich in absehbarer Zeit

zur völligen Assimilierung des Ungarn-deutschtums geführt hätte. Ihre Ablehnung der Berliner Weisungen rehabilitiert sie heute aber in den Augen der ungarischen Öffentlichkeit, und es muß als bedeutsam angesehen werden, wenn eine Zeitung wie „Magyar Nemzet“ im Jänner einen Aufruf ungarischer Schriftsteller und Künstler veröffentlichte, der sich gegen die Kollektivaussiedlung wandte. Es stand darin zu lesen, daß die Aussiedlung beim besten Willen nicht menschlich durchgeführt werden könne, und daß man daher nur jene aussiedeln solle, die sich gegen Ungarn vergangen haben. Keineswegs aber sollten jene Deutschen davon betroffen werden, die — wie ja auch viele Magyaren — nur der Massenpsychose des Nazismus unterlegen seien. Ungarn, das im Kriege über eine Million Menschen verloren habe, könne es sich nicht leisten, nun noch eine weitere halbe Million einzubüßen.

Die Erörterung dieses Problems in der Presse scheint doch ihre Wirkung gehabt zu haben; denn Mitte fobruar erklärte Ministerpräsident Nagy, da“ nur die Mitglieder des Volksbundes und der SS ausgebürgert würden. Alle jene, die sich stets zum Ungarn-tum bekannten, würden auch weiterhin wie Ungarn behandelt werden.

Interessant war auch die Erklärung des zuständigen Sektionschefs Szepessy, der die Zahl der radikalen Volksdeutschen mit 303.000 angab, von denen allerdings schon 30 bis 40 Prozent das Land, zusammen mit den sich zuriickkäimpfenden deutschen Truppen verlassen hatten. Auch er wies auf eine individueMe Lösung der Aussiedlung hin. Das Vermögen der Angehörigen des Volksbundes und der SS sei eingezogen worden, das der übrigen werde geschätzt und von den deutschen Schulden an Ungarn in Abzug gebracht werden. Nach statistischen Angaben belaufe sich das Vermögen der Schwaben auf 257 Millionen Goldpengö. Auf Grund der Ausbürgerung würden rund 178 Millionen

Goldpengö von den rund 1,5 Milliarden Goldpengö betragenden deutschen Schulden abgezogen werden.

Man kann also nur das Ende der Umsiedlung abwarten, um sich ein Bild darüber zu machen, wie viele Deutsche noch in Ungarn verbleiben und vor allem, ob sie auch weiterhin noch als Deutsche zu bezeichnen sein werden.

In Rumänien

Nicht unberührt, aber dennoch in seinen wesentlichen Substanzen unverändert steht das Deutschtum in Rumänien noch immer auf seinem Posten. Es ist heute wohl die letzte Kolonie im Südosten, die Zeugnis gibt von den Kulturleistungen einer 700jähri-gen Geschichte inmitten zweier Völker. In Siebenbürgen waren vor dem Kriege an die 250.000, im rumänischen Banat an die 300.000 Deutsche. Auch diese Zahlen haben eine heute noch nicht feststellbare Verminderung erfahren. Als ich im Herbst 1945 durch Rumänien fuhr, klagten die dortigen Volksdeutschen über ihr ungewisses Schicksal, aber sie würden es sicher nicht getan haben, wenn sie gewußt hätten, was den Deutschen in anderen Ländern widerfahren ist. Unter der Begründung, sie hätten sich „faschistisch“ betätigt, werde ihnen vielfach Haus und Hof genommen. Die Bistritz-Szatmarer Volksinsel dürfte nach verschiedenen Berichten, die ich noch in Kriegsgefangenschaft erhielt, nicht mehr bestehen. Viele Familien wurden dort — aber auch im südlichen Siebenbürgen — nach Osten deportiert.

Die deutschen Schulen existieren in Rumänien noch. Dies sagte mir im Oktober eine deutsche Lehrerin in Curtici (Banat). In Timisoara erscheint die „Temesvarer Zeitung“, ein Organ der Regierung Groza — heute wohl die einzige deutsche Zeitung im Südosten überhaupt. In Siebenbürgen soll sich der bekannte Schriftsteller Oskar Wittstock um eine Neuausrichtüng des Siebenbürger Deutschtums bemühen und den Fehlern der vergangenen Ära unbarmherzig den Kampf ansagen. Auch der Name des früheren Unterstaatssekretärs Rudolf Brandsch, einer der Ratgeber Erzherzog Franz Ferdinands, wurde genannt — doch war nichts Genaues zu erfahren.

Selbst in Rumänien ist also 'die Lage der Volksdeutschen heute eine unerfreuliche und es mag wohl ihr Glück sein, daß sie in der Potsdamer Erklärung nicht erwähnt wurden, denn sonst wären auch ihre Tage schon gezählt.

Jugoslawien

Eine völlige Lösung des Deutschtumspro* blems wurde in Jugoslawien erreicht. Mindestens 650.000 Deutsche wohnten vor dem Kriege in der Batschka, im Banat, Slowenien und Syrmien. Ihre Haltung zum jugoslawischen Staat war früher sehr loyal und sie hatten größere Freiheiten als im Vorkriegsungarn. Erst die Zerschlagung d Staates im Frühjahr 1941 brachte sie in engere Verbindung mit den Naziideologien. In der Batschka wie in Kroatien bekämpften die Deutschen in den folgenden Jahren die Freischärlerarmeen Titos und zogen sich dadurch deren Feindschaft zw In Untersteiermark wurden sie zu Reichsbürgern und im serbischen Banat erhielten sie unter dem Druck des Reiches eine territoriale Autonomie im Rahmen Serbiens.

Die erbitterten Kämpfe, die sich bei dem Rückzug der deutschen Truppen abspielten, kosteten vielen Volksdeutschen das Leben. Was nicht mit der Wehrmacht mitzog, erlebte in den Tagen der Befreiung Jugoslawiens die furchtbare Rache der Partisanen Was heute noch in unserem Nachbarstaat an Deutschsprachigen ist, wird aus dem Lande entfernt, obwohl Südslawien — wie auch Rumänien — dazu keine Berechtigung durch das Potsdamer Abkommen erhalten hat. Marschall Tito weigerte sich im Herbst 1945 auch, 25.000 Volksdeutsche jugoslawischer Staatszugehörigkeit, die sich in der USA-Zone Deutschlands befinden, wieder aufzunehmen, so daß diese Menschen das Chaos in Mitteleuropa noch vergrößern.

Das ist die traurige Bilanz einer stolzen, vielhundertjährigen Epoche, die ausgefüllt war mit unermüdlicher Kolonisation des in den Türkenkriegen verwahrlosten Landes. Als Kulturbringer zogen diese Menschen in ein fremdes Land, um dort eine neue Heimat Zu finden. Ein Jahrzehnt hat genügt, sie mit in den Strudel zu reißen, in dem dieses Volkstum versunken ist..,

Gewissenhaftigkeit und Rechtschaffenheit eines Volkes stehen im Verhältnis zum Grade seiner Gewissens- und Denkfreiheit. Ein Volk, das seine kostbarsten Güter verliert, das durch Staatshände seines persönlichen Rechtes, eine eigene Meinung zu haben, beraubt wird, muß ein innerlich leeres Volk werden. Da ihm dadurch all die großen und schwierigen Fragen, die eine Menschenseele beschäftigen können, entzogen sind, braucht es sich nur noch mit nebensächlichen Fragen und mit der Pflege allerlei Leidenschaften zu befassen. Es kann wohl auf einigen Gebieten Großes leisten, es kann seine Lieblingsgefühle entwickeln, es kann durch seine Sitten glänzen, aber seine Seele entbehrt der Tiefe, denn die Gedanken, die das Leben ernst und wichtig gestalten, sind ihm fremd.

Das menschliche Leben kann sich auf die Dauer nicht auf einer Lüge aufbauen, noch ein Nichts zum Stutzpunkt nehmen.

Alexandre V1 n e t (1797—1847), Westschweizer kaWinlstischei Theologe

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