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Was erwartet die Rücksiedler in Südtirol?

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Die Südtiroler Oberösterreichs haben im Mai ihren fünften Rücksiedlungs-transport über den Brenner entsandt. Damit scheint eine Aktion wieder in Fluß gekommen zu sein, die seit Monaten ins Stocken geraten war. Auf italienischer Seite hatte sich nämlich die irrige Meinung gebildet, daß auf die Südtiroler von der österreidiischen Regierung ein gewisser Druck zur Option für den Rückerwerb der italienischen Staatsbürgerschaft ausgeübt worden sei. Der österreichischen Regierung fiel es nicht schwer,“ dem entgegenzuhalten, daß sie den Südtirolern lediglich versprochen hatte, sie im Falle ihrer Option für Italien weiter als den Österreichern gleichgestellt zu behandeln, bis sich ihre Rück-siedlung nach Südtirol ermöglichen ließe. Trotzdem gab es den ganzen Winter über gewisse Mißtöne in der italienischen Presse, die inzwischen verstummt sind. Die österreichisch-italienischen Verhandlungen haben durch die ganzen Vorfrühlingswochen ihren ungestörten Verlauf nehmen können. Soviel bis heute über ihr Ergebnis bekanntgeworden ist — es ist herzlich wenig, wie besonders der Korrespondent des „Corriere della sera“ beklagt —, haben sich beide Verhandlungspartner offensichtlich bemüht, den in der italienischen Presse angeschlagenen Mißton nicht in den Verhandlungsraum hineinklingen zu lassen. Es wurde sogar von einer Atmosphäre besten Einvernehmens gesprochen, die ein beiderseitiges Entgegenkommen ermöglichte.

Österreich hat vor allem zugesagt, daß es jenen Südtirolern keine Schwierigkeiten machen wolle, die sich in Österreich eine gesicherte Existenz schaffen konnten und daher zur Rückkehr in ihre Heimat nicht mehr entschließen können. Italien hingegen hat seine zurückhaltende Haltung aufgegeben und die weitere Bearbeitung der Südtiroler Optionsgesudie zugesagt. Die Südtiroler Verbände in Österreich konnten .bereits, obwohl ihnen offiziell noch nichts über den Verlauf der römischen Besprechungen mitgeteilt worden ist, die angenehme Erfahrung machen, daß eine ganze Reihe von schon lange wartenden Reoptanten nun endlich die sehnlichst erwarteten Staatsbürgerschaftsdekrete erhielt.

'Damit hat nun die Politik die durch sie geschaffenen Hindernisse für die Rüok-siedlung der Südtiroler selbst wieder beiseitegeräumt und den Weg über den Brenner freigemacht. Nicht ganz so die Entwicklung der Wirtschaft. Südtirol,, ein kleines “und sehr gebirgiges Land, bietet bekanntlich nur in den großen Haupttälern und teilweise auf den Mittel-gebirgsplateaus Siedlungsmöglichkeiten, die bereits vor dem ersten Weltkrieg voll ausgenützt waren. Die nach dem Zusammenbruch der österreichischen Monarchie einziehende italienische Verwaltung hat, um hier auch Italienern Siedlungsmöglichkeiten zu bieten, die Einrichtung neuer und teilweise überdimensionierter Industrien begünstigt. Das Kriegsende im Jahre 1945 brachte eine Konjunktur von kurzer Dauer, die jedoch dazu führte, daß ein starker Einwanderungsstrom aus dem Süden einsetzte. Her'.? hat die italienische Industrie mit einer empfindlichen Absatzkrise zu kämpfen, die dazu geführt hat, daß nun auch in den neugeschaffenen Bozner Großindustrien Massenentlassungen vorgenommen werden mußten. So hat innerhalb von wenigen Tagen „Lancia“ in Bozen über 600 Arbeiter entlassen.

Die rückkehrwilligen Südtiroler in Österreich und Deutsdiland müssen also damit rechnen, daß sie in ihrer Heimat keineswegs eine günstige Situation antreffen. Sie müssen ferner damit rechnen, daß sie von den arbeitlos gewordenen italienischen Industriearbeitern und Angestellten weniger ihrer deutschen Mutterspradie wegen als wegen ihrer Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt nidit gerne gesehen werden. Ja, selbst ihren eigenen Landsleuten sind sie nicht immer willkommen, da diese fürchten, daß sie ihnen monatelang auf der Tasche liegen könnten. Von den bisher rund 2000 Rückgesiedelten hat sich allerdings schon eine große Zahl in den Wirtschaftsprozeß eingegliedert und auf eigene Füße gestellt. Es verfügt aber nicht jeder Rückwanderer über eine krisenüberwindende Tüchtigkeit und solchen fällt es natürlich — wie überall — schwerer, Brot und Bleibe zu finden.

Das Problem, das auf dem wirtschaftlichen Sektor der Rücksiedlung am meisten Kopfzerbrechen verursacht, ist — wie auch in Österreich — jenes der Wohnungsbeschaffung. Da sich die Wohnungsuchenden — es sind tausende — nahezu allesamt zu den Besitzlosen zählen, ist auch an ein großzügiges Siedlungswerk vorläufig gar nicht zu denken. Das private Kapital ist an einer Investition in Wohnungsneubauten überhaupt nicht interessiert. Vom Staat kann man an eine Hilfe zur Errichtung von Siedlungen für Rückwanderer solange nicht erwarten, als er für die nicht abgewanderten Söhne und Töchter auch nicht genügend Wohnraum beschaffen kann. Es bleibt nur die Bauselbsthilfe übrig, für welche unter den Rückwanderern auch eifrig geworben wird. Aber zu dieser braucht es ebenfalls, wenn auch weniger, Geld, über welches die Rückwanderer großenteils nicht verfügen. Hier setzt nun die Hilfeleistung der in Südtirol verbliebenen und besonders der besitzenden Kreise ein. In den meisten Südtiroler Gemeinden haben sich Rücksiedlungsausschüsse gebildet, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den wieder in der Heimat angeschwemmten Landsleuten die erste Hilfe angedeihen zu lassen, ba und dort konnten durch Sammlungen oder Wohltätigkeitsveranstaltungen nicht unerhebliche Geldmittel zusammengebracht v/erden, so daß man schon daran denkt, durch Kauf einzelner Objekte und deren Ausbau Wohnmöglichkeiten für Rücksiedler zu schaffen. Man sieht auch die Möglichkeiten von Spenden an Baumaterial, wie Holz, Ziegel, Kalk und Zement, sowie von kostenlosen Fuhrwerksleistungen, um auf diese Weise an der — wenigstens teilweisen — Verwirklichung der Rücksiedlung mitzuarbeiten.

So sdrnierzlich es für die rückkehrwilligen Südtiroler in österreidi und Deutschland und für ihre Landsleute in Südtirol selbst ist, daß durch die dargelegten Schwierigkeiten sich die Abwicklung der Rücksiedlung durch viele Jahre hinziehen muß, so darf man doch nach Betrachtung dessen, was von Südtiroler

Seite zu leisten versucht wird, mit Gewißheit annehmen, daß die Südtiroler sich nicht selbst einmal den Vorwurf machen müssen, selbst Schuld an der Verzögerung der Rücksiedlung ihrer Landsleute zu tragen.

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