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Was gab es wirklich in Belgrad?

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Zur Mittagsstunde des 24. September 1962 traf der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, Leonid Breznev, in der Hauptstadt der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien, Belgrad, ein. In seiner Begleitung befanden sich außer Gattin und Tochter unter anderen der Schwiegersohn Chruschtschows, Adschubej, und der frühere Botschafter in Belgrad, jetziger Vizeminister des Äußeren, Firjubin, der in Balkanfragen spezialisierte Diplomat Antropov. Auf dem Flugfeld wurden die lieben Gäste durch den Präsidenten, Marschall Tito, begrüßt, den die führenden Männer des jugoslawischen Staates umgaben. Nicht ein einziger fehlte. Kardelj, der präsumtive Nachfolger Titos, Rankovic, dessen Rivale, der auf den zweithöchsten Posten abgeschobene Vorsitzende der Skupstina Stambolic, Colakovic, Todorovic, Vukmanovic, der Gewaltige über das Heer, Gosnjak, und der Außenminister, K. Popovic, nicht zu vergessen die serbischen Lokalkoryphäen. In den Straßen brachte die durch einen Aufruf der Partei herbeibefohlene und durch ein ansehnliches Polizeiaufgebot in den gebührenden Schranken gehaltene Bevölkerung „dem hervorragenden Vertreter der Völker der Sowjetunion“ die geziemende Huldigung dar.

Von da an war des wohlvorbereiteten und wohltemperierten Triumphzugs kein Ende. Frühstücke, Diners und Empfänge voller Glanz, unterbrochen durch Besuche m Fabriken, landwirtschaftlichen Kollektivbetrieben und einer Schiffswerft, füllten die ersten fünf Tage des Aufenthalts des sowjetischen Staatsoberhauptes erdrückend und ermüdend aus. Von Belgrad ging es nach Kragujevac, weiter nach Osijek (Esseg) und am Abend des

26. September nach dem Adriahafen Split (Spalato), von wo die Jacht Titos Breznev am 28. nach Brioni führte. Bereits in Belgrad hatten Besprechungen zwischen den beiden Präsidenten stattgefunden; über die dabei berührten Themen wurden mit scheinbarer Offenheit umfängliche Mitteilungen gemacht. Auf Brioni setzte man übers Wochenende den Meinungsaustausch fort. Noch ein paar Festmähler, eine Hirschjagd und dann kehrte Breznev nach Moskau zurück.

Die Beobachter aber fragen sich, was das alles, jenseits des Schaugepräges und der in abgedroschenen Phrasen schwelgenden Reden, zu bedeuten habe.

Die Chinesen: „Die modernen Revisionisten, vom Typus der Clique Titos, sind noch verächtlicher geworden, indem sie die Sache des Kommunismus verraten und den Bedürfnissen des Imperalismus Genüge tun. Sie unternehmen alle erdenklichen verbrecherischen Aktionen, um dem Kommunismus, dem Kampf der unabhängigen Völker Asiens, Afrikas, Amerikas ... entgegenzuarbeiten.“ (Schlußcom-munique der Tagung des Zentralkomitees der chinesischen KP vom

27. September 1962.) Breznev, bezie-chungsweise Chruschtschow und die heutige Führung der UdSSR werden nicht direkt angegriffen. Im Gegenteil, aus Anlaß des 13. Jahrestages des Bestehens der Chinesischen Volksrepublik feierte man in Peking wie in Moskau die sowjetisch-chinesische Freundschaft, die in dem eben erwähnten Communique als einer der drei Grundpfeiler der Pekinger Weltpolitik bezeichnet wird. Doch wir werden nicht lange suchen müssen, um hinter der Fassade, hinter den formellen Einigkeitsbeteuerungen, die wahren Gefühle Mao Tse-tungs und der Seinen zu erkunden.

' Erteilen- wir den A 1 b a n e r n das Wort, die allein unter den europäischen Volksdemokratien - > -s4oh - getrauen — oder durch die Entwicklung dazu gezwungen worden sind —, sich einzig ans ferne Reich der Mitte zu klammern und die ungescheut wie ungescheit, offen aussprechen, was man in Peking hinter lächelnder Maske verbirgt. „Zeri i Populit“, das offizielle Leibblatt Enver Hodschas, nennt den jugoslawischen Präsidenten, aus Anlaß des “sowjetischen Besuches, einen Kuppler des Imperialismus und Chruschtschow einen modernen Revisionisten, belegt also den Kreml-Diktator mit dem selben Ekelausdruck, der Tito durch die Chinesen als schmückender Un-ehrentitel verliehen worden ist. Die in eine Art von Raserei geratene Zeitung veröffentlicht seit Ende August fast täglich Brandartikel gegen den Erzfeind in Belgrad, aber auch gegen „Chruschtschow und seine Clique“, die das „brave, edle sowjetische Volk“ unter ihrem Joch schmachten läßt. Es bleibe den subtilen Deutern kommunistischer Weisheit überlassen, zu erklä'-ren, wie von Moskau her gesehen die unlösbaren Widersprüche miteinander vereinbar sind: daß man die chinesischen Brüder umarmt, die ihre albanischen Brüder an den Busen drücken, die ihrerseits Chruschtschow als blutbeflecktes Scheusal und als Verräter hassen, der mit denselben Jugoslawen engste Gemeinschaft pflegen will, die von Chinesen und Albanern zu Helfershelfern der Kapitalisten gestempelt werden.

Das, was die Chinesen gegenüber Tito und die Albaner sogar gegen Chruschtschow unverblümt an Vorwürfen und Schmähungen hinausschleudern, wird in einigen europäischen Volksdemokratien, jedem Kundigen verständlich, zwischen die Zeilen gewundener Artikel geschrieben und voller Ingrimm bei internen Parteiberatungen erörtert. In Sofia .treibt man das so weit, daß der jugoslawische Regierungssprecher, K u n c, darüber in seinen Pressekonferenzen zu klagen begonnen hat. Doch auch die Tschechen, die Rumänen und die Ostdeutschen sind von Tito nicht entzückt. Die Belgrader Regierung hat es sich mit den Macht-habern der DDR darum verscherzt, weil sie auch an sie Entschädigungsforderungen aus dem zweiten Weltkrieg gerichtet hat, allerdings weit geringere als an Bonn. Die mißvergnügten Satelliten des Kreml, deren Machthaber, NovotnV, Zivkov, Ulbricht, ohnehin nur widerwillig Chruschtschow folgen, nehmen den demonstrativen Besuch Breznevs sehr übel, als Abweichen von der Politik unbedingter Härte und Stärke, als Prämie für den Irrlehrer, wenn nicht gar Verräter.

Diametral entgegengesetzt ist der Standpunkt Chruschtschows, dem sich das Polen Gomulkas und das Ungarn Kädärs anschließen. Die jetzt in Moskau, in Warschau und in Budapest Maßgebenden wollen Tito stufenweise ins östliche Lager zurückführen, und sie sind hocherfreut darüber, daß er sowohl weltpolitisch ganz den Richtlinien des Kreml folgt, als auch nach innen an einem Marxismus-Leninismus festhält, der allerdings sich den wechselnden Zeitbedingtheiten anpaßt.

Diese Auffassung kommt der der Versöhnungsschwärmer im Westen nahe. Nur daß diese, im Gegensatz zur nüchternen Betrachtung der gemäßigten Ostländer, sich Illusionen über Titos und seiner Getreuen unbedingtes Festhalten am Kommunismus als Endziel und an seiner Hinneigung zur Sowjetunion machen und daß sie die Werbekraft wie die Werbelust des Marschalls für einen Pazifismus westlicher Färbung überschätzen. Irrig ist nicht minder die Ansicht derer, die meinen, Jugoslawien sei bei den Besprechungen in Belgrad und auf Brioni geradewegs in eine östliche A n-griffsfront des Weltkommunismus eingegliedert worden, die nach einem nun fertigen Plan beim ersten Vorwand den Blitzkrieg gegen den Westen eröffnen soll.

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