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Was geschieht vor der Oper?

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Es ist nun schon einige Jahre her, daß von „Stadtplanung“ in Wien die Rede war. Das war noch zu einer Zeit, da Ideen hoch in Kurs standen. Damals wurden nämlich Ideenwettbewerbe veranstaltet. Man hörte von den verschiedensten Projekten. Am bekanntesten wurde die Stadtneuplanung von Professor Brunner. Aber auf all diesen Plänen und Projekten beginnt sich nun langsam der Staub anzusetzen. Jetzt ist Geld da, da baut man. Da sind die alten Ideen — ob sie nun gut oder schlecht waren, es waren doch immerhin noch Ideen — überflüssig geworden. Man kann sie entbehren.

Und da baut man vor die Oper den Hein- richshof. Das’ heißt, ganz so weit ist es noch nicht. Aber es ist nicht sicher, ob zum jetzigen Zeitpunkt sein Bau noch verhindert werden kann; und wenn nicht verhindert, so doch vielleicht in halbwegs erträglichen Maßen gehalten werden kann. Wie gesagt: das ist nicht sicher. Denn diese Fragen werden, wie viele Fragen, die die Oeffentlichkeit betreffen, unverständlicherweise ohne allgemeines Wissen hinter verschlossenen Türen ausgehandelt. Nur weniges sickert durch die Spalten. Dieses wenige genügt aber, um zutiefst zu erschrecken und zu beunruhigen. Zumindest diejenigen unter uns, denen das Stadtbild des Wiens von morgen am Herzen liegt.’

Was ist also geschehen? Gegenüber der Oper lag das als „Heinrichshof“ bekannte Gebäude. Es wurde durch die Kriegsereignisse zerstört. Heute, nahezu zehn Jahre nach Kriegsende, ist der Schutt endlich weggeräumt. Und jedem Einsichtigen, ja jedem, der überhaupt Augen hat zu sehen, wird klar, daß dieser nun frei gewordene Platz der ideale Ort für eine Grünfläche, für eine Parkanlage wäre. Nicht nur ästhetische Gesichtspunkte würden eine solche verlangen; sie würden dem Staatsoperngebäude erst zu der Geltung verhelfen, die es verdient. Der Platz hinter der Oper vor der Albertina ist auch nicht mehr verbaut worden. Zum Vorteil des Stadtbildes. Um so mehr sollte also der Platz vor der Oper frei bleiben. Aber selbst wenn wir ästhetische Gesichtspunkte einmal ganz außer acht lassen, ergibt sich die städtebauliche Notwendigkeit, hier vor der Oper einen freien Platz zu lassen, sich Luft zu schaffen. Man darf den „Stadtkern ohne Raum“ nicht noch weiter verbauen.

Mit zunehmendem Verkehr wird diese Frage immer akuter. Wohin mit den vielen Autos? In Wien kommt heute auf zwanzig Einwohner ein Auto, in München — um eine Vergleichszahl zu nennen — bereits auf jeden neunten. Und mit den Jahren wird Wien wohl kaum hinter München zurückstehen. Vor allem jetzt, nach der Liberalisierung und der Einführung des Wertzolles an Stelle des alten Gewichtzolles. Wo sollen diese Autos alle parken, wenn zu einer Festpremiere der Staatsoper die Wagenkolonnen auffahren? Man wird doch wohl kaum verlangen können, daß die Autos alle am Schwarzenbergplatz parken sollen. Die neue Oper wird 1650 Sitzplätze haben. Wenn nur jeder fünfte Besucher im Auto vorfährt, haben wir bereits die Misere. Aber noch wichtiger als die Parkfrage scheint die Frage des Durchzugverkehrs.

Der Ring muß eine zügige Verkehrsstraße — soweit er das ist — bleiben. Aus diesem Grunde wird jetzt an der Opernkreuzung auch eine Unterführung gebaut, die die Fußgeher unter dem Autoverkehr durchschleusen soll. Der Bau dieser Unterführung kostet an die 10 Millionen Schilling. Unterführung gut und schön — aber hätte man das Geld nicht vielleicht doch zweckmäßiger anlegen können? Etwa im Ankauf des Heinrichshofgrundstückes durch die Gemeinde Wien? Das Grundstück — es widerstrebt uns überhaupt von einem Bauplatz zu sprechen — hätte 13 Millionen Schilling gekostet. Der Mehraufwand wäre, angesichts der Bedeutung der Sache, in jeder Hinsicht zu vertreten gewesen. Und die Gemeinde Wien, die als Gemeinde ja verpflichtet ist, in erster Hinsicht an das Wohl ihrer Einwohner zu denken und an nichts anderes, hätte dann hier eine Grünfläche, womöglich noch mit unterirdischem Parkplatz, anlegen können. Die in Bau befindliche Unterführung, die angeblich bereits auf eine künftige U-Bahn Rücksicht nimmt, hätte, so man ohne sie nicht auszukommen meinte, dann den Besitzern der hier abgestellten Autos wohl auch ohne weiteres einen direkten Zugang zur Staatsoper ermöglichen können.

Aber die Gemeinde Wien hat das Grundstück „Heinrichshof“ nicht gekauft. Sie wird es auch nicht kaufen. Das Wiener Stadtbauamt hat dazu kurz und bündig Stellung genommen und erklärt: „Die Wiener Stadtverwaltung hat nur wenig Einfluß auf dieses Projekt. Städtebaulich gesehen ist der Platz zu klein, um die Oper zur Geltung kommen zu lassen. Die Wiedererrichtung eines Gebäudes an Steile des zerstörten Heinrichshofes würde hingegen den geschlossenen Verlauf der Ringstraße garantieren. Es bleibt also die Frage der Parkplätze offen.“ Nun, wenn schon der Platz zu klein ist, die Oper zur Geltung kommen zu lassen, das neue Bürogebäude wird auf jeden Fall zu groß sein, um dem Bauwerk van der Nülls und Siccards- burgs überhaupt noch entsprechende Geltung zu belassen. In der Stellungnahme des Stadtbauamtes heißt es dann weiter: „Das Parken von Kraftfahrzeugen auf einer freien Fläche wäre aber auch im Hinblick auf die Würde der Oper sehr problematisch. Der Anblick der sich ständig hin und her bewegenden Autos, der Lärm und die damit verbundene allgemeine Beunruhigung müßten sehr unangenehm empfunden werden.“ Diese Argumente stehen wohl auf sehr schwachen Füßen (bzw. Rädern). Denn wenn der Platz frei bleibt und Park wird, müßte der Parkplatz ohnehin unterirdisch sein; und überdies ist um die Oper bereits so viel Verkehr, daß ein Parkplatz gar nicht mehr ins Gewicht fallen würde. „Die Bauherren des Heinrichshofes waren außerdem sofort bereit, die ihnen auferlegte Verpflichtung zum Einbau eines Garagengeschosses anzunehmen, das Platz für etwa 140 bis 150 Fahrzeuge bietet.“ Die Bauherren, das ist die neue Opernringhof Bau- und Betriebsgesellschaft, die hier ein Geschäftshaus errichten möchte. Ob sie mit der Bereitschaft, in das Geschäftshaus auch Garagen einbauen zu lassen, genug für die Kultur getan hat, diese Frage überlassen wir ihr selbst zur Entscheidung. Es bleibt aber die Frage, ob sie genug für den Verkehr getan hat.

Ganz in der Nähe der Oper, nämlich am Ausgang des Wientales am Naschmarkt, soll die geplante Autobahn einmünden. Und diese Autobahn wird naturgemäß viel Verkehr mit sich bringen. Soweit er nicht über den Schwarzenbergplatz gehen wird, wird er die Opernkreuzung belasten. Und wenn diese Opernkreuzung einmal mit „Heinrichshof“ und gegenüberliegender „Meinl-Ecke“ verbaut ist, wird die Sache nur noch komplizierter werden, trotz der Unterführung. Denn es gibt ja keine Stadtplanung mehr. Mit dem Bau der Unterführung wurde nämlich begonnen, ohne daß vorher die nötigen Absprachen und endgültigen Verhandlungen über das zukünftige Bild der Opernkreuzung getätigt worden wären. Von einer Koordinierung der Pläne Unterführung und „Heinrichshof“ natürlich ganz zu schweigen. Nicht einmal über die Einzelheiten der Lage der Zu- und Abgänge besteht Klarheit.

Die Bauherren bezeichnen das Projekt als „in einzelnen Fragen noch nicht endgültig geklärt“. Sie wollen deshalb auch nicht darüber sprechen und auch nicht, daß überhaupt darüber gesprochen wird. Die bisherige Planung wurde aber, so wird weiter bekanntgegeben, „im Einvernehmen mit sämtlichen zuständigen Behörden, darunter auch dem Fachbeirat behandelt“. Diesem Fachbeirat, der dem Wiener Magistrat beigegeben ist, muß nach der Bauordnung jedes Bauprojekt vorgelegt werden, woraufhin er sich in einem

Gutachten dazu zu äußern hat. Das Gutachten ist dem Gemeinderat bekanntzugeben.

Dieses Gutachten ist nun im Falle „Heinrichshof“ positiv ausgefallen. Kein Wunder, sitzt doch Oberbaurat Architekt Magyar im Fach- beirat, der zugleich der Interessenvertreter der Opernringhof Bau- und Betriebsgesellschaft ist. Auch mit den „interessierten öffentlichen Stellen“, „der Gemeinde Wien, den Vertretern der Oper wurde ständig Fühlung gehalten und deren grundsätzliche Zustimmung zu dem Projekt erreicht“. Diese Stellen scheinen aber, wie ihre „grundsätzliche Zustimmung“ beweist, sich nicht genug für das Projekt interessiert zu haben. Anläßlich der Kommissionierungsverhandlungen wurden seitens der bundeseigenen Oper als Anrainer keinerlei Ansprüche wegen etwa nötigen Parkraumes gestellt. Von Senatsrat Ernst dagegen, dem Leiter der Mag.-Abt. 28, der für Verkehrsfragen zuständig ist — und demnach auch die Aufsicht über den von Architekt Hoch durchgeführten Bau der Unterführung hat — liegt eine ganz andere Stellungnahme vor, die sich ausdrücklich gegen das Bauprojekt „Pleinrichshof“ ausspricht. Er weist darauf hin, daß die Gemeinde Wien mit der „Garagenordnung“ die gesetzliche Handhabe gehabt hätte, den Bau des „Heinrichshofes“

— zumindest in der gegenwärtigen Form — zu verhindern. (Es kann im Interesse des Verkehrs sogar mit Enteignungen — gegen entsprechende Entschädigung — vorgegangen werden.) Ja es hätte sogar die Verpflichtung des Magistrats bestanden, auf die verkehrstechnischen Notwendigkeiten zu achten und hier Platz zu schaffen. Statt dessen wurden die alten Fluchtlinien für den Heinrichshof genehmigt — so, als ob sich seit der Fiakerzeit in Wien nichts geändert hätte. Es ist bekannt, daß Architekt Hoch im Interesse der L’nterführung ein Zurückrücken des neuen Heinrichshofes um wenigstens fünf Meter verlangte — wie es bis jetzt scheint, vergeblich. Der neue Heinrichshof erhält dieselbe Baulinie wie der alte. Dabei soll diese Genehmigung, die schon einige Zeit zurückliegt, gar nicht für das jetzige Projekt der Architekten Carl Appel, Georg Lippert und Doktor Obeditsch erfolgt sein, sondern für das ihnen zuvorgehende Projekt Haerdtl. Diese Genehmigung der Fluchtlinie wird erst mit der endgültigen Baubewillig-mg rechtskräftig. (Uebrigens wurden für die bisherige Planung des Bürohauses Heinrichshof, wie man hört, fünf Architektengrupoen befaßt. Als bisheriges Honorar wurden für sie an die zwei Millionen Schilling ausgeworfen.)

Mit dem Projekt Appel-Lippert scheint sich in Wien endgültig die neue H-Linie durchsetzen zu wollen: Appel baute das Haas-Haus

— auch am Stephansplatz die Hinwegsetzung über sämtliche Erfordernisse des Verkehrs;

I ippert soll das neue Hochhaus am Ballhausplatz für das Amt der niederösterreichischen I andesregierung erbauen. Und zusammen bauen sie den Heinrichshof. Haas-Haus, Hochhaus und Heinrichshof — eine H-Linie, die mitten durch das Weichbild unserer Stadt gehen wird.

„Der Bauherr und die Planer ließen sich bei der Durchführung ihrer Aufgaben primär von dem Gedanken leiten, daß der Neubau auf unsere Oper volle Rücksicht zu nehmen hat.“ Das sind, mit Verlaub gesagt, leere Worte. Sehr rücksichtsvoll scheint das neue Gebäude nach der Skizze, die man vor einigen Tagen in einer Wiener Tageszeitung fand

— sie soll übrigens ohne Wissen der Bauherren erschienen sein — nicht zu sein. Es ähnelt von ungefähr dem Haas-Haus und sieht ein wenig wie eine Maikäferschachtel mit Luftlöchern aus. „Wir als planende Architekten“, lassen Appel, Lippert und Obeditsch nunmehr verlauten, „müssen es als abwegig bezeichnen, daß eine Gruppe von Architekten zu einem noch nicht abgeschlossenen Projekt Stellung nehmen will.“ Wir können dies absolut als nichts Abwegiges an- sehen. Im Gegenteil! Der Zeitpunkt, darüber zu sprechen, ist viel zu spät gewählt worden. Nachher, wenn das Haus einmal steht, wäre es völlig sinnlos, sich über seine Schönheitsfehler zu streiten. Jetzt, ehe es erbaut ist, ist es an der Zeit, darüber zu sprechen. Auch im Gemeinderat. Gerade weil das Projekt noch nicht abgeschlossen ist. Das ist ja das einzig gute an dem Projekt, daß es noch nicht abgeschlossen ist!

Wenn die Architektenschaft — das ist, konkret gesprochen, die Sektion Architekten der Ingenieurkammer — sich heute darauf besinnt, daß sie auch soziale Aufgaben zu erfüllen hat, so ist dies nur zu begrüßen. Ja es sollte in Hinkunft gesetzlich verankert werden, daß die Architektenschaft als solche vorher gehört wird. Dann wird es wohl nicht mehr Vorkommen können, daß einzelne Architekten, dem Drängen ihrer Bauherren nachgebend, Pläne verwirklichen, die -sie wohl kaum verantworten können. Denn es würde sich dann wohl auch kein anderer Architekt finden, der dies täte.

Der Heinrichshof ist nicht nur ein Präzedenzfall — zukünftige Bauherren werden mit Hinweis auf ihn stets Fluchtlinien verlangen, die verkehrstechnisch nicht tragbar sind — er beweist auch neuerlich das Fehlen jedweder Stadtplanung. Es liegen nämlich vom Ideenwettbewerb „Karlsplatz“ Pläne vor, die sich am Rande auch mit dem Problem des Platzes vor der Oper befassen. Die mit den drei ersten Preisen ausgezeichneten Arbeiten lassen entweder, diesen Platz frei oder sehen nur eine hufeisenförmige Verbauung vor. Es ist bezeichnend, daß von diesen preisgekrön ten Entwürfen — sie sind veröffentlicht in den Heften des „Aufbau“ von Juli, August und November 1946 — heute nicht mehr gesprochen wird.

Wie gesagt: Der Heinrichshof ist ein Präzedenzfall in mehrfacher Hinsicht. Aber noch steht er nicht. Wir werden, solange nicht die Grundmauern stehen, nicht aufhören, darüber zu sprechen, daß hier ein Unternehmen im Gange ist, das besser unterbleiben würde. So lange werden wir auch nicht die Hoffnung aufgeben, daß auch in Wien dem Interesse der Oeffentlichkeit mehr Gewicht beigemessen wird als der wirtschaftlichen Macht privater Gruppen.

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