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Was tat Kardinal Wyszynski?

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Schon seit einigen Jahren haben die extremen „antiklerikalen“, vornehmlich den intellektuellen Kreisen angehörenden Elemente der Kommunistischen Partei Polens den Warschauer Erzbischof Wyszynski zur Zielscheibe bösartiger ' Feindseligkeiten gemacht. Sie reizte die notorische Mäßigung . ind überlegene Ruhe des Kirchenfürsten, der konsequent den Standpunkt vertrat: „Kein Politiker, kein Diplomat, kein Reformator zu sein, doch ein geistlicher Vater, ein Hirt der Seelen“. Sein Bemühen war, zunächst im Rahmen der politischen Gegebenheiten eine Symbiose der Kirche mit dem, wenn auch von radikalen Marxisten gelenkten, Staate zu ermöglichen. Das konnte freilich weder unter Aufgabe der kirchlichen Grundsätze, noch in einer aufs Politische übergreifenden Zusammenarbeit geschehen. Voraussetzung war und blieb ein einigermaßen guter Wille von Seiten der Träger der Gewalt und eine reinliche Trennung, die auch in einer glaubenslosen Gesellschaft der Kirche ihren besonderen Lebensraum läßt. Eben diese Trennung sollte eine umgrenzte Gemeinsamkeit für die positiven Zwecke des wirtschaftlichen Wiederaufbaues, der Wahrung der inneren Ruhe, des Schutzes der öffentlichen und privaten Moral gewähren. Derlei Sonderung sollte Priestern und Laien gestatten, sich in Fragen des allgemeinen nationalen Interesses fnit den weltanschaulich andersdenkenden Volksgenossen zusammenzufinden.

In dieser Vorstellung traf sich Erzbischof Wyszynski mit der Auffassung des Kardinals Erzbischof Fürst Sapieha von Krakau, und gemeinsam mit diesem seither verstorbenen Dignitär gab er seine Einwilligung zu jenem

der den polnischen Katholiken eine mögliche Stellung innerhalb der „Volksdemokratie“ zu sichern versprach. Die kirchliche Hierarchie gewährte damals dem Staate bona fide weitgehende Zugeständnisse und sie empfing dafür die Freiheit des Gottesdienstes, die sehr eingeschränkte Möglichkeit des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen und eines rudimentären Erziehnngs-wesen privater katholischer Anstalten, das allerdings in der ausgezeichneten katholischen Universität von Lublin seinen Gipfel hatte. Wyszynski und die anderen Bischöfe verpflichteten sich dafür, dem Klerus von Verknüpfung mit der regimefeindlichen Untergrundbewegung abzuraten, dann die Warschauer Auffassung der Unantastbarkeit der Oder-Neiße-Grenze nicht nur daheim zu unterstützen, sondern auch beim Heiligen Stuhl.

Primas Wyszynski hat die letzte dieser Forderungen ebenso pünktlich erfüllt, wie alle andern Bedingungen des Modus vivendi. Bei seiner einzigen Fahrt ad limina, die er im Frühjahr 1951, begleitet vom Lödzer Bischof Klepacz, unternahm, legte er vor der Kurie den Standpunkt dar, daß die mit. der Oder-Neiße-Grenze umstrittenen Gebiete erst durch einen endgültigen Friedensvertrag einen völkerrechtlich einwandfreien Status erhalten würden und darauf sich das Interesse Polens konzentriere. Der Vatikan behielt sich in dieser Frage seine neutrale Stellung vor.

Die polnischen Kommunisten des radikalen linken Flügels hatten wohl vorausgesehen, daß der Vatikan sich zu einer einseitigen Stellungnahme nicht entschließen werde; sie griffen, bevor noch eine Bestätigung ihrer Annahme vorlag, aufs heftigste den polnischen Episkopat an, bezichtigten den Vatikan einer parteiischen Deutschfreundlichkeit und des „Hitlerismus“, machten die polnischen Bischöfe für die Kurie verantwortlich und gingen so weit, den polnischen Episkopat ob der Haltung der Bischöfe und des Klerus Deutschlands und ihrer Stellungnahme für den deutschen Rechtstandpunkt leidenschaftlich anzuklagen. Die wildeste Mache richtete sich gegen Erzbischof Wyszynski. Mit ebenso frivoler wie geschickter Berechnung beuteten die Angreifer die nationalen Gefühle des polnischen Volkes aus, um Urteilsschwache gegen den Primas mit dem einzigen Argument aufzustacheln, das in der national erregten Situation zügig war, dem des Verrates an der nationalen Sache.

Erzbischof Wyszynski ließ sich nicht beirren. Er fand sich bereit, in mehreren Erklärungen im „Tygodnik Powszechny“, der einzigen wirklich katholischen Wochenschrift Polens von Format, den polnischen Standpunkt über die „wiedergewonnenen Gebiete“ zu bekräftigen, in anderen Kundgebungen jedesmal das Vorgehen regimegegnerischer Geistlicher zu verurteilen, wenn diese — wegen Verbindung mit der Emigration und mit der Untergrundbewegung oder wegen Devisenvergehen vor Gericht kamen. Der Primas erteilte auf Grund der schon an Kardinal Hlond übertragenen Sondervollmachten die kanonische Investition den nach nicht sehr einwandfreien Methoden bestellten Kapitelvikaren und sonstigen Kirchenwürdenträgern, die statt der vom Staat entfernten, mißliebigen bisherigen rechtmäßigen Bischöfe und Generalvikare ernannt wurden. Er schwieg, wenigstens in der Oeffentlichkeit, zur Verhaftung Bischof Kaczmareks im Januar 1951, zur Absetzung und Internierung des Erz-bischofs von Lemberg und Krakauer Diö-zesanoberhaupts (nach Sapiehas Tod) B a z i a k, der Bischöfe Adamski von Kattowitz (heute „Stalinogröd“), B e d-norz, Bieniek, Rospond. Er nahm das von der Regierung erlassene Dekret vom 9. Februar 1953 hin, durch das die Ernennung sämtlicher geistlicher Amtsinhaber vom weltlichen Placet abhängig gemacht und den Staatsbehörden die Befugnis zugesprochen wurde, jeden Priester seiner Funktion zu entheben, wenn er sich nach der Ansicht eben dieser Behörden unstatthaft betätigte.

Nur eines konnte man dem Oberhaupt der Kirche in Polen nicht verwehren: seine unbedingte Treue zum Heiligen Stuhl und zu seiner Hirtenpflicht.

Er predigte oft, unter gewaltigstem Zulauf und mahnte die Gläubigen, in den schlimmen Zeiten bei der Kirche auszuharren, den Gesetzen Gottes auch dann zu gehorchen, wenn dies Opfer yerlangte. Der Primas tat aber noch etwas, was die Kommunisten in heftigsten Zorn brachte: er verbot den Geistlichen politisches Wirken und sprach in einer aufsehenerregenden Erklärung von den „Klerikern, die das polnische Volk wegen ihres Politisierens nicht leiden mochte“.

Diese Kleriker waren es, die von den atheistischen Staatslenkern gerne als Vorspann bei den gläubigen Massen und bei den leicht einzuschüchternden Intellektuellen benutzt wurden. Aus de* Mitte der „demokratischen“, „patriotischen“, „fortschrittlichen“ Geistlichen, in deren dünnen Reihen skrupellose Ehrgeizlinge und unwürdige Söldner mit verschrobenen Schwärmern zusammentrafen, und der Angsthasen, aus diesem Milieu erklangen seit dem heurigen Frühjahr immer drohender Warnungen an den Primas, so in einer großen Versammlung regimefreundlicher Priester und katholischer Laien am 18. Juni 1953.

Den unmittelbaren Anlaß zum Vorgehen wider Wyszynski lieferte der Schauprozeß des Bischofs von Kieke, Kaczmarek, vom 14. zum 22. September. — Damals empfand jeder Kundige, daß nach den erbitterten Anschuldigungen gegen den Primas, die während der Verhandlungen vom Staatsanwalt und von Zeugen unternommen wurden, ein entscheidender Schritt bevorstand. In der Nacht vom 24. zum 25. September wurde er durch hohe Polizeioffiziere aus seiner Residenz geholt. Auf Grund des erwähnten Februardekrets entsetzte ihn die Regierung seines Amtes.

Die rasch zusammengetriebene Bischofskonferenz erhielt eine Erklärung vorgelegt, die angesichts der Verhaftung des Primas versichert, der Episkopat Polens sei entschlossen, in Zukunft „nicht zu dulden, daß irgend ein Mitglied des Klerus einen vaterlandsschädlichen Weg beschreitet, und er wird gegen den Schuldigen, gemäß kanonischem Recht, die entsprechenden Sanktionen ergreifen. Der Episkopat stellt fest, daß gerade im jetzigen Zeitpunkt verstärkter Angriffe der deutschen Revisionisten auf die Unantastbarkeit unserer Oder-Neiße-Grenzen, und in einer Zeit verstärkter

Diversantentätigkeit der , Feinde Polens, völlige Einigkeit aller Staatsbürger erforderlich ist“. Dann folgen die Sätze:

„Aus diesem Grunde widersetzt sich der Episkopat mit aller Entschlossenheit der politischen Haltung und Tätigkeit eines Teiles der deutschen kirchlichen Hierarchie und eines großen Teiles des deutschen Klerus, welche eine der Triebkräfte der antipolpischen und revisionistischen Tätigkeit bilden und sich hierbei sogar auf die Autorität des Päpstlichen Stuhles und de Vatikans berufen. E>ie Tätigkeit internationaler Kreise, welche die Entfesselung eines neuen Krieges anstreben, erfordert von allen die Konzentrierung ihrer geistigen und moralischen Bemühungen auf die Sicherung des Friedens und auf die Festigung der Macht und Widerstandskraft Polens.“ Aus dem stilistischen Schema ist die Herkunft dieser Erklärung erkenntlich. Daß über die Umstände, unter denen sie unterschrieben wurde, nichts verlautbart wurde, ist begreiflich. Ebenso, daß die Erklärung kein Wort zum Schutze des Primas enthielt.

Die Konferenz durfte nur um die Gnade bitten, Wyszynski in einem Kloster interniert und nicht ins Gefängnis geworfen zu sehen.

Der Bischof von Lodz, Msgr. K 1 e p a c z, der seinerzeit Wyszyfjski nach Rom begleitet hatte und der übrigens seinen Sitz dem Umstand dankte, daß sein Vorgänger durch die Kurie entfernt worden war, weil er allzu „loyal“ den Wahlsieg des Regierungsblocks Anno 1947 durch Läuten der Kirchenglocken gefeiert hatte — wurde, unter Umgehung rangälterer Amtsbrüder zum Vorsitzenden der Bischofskonferenz und neuen Oberhaupt der polnischen Kirche gewählt.

Wyszynski hatte sein Schicksal kommen sehen. Als er um die heurige Jahreswende zum Kardinal kreiert wurde, verzichtete er darauf, den roten Hut in Rom zu empfangen. Er wußte, daß die Warschauer Machthaber nur auf diese Gelegenheit warteten, um ihn ohne viel Aufsehen loszuwerden.

Man hätte ihn abreisen, doch nicht zurückkehren lassen. Der Primas blieb als getreuer Hirt bei seiner Herde.

Seine ganze Lehre und Vergangenheit hatte Wyszynski zu seiner Aufgabe vorbestimmt. Der Sproß eines verarmten Zweigs derselben Adelsfamilie, deren begütertem Zweig der sowjetische frühere Außenminister und UNO-Delegierte Andreas Wyszynski entstammt, hat stets mit dem Volk und für das Volk gelebt.

In Rom und in Frankreich herangebildet, Schüler und Bewunderer jenes Kardinals Ferrari, dem er ein biographisches Werk weihte, Verfasser von Schriften über Seelsorge und soziale Frage, über das Ethos der Arbeit, über die sittlichen Folgen von Produktionsstörungen ind Arbeitslosigkeit und einer Studie „Kapitalismus, Katholizismus“ war er, wie nicht bald irgendeiner, berufen, mit Männern des wahren Fortsehritts, die anderer Weltanschauung huldigten, wenn sie guten Willens waren, in ein ertragreiches sachliches Gespräch zu kommen. Aber es war sein Schicksal, daß solche Partner ihm nicht gegenüberstanden. Der liebenswürdige, mit seinen 52 Jahren noch sehr jugendlich aussehende Erz-bischof, der ausgezeichnete Theologe und Kanzelredner, der große Patriot schien nicht nur zum geistlichen, sondern zum geistigen Führer seiner Nation bestimmt. Welch ein Verlust für Polen, für die Kirche und für Europa, den der kommunistische Terror abfordert! Er ist darauf berechnet, ein katholisches Volk zu enthaupten.

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