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Was uns Jahrhunderte gelassen ...

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Die Nachricht über einen bevorstehenden Ausbau der Straße durch die Wachau hat bei der Bevölkerung des Stromtales und unter den zahlreichen . Freunden dieser gesegneten Landschaft lebhafte Unruhe ausgelöst. Gewiß, niemand bestreitet gewisse Vorteile,, welche die Erschließung einer landschaftlich so schönen und an kulturellen Werten so reichen Gegend, wie es die Stromenge zwischen Melk und Krems ist, dem Fremdenverkehr brächte,., doch hat sich über das „Wie“ eine Diskussion entwickelt, deren Argumente vor dem endgültigen Baubeginn wohl beachtet sein müssen.

Der Plan, der von Landeshauptmannstellvertreter Ing. Kargl entwickelt und von Han- delsminister DDDr. Illig auf gegriffen wurde, sieht den Ausbau der Straße am Nordufer des Stromes vor. Die Wachaustraße soll ein Teilstück einer großen Durchgangsstraße Wien— Stockerau—Persenbeug werden. Dieser großzügige Plan wurde anfangs von der Fachwelt als „Zukunftsmusik“ betrachtet, weil feststand, daß das Land Niederösterreich für sich allein kaum in der Lage wäre, solche Projekte zu realisieren. Erst als der Bund die Wachaustraße übernahm und der Handelsminister den bevorstehenden Baubeginn ankündigte, begann man sich immer mehr der Fragwürdigkeit, ja Bedenklichkeit dieses Bauprojekts bewußt zu werden.

Bekanntlich liegen fast alle historischen Ortschaften, die mit ihren Weingartenterrassen der Stromenge das eigenartige Gepräge geben, am nördlichen Donauufer, also dort, wo die neue Straße geführt werden soll. Kenner der Wachau befürchten daher mit Recht, daß auch die besten Straßenbauer nicht verhindern können, daß das alte, schöne Landschaftsbild durch den Neubau in nicht wiedergutzumachender Weise verändert würde.

Die ersten warnenden Stimmen gegen den Straßenbau am linken Stromufer kamen aus der Wachau selbst. Während der letzten Hauptversammlung der Gesellschaft der Freunde Dürnsteins, die immerhin rund 500 Bewunderer des Wachaustädtchens zählt, wurde das Projekt mit derartiger Reserve aufgenommen, daß man ruhig von Ablehnung sprechen kann. Der Bürgermeister von Dürnstein hat angedroht, mit dem gesamten Gemeinderat zurückzutreten, wenn am Donauufer, unterhalb der alten Stadtmauer, eine Einbahnstraße gebaut werden sollte. Inzwischen soll man vom Einbahnprojekt an der Dürnsteiner Lände bereits wieder abgekommen sein. Auch die Bürgermeister anderer Wachaugemeinden, die anfangs für das Projekt waren, nehmen nun, da sie die verschiedenen Schwierigkeiten se’hen, dagegen Stellung. Vielleicht erklären die eingeschworenen Anhänger der geplanten Wachaustraße, daß die meisten dieser Leute aus persönlichen und wirtschaftlichen Motiven gegen den Straßenbau sind. Doch von den Burgschauspielern und Opernkünstlern, die in Wien mit einer spontanen Unterschriftenaktion gegen das Projekt bei der Naturschutzbehörde protestierten, läßt sich das schon nicht mehr behaupten. Tausende andere Wachaufreunde warten nur darauf, sich einer solchen Protestaktion anschließe n z u k ö n n e n.

Die Verfechter der neuen Wachaustraße führen ins Treffen, daß schon vor rund 50 Jahren, als die Eisenbahn durch die Wachau gebaut wurde, ein ähnlicher Widerstand gegen den „Fortschritt“ gebrochen werden mußte. Dies ist jedoch nur bedingt richtig. Denn keiner der Gegner der neuen Straße durch oder um die alten Weinorte ist gegen die Erschließung der Wachau, nur sind sie der wohlbegründeten Ueberzeugung, daß die Straße auf das Südufer der Donau gehört. Uebrigens wurden dort bereits vor drei Jahren die Vermessungsarbeiten für die Verbreiterung der vorhandenen Straße, die heute schon breiter ist als die am Nordufer, abgeschlossen. Mit den Verbreiterungsarbeiten wurde jedoch nicht ernstlich begonnen, weil man sich mit den betroffenen Grundbesitzern nicht einigen konnte. Am Südufer des Stromes wäre auch viel mehr Platz für eine moderne Autostraße und die dazugehörigen Parkplätze. Außerdem würde der Neubau auf dieser Seite viel weniger kosten, da hier beispielsweise die Grundablösen doch weniger kompliziert sein dürften als in der durchweg kultivierten Gegend am Nordufer, wo neben Häusern vor allem Obst- und Weingärten dem Straßenbau zum Opfer fallen würden.

Das Nordufer aber muß in seiner ursprünglichen Unberührtheit erhalten bleiben. Es gibt keine zweite Landschaft im ganzen Bundesgebiet, in der sich echt österreichische Kulturentwicklung so unverfälscht widerspiegelt, wie in den alten Weinbauörfen zwischen der Donau und den Weihgartenterrassen. Vor hundert Jahren haben alte niederösterreichische Städte ihre Stadttore und mittelalterlichen Befestigungen geschleift, angeblich um der modernen Verkehrsentwicklung Rechnung zu tragen; heute aber müssen die gleichen Städte bereits Umfahrungen anlegen, denn für den modernen Autoverkehr müßte man sonst auch die alten Gassenfronten abreißen. Bei der derzeitigen Entwicklung der Motorisierung würden daher auch die winkeligen Einbahnstraßen durch die alten Wachauorte bald nicht mehr den Anforderungen entsprechen.

Es gibt nun einmal Gegenden, in denen Geschwindigkeitsrekorde nicht zu erzielen und nicht am Platze sind. Dieser Grundsatz wird sogar in landschaftlich besonders schönen Gebieten Amerikas respektiert. An den wenigen Sonntagen zur Zeit der Baumblüte, an denen der Wachauverkehr tatsächlich beängstigende Formen annimmt, muß eben durch die vorübergehende Anbringung von Blinksignalen und die Einrichtung eines Stoppverkehrs durch die engen Ortschaften für Ordnung gesorgt werden. Der Durchzugsverkehr aber gehört auf die Autobahn oder auf die Straße am rechten Donauufer, die ausgebaut werden soll. Wer von dort aus in die alten, idyllischen Ortschaften am jenseitigen Ufer will, um die reichen Schätze aus fast allen Stilepochen der österreichischen Kunstgeschichte aus der Nähe zu bewundern, für den sollen genügend Fährmöglichkeiten über den Strom geschaffen werden. Dazu genügen Ruder- oder Motorboote, eine Vermehrung der Rollfähren ist gar nicht nötig, es sei denn die Verstärkung der bereits vorhandenen.

Für den wirklichen Wachaukenner ist es übrigens eine alte, oft bestätigte Erfahrung, daß die Wachauorte in ihrer historisch gewachsenen Geschlossenheit gerade vom Südufer des Stromes aus den schönsten Anblick bieten. Diese Tatsache wurde auch durch die Umfahrungsstraße bei Melk wirkungsvoll bestätigt. Der Anblick von Emmersdorf von der Melker Umfahrung aus gehört mit zum Schönsten, was die an Abwechslungen so reiche Wachau zu bieten hat.

Eine der schönsten Landschaften Oesterreichs, die nur in ihrer Ursprünglichkeit wirken kann, ist in Gefahr. Ein „Fortschritt“, der diese ruhige Schönheit stört, ist Verantwortungslos! g- k ei t, vor allem dann, wenn es zur Erschließung der Wachau nach der Meinung vieler ihrer Freunde einen besseren Weg gibt. Alle, die dieses gesegnete Land an der Donau in seiner Unberührtheit lieben, sind aufgerufen, die drohende Gefahr abzuwehren — ehe es zu spät ist.

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