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Was war — ist vorbei

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Der Präsident des ungarischen Schriftstellerverbandes, Jozsef Darvas, einst mehrere Jahre lang Kulturminister der schärfsten Stalin-Ära unter Räkosi, Autor mehrerer Romane und eines Dramas, zeigte sich in einer für Oststaaten geradezu betont liberalen Haltung. Er erklärte, der Stil des „Sozialistischen Realismus" sei wohl gern gesehen, doch könne ein von Kafka oder Joyce beeinflußter Autor ohne Weiteres publizieren.Ei9n fi8fc 1 auch ausgesprochen katholische Schrift- stellKf, die’ laufend " Veröf fentffSfrefi,’ ‘ und Lyriker, die den sozialistischen Realismus ablehnen. Genannt wurden György Hernädi, Gabor Thurzo und Ferenz Juhäsz. Jetzt stellten wir die kritische Frage nach den inhaftiert gewesenen Tibor Dery, Gyula Häy und dem kaltgestellten Georg Lukäcs. Kurze Pause. Nun, Däry und Häy, so argumentierte Darvas, seien keineswegs als Schriftsteller verurteilt worden (nach der Revolution von 1956 Dery zu neun, Häy zu sechs Jahren), sondern als Politiker. Es gäbe so manche Autoren, die keine Freunde des Regimes waren, aber im Bereich der Literatur blieben, also nicht in die aktive Politik eingegriffen hatten, denen nichts geschah. Übrigens seien beide seit April frei, jeder habe während der Haft ein Werk verfaßt, sie arbeiten auch jetzt und erhielten soviel Beschäftigung, daß keine materiellen Sorgen bestünden. Mit der Amnestierung seien die ganzen Probleme erledigt, wörtlich: „Was war,’ ist nach der Amnestie vorbei.“ Würden die in Haft verfaßten Werke nun veröffentlicht? Neue Pause. Wenn sie gut seien. Allerdings möge ich da lieber den Generaldirektor des Verlagswesens befragen. — Es sei hier gleich vorweggenommen: Ich sprach mit ihm, und seine Antwort war keineswegs positiv. — Und Lukäcs? Das sei ein ganz anderer Fall, er war auch nie inhaftiert und habe ungestört an seiner großen „Ästhetik“ gearbeitet. Allerdings, wie ich anfüge, von einer Zeit der Internierung in einem rumänischen Lager nach der Revolution von 1956 abgesehen. Und jetzt stelle ich Darvas auf die Probe: Sei es möglich, diese drei ja nun wieder rehabilitierten Persönlichkeiten ebenso zu treffen wie ihn selbst? Lebhafte Geste: „Sie sind ein freier Mann und können sich überall hin bewegen. Also selbstverständlich." — „Wollen Sie mir Adresse und Telephonnummer geben?“ — „Die Herren sind nicht Mitglieder meines Verbandes, und es wird die Aufgabe des .Instituts für kulturelle Beziehungen sein, das zu übernehmen."

Inzwischen sprachen wir mit dem Romanschriftsteller Gabor Thurzo und dem Lyriker Ferenc Juhäsz. Thurzo ist achtundvierzig und bezeichnet sich als Katholiken. Er zähle zu den „Urbanisten“, den bürgerlichen Schriftstellern, wie auch Zsigmond Remenyik, György Rönay, Magda Szabö, und seine Romane befaßten sich mit den Problemen des aus der bürgerlichen Gesellschaft stammenden Menschen in der heutigen ungarischen Staatsform. „Sehen Sie, die alte bürgerliche Gesellschaft kann unsere Probleme hier nicht mehr lösen, ein .Zurück ist un- ftöglrch, f:Jf müäsen sehen, wie wir ‘ Situation fertig werden. — „Sie bekennen sich zum Katholizismus?“ — „Ja, in jedem meiner Bücher." — „Und haben keine Schwierigkeiten?“ — „Keine.“ Während der stalinistischen Ära sei allerdings nichts von ihm erschienen, er habe zehn Jahre lang, bis 1956, nicht eine Zeile veröffentlicht. Seine letzten Romane „Falsches Geld“ und „Salzsäule“ hätten viel Widerhall gefunden, und sein neues Werk „Josef und Frau Potiphar", zwar ein biblischer Titel, aber ein heutiges Milieu, stehe in Vorbereitung. Am höchsten schätze er Dostojewskij, Thomas Mann, Graham Greene, Evelyn Waugh und von den heutigen deutschen Autoren Heinrich Böll. — Ferenc Juhäsz sieht aus wie Günther Grass, den er aber nicht kennt. Schwarzer Schnauzbart, widerspenstiges Haar, optisch ein zorniger junger Mann östlicher Prägung. Er ist einunddreißig, liebt Dante, Rilke, Apollinaire, Dylan Thomas, aber findet, zum Unterschied von seinen westlichen Kollegen, das Leben lebenswert — „das hat nichts mit Politik zu tun, kein Mißverständnis bitte“. Er hat neun Bände Lyrik veröffentlicht und begibt sich eben mit einer Einladung des British Council nach London und Paris.

Im Cafä Belvärosi saßen wir, wiederum in offizieller Begleitung, dem Generalsekretär des ungarischen Pen- Clubs, Dr. Läszlo Kery, gegenüber. Ja, er wisse ganz genau, daß es im Westen Listen gebe, auf denen vierzig bis fünfzig Schriftsteller als inhaftiert verzeichnet seien. Doch von zwei Ausnahmen abgesehen, handle es sich gar nicht um Leute, die als Autoren anzusprechen seien, sondern um politisch aktiv gewesene Intellektuelle, die mitunter das eine und andere, dies meist ebenfalls politisch, publiziert hätten. Nur Jozsef Gäli sei Schriftsteller, Gyula Oberszozsky Theaterkritiker, doch diese beiden stünden mit einem kriminellen Mordfall im Zusammenhang. (Das alles natürlich Tatsachen, die für den Besucher kaum überprüfbar sind.) Dann kam ein anderes Thema: ausländische Zeitungen und Zeitschriften. Man sieht in den Ständen praktisch nur kommunistische Blätter aus dem Ausland, etwa aus der deutschen Ostzone und die öster- rpichische „Volkssrimme“., Kery ver-, sicherte, daß in den Bibliotheken nicht nur fuj Schriftsteller, sondern für jedermann eine ganze Reihe nichtkommunistischer Zeitungen und Zeitschriften sofort greifbar seien, natürlich auch „Figaro Litteraire“ und „Times Litterary Supplement“, „London Magazine“ und „Encounter“.

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