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Weg von den Klischees

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Zu den Versuchen, dieses Klischee — auch vom marxistischen Standpunkt — zurechtzurücken, gehören einige neue wissenschaftliche Veröffentlichungen, so die Breslauer „Studien über das moderne Deutschland" und die Posener „Monographie des modernen Deutschland“, die ihren ersten, weniger interessanten Band mit 450 Seiten der DDR, ihren zweiten Band mit 730 Seiten der Bundesrepublik widmet. Der junge Posener Soziologe Markiewicz räumt einen Berg von Vorurteilen beiseite. Er schildert die tiefen psychischen und sozialen Wandlungen, die bei uns vorgingen. Er zerstört das „falsche Bild von dem Deutschen, dessen Wesen von unveränderlicher Natur“ und deshalb nicht zum friedlichen Zusammenleben imstande Sein soll: „Dieser Mythos, der in einigen Kreisen unserer Gesellschaft noch existiert, sich aus Traditionen und Besatzungserlebnissen nährt und manchmal von einigen polnischen und ausländischen Autoren propagiert wird, ist irrig.“

Ebenso falsch sei es, schreibt Markiewicz, die Deutschen „in Gute und Böse einzuteilen — je nach dem Teil ihres getrennten Landes, zu dem sie gehören“. Markiewicz kommt zu dem Schluß, daß man die neonazistischen Einflüsse nicht überschätzen dürfe. Aber leider sei es auch wahr, daß es in der satten, apolitischen westdeutschen Gesellschaft keine Gruppen gäbe, die stark genug wären, sich diesen Einflüssen — falls sie einmal gefährlich würden — wirksam zu widersetzen.

Auch die in Polen sonst übermäßig aufgebauschte Bedeutung der Ver- triebenenaktivität wird in der Posener Monographie ruhiger analysiert: „Das Problem der Umsiedler als solches existiert heute nicht mehr“, schreibt Kazimierz Zygulski. „Langjähriger Aufenthalt in der westdeutschen Gesellschaft, das Hineinwachsen in die neue Umgebung, neuer Beruf und neue gesellschaftliche Position — all das wirkt stärker als die ganze Propagandamaschine ... Sie hören auf, an Rückkehr zu denken,“

In Reiseeindrücken polnischer Journalisten spiegelt sich nicht selten die gleiche Erkenntnis. „Auf Schritt und Tritt begegnete ich heißen Versicherungen, daß die Mehrheit der einfachen Leute Polen wohlgesonnen ist, daß sie nichts als gute Beziehungen mit den Polen wünscht und daß man sich in Polen die Aktionen der Umsiedlerorganisationen nicht so zu Herzen nehmen solle, daß sich im Grunde niemand dafür interessiert“, berichtet Wlady- slaw Bartoszewski im katholischen „Tygodnik Powsechny“. Es war ein Sommer in der Bundesrepublik. Aber er schreibt auch, nach dem, was er inmitten der Teilnehmer der Bonner Vertriebenenkundgebung beobachtet habe, müsse er solche Versicherungen doch „mit einer Dosis von Skepsis“ aufnehmen...

Zweifel und Mißtrauen entzünden sich an der wachsenden Militärmacht der Bundesrepublik. Doch auch da finden sich neuerdings Differenzierungen des Schlagwortes vom „Militarismus“. In den Breslauer „Studien“ schreibt der Soziologe Wiatr: „Die politische Struktur der Bundesrepublik unterscheidet sich von der des kaiserlichen Deutschland, nicht zu reden von der nazistischen. Es gibt mehr Freiheiten und Bürgerrechte als in den feudalen und kapitalistischen Staaten der Vergangenheit.“ So sei auch die zivile Kontrolle über die Armee stärker als je 'zuvor. Es sei ein „demokratischer Militarismus“ entstanden, der jedoch infolge seiner Amerikanisierung und seiner Bindung an die NATO dahin tendiere, sich der deutschen zivilen Kontrolle zu entziehen. Die Unterstellung der Bundeswehr unter das NATO-Komm an do, die man im Westen als Sicherheitsfaktor empfindet, wird in dieser polnischen Sicht zu der Gefahr, daß nämlich die Bundeswehr als stärkste konventionelle Armee Europas die westlichen Verbündeten eines Tages gegen deren Willen in einen Konflikt zur Lösung der deutschen Frage hineinziehen könnte.

So absurd solche Möglichkeiten erscheinen, im politischen Denken der Polen — nicht nur der Kommunisten! — behalten!sie einen festen Platz, solange die Bundesrepublik atomare Mitverfügung beansprucht und ihre Politik auf Ziele richtet, deren friedliche Realisierung sich kein Pole denken kann, besonders nicht die Beseitigung der DDR. Als sich der Bundeskanzler vor dem Presseklub in Washington für eine atomare Mitsprache Bonns einsetzte und die Journalisten um Vertrauen bat, berichtete der Korrespondent des Parteiorgans „Trybuna Ludu“:

„Als er von der DDR sprach und dabei das Wort Mitteldeutschland gebrauchte, stieß mich einer meiner westeuropäischen Kollegen an und sagte: ,Das heißt also, Ostdeutschland seid ihr! Und so einer möchte an die Atome und zugleich Vertrauen!1 “

Mißtrauen und Mißverständnisse

So allgemein läßt sich das gewiß nicht bestätigen, zumal Argwohn oder politische Opportunität manches versöhnliche Wort ungehört verhallen läßt. Die polnischen Korrespondenten in Bonn erschöpfen sich jedoch nicht in bloßer Polemik. Zwar macht für sie manches Schlagzeilen, was man hierzulande interessenlos oder schamhaft nur am Rande notiert, aber sie berichten auch über Vorgänge, die nicht ins Klischee vorgefaßter Meinung passen. So wurde die positive Aufnahme der EKD- Denkschrift in Polen durch die Berichte dieser Korrespondenten wesentlich gefördert. (Über positive Auswirkungen des katholischen Bischofsbriefwechsels in der Bundesrepublik zu berichten, untersagte ihnen hingegen die Warschauer Zensur.)

Marian Podkowinski, langjähriger Korrespondent des Parteiorgans „Trybuna Ludu“, der kürzlich nach Warschau zurückkehrte, machte in einem Buch („Erhard und was weiter?“) seine polnischen Landsleute auf Tatsachen aufmerksam, die nicht ins Bild einer „polenfeindlichen“ Bundesrepublik passen. Er schreibt: „Die polnischen Korrespondenten in Bonn, die polnische Handelsvertretung und die polnische Militärkommission in West-Berlin werden mit Briefen und Bitten um polnische Diskussionsredner überschwemmt. Die deutsche Jugend möchte mit ihnen Meinungen und Informationen über die künftige Normalisierung der Beziehungen austauschen. Es werden Seminare, Vorträge, Diskussionen organisiert, und jedes dieser öffentlichen Foren kristallisiert Ansichten, die nicht immer auf der revanchistischen Linie liegen. Jede Ausstellung polnischer Malerei oder Graphik, jedes Buch oder polnische Theaterstück findet hier begeisterte Empfänger. Jeder polnische Film, jedes Plakat, jeder Virtuose oder Komponist fasziniert Tausende. Ich meine, es wäre falsch, wenn die Stimmen und Zeugnisse neuer Erscheinungen in der deutschen Bundesrepublik nicht auch bis zur Weichsel dringen würden.“

Nur schwer bahnen sie sich Wege durch das Gestrüpp von Mißtrauen und Mißverständnis, das zwischen Bonn und Warschau wuchert. Aber: „Wir wollen und müssen mit dem Deutschen reden ... und wir wollen als Partner alle Deutschen, ungeachtet der politischen und staatlichen Trennungslinie, weil das deutsche Volk eine Ganzheit war und ist...“, schrieb Jan Zaborowski in der Warschauer „Polityka“. Die Bemühhungen der christlichen Kirchen, den Dialog gleichsam oberhalb der Politik aufzunehmen, zeigten gerade in diesem Jahr, wie mühselig und wie wenig fruchtbringend sie bleiben müssen, solange nicht die verantwortlichen Politiker das Gespräch beginnen.

Am Ende wird weder eine „Polenromantik“ noch eine „Grenzen überwindende“ Europaideologie das polnische Deutschlandbild aurecht- rücken — so wenig starres Festhalten am „revanchistischen“ Popanz das Polenbild vieler Deutscher korrigieren kann. Nur kluge Politik könnte das erreichen.

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