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Wehner und die Heckenschützen

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Die meisten Beobachter in Bonn sind der Meinung, der stellvertretende SPD-Vorsttzemde Herbert Wehrter habe einen Durchbruch nach vom versucht, als er vor der Presse erklärte, es gäbe Kräfte, die ihn stürzen wollten. Wehner hatte Strömungen dieser Art schon seit längerem beobachtet und darüber gelegentlich auch in (kleinem Kreis gesprochen. Aber e’f ist ein furchtloser Mann, der keiner Auseinandersetzung aus dem Wege geht. Seine Erklärung vor den Journalisten war daher weniger ein Alarm aus Unsicherheit als eine Herausforderung an seine Gegner in der Partei. Er wollte sie aus den Löchern heraustreifoen, von wo aus sie ihre zum Teil vergifteten Pfeile auf ihn abschießen, und damit die offene Feldschlacht erzwingen. Gelungen ist ihm dies freilich nicht. Diese Stunde ist noch nicht gekommen. Aber der unterirdische Krieg wird sicher weitergehen.

Was sich als Krise um Wehner darbietet, ist in Wirklichkeit eine Krise der SPD. Sie wird nicht weniger bedeutsam dadurch, daß sie, wie dies in der Bundesrepublik vielfach geschieht, mit den internen Auseinandersetzung in der CDU verglichen wird. Es ist vielmehr ein wesentliches Merkmal der gegenwärtigen innenpolitischen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland, daß die Durchschlagskraft der beiden großen Parteien nicht sehr stark ist. Beide leiden irgendwie etwas an Atemnot.

Wehners persönliche Situation ist dazu besonders delikat. Jahrelang war ihm kein Auftritt auf der politischen Bühne möglich, ohne daß ihm der Schatten seiner kommunistischen Vergangenheit folgte. Der letzte Vorsitzende der CDU in Ostdeutschland und spätere erste gesamtdeutsche Minister in Bonn, Jakob Kaiser, hat sich lange vergebens bemüht, eine Rehabilitierung Wehners durchzusetzen, den er ausgesprochen schätzte. Überdies stand dem Wehner mit seiner rauhen und oft poltrigen Art selbst im Wege. Ungeachtet dessen wurde aber Wehners Stellung in der SPD im Lauf der Zeit immer stärker. Seit Jahren ist er eine, vielleicht die Schlüssel- flgur der SPD. Dennoch hatte er nie Aussicht, der erste Mann der Partei zu werden. Er ist auch nicht die Klammer, die Erich Ollenhauer dank seinem ruhigen, ausgleichenden Temperament stets gewesen war.

Der Mann von Godesberg

Wehnens Einfluß war es wesentlich zuzuschreiben, daß die SPD vor einigen Jahren ihre vielbeachtete Schwenkung vollzog, die mit dem Godesberger Programm verknüpft Hst. Es war der Versuch, das alte, fadenscheinig gewordene Gewand der Klassenkampfpartei aibzustreifen und sich der neuen Zeit anzupassen, nicht zuletzt aus dem magischen Zirkel herauszukommen, in dem die SPD nicht auf mehr als ein Drittel der Wähler rechnen konnte. Gleichwohl hat auch dieser Wandel bisher nicht zum Siege geführt. So ist die SPD im Reich und nun im Bund seit 1931 nicht an der Regierung gewesen. Nur in einigen Ländern der Bundesrepublik hat sie seit 1949 zeigen können, daß sie regierungsfähig ist.

Immer wieder hat die SPD seit Errichtung der Bundesrepublik Anlauf genommen, die stärkste Partei zu werden, aber jedesmal ist sie an dem Beharrungsvermögen des deutschen Wählers gescheitert. Sie hatte niemals eine Alternative anzubieten, die spektakulär genug gewesen wäre, um die Wähler in genügender Zahl von der CDU abzuziehen. Die Suche nach der Alternative hat die SPD, begonnen mit Kurt Schumacher, lediglich in eine Politik der Vemei- nung geführt, die ihr mehr geschadet hat, als man in ihren Reihen erkennen wollte: Nein zum Petersbergabkommen und seinem Demon- tagestop, Nein zur Bildung des Europas der Sechs, Nein zur Wiederbewaffnung und Nein zur Deutschlandpolitik der Bundesregierung.

Das vergebliche Anrennen gegen die CDU war für die SPD jedesmal eine Bewährungsprobe besonderer Art. Mancher glaubte, mancher hoffte, sie würde darüber auseinan- derfallen. Doch sind die Tradition und das Treueverhältnis zur Partei unter den Mitgliedern, namentlich bei den älteren, noch stark ausgeprägt. Dennoch ist kein Zweifel, daß namentlich die Jüngeren immer wieder fragen, was geschehen muß, damit die Partei endlich aus der Opposition heraus und in Bonn ans Ziel, an die Macht kommt.

Bei diesen Überlegungen spielt die Enttäuschung über die Bundestagswählen von 1961 und 1965 eine gewichtige Rolle. Beide Male schien die Partei dem Siege nahe zu sein. Daß sie dennoch immer wieder geschlagen blieb, konnte nicht ohne Rückwirkung auf ihre Gesamtverfassung, insbesondere auf das Ansehen der Führung, bleiben. Willy Brandt ist längst nicht mehr das Idol von einst, kaum noch die Gal- lionsfigur, zu der ihn die anderen Parteien hatten stempeln wollen. Fritz Erler ist verbraucht, und mancher fragt siph besorgt, ob er je mit alter Schaffenskraft zurückkehren werde. Carlo Schmid ist immer mehr zu einer Repräsentationsftgur geworden. Bleibt Wehner, der in der Nacht der Niederlage des 19. September vorigen Jahres als einziger der Parteispitze nicht die Nerven verlor, sondern sofort versuchte, einen geordneten Rückzug einzuleiten, die Niederlage durch Ausfälle nach allen Seiten wenigstens in etwa aufzufangen und die künftige Oppositionsstellung im Grundriß aufzubauen. Er allein bot in jener dramatischen Nacht einen ungebrochenen Anblick, wobei freilich die Frage offen bleibt, wie weit Wille, Energie und Routine die Emotionen mit Erfolg zurückdrängten.

Käme es jetzt zum Sturz Wehners, die Parteispitze der SPD würde, zumal nach dem Ausfall Erlers, wohl von Grund auf neu gebildet werden, ohne daß jemand heute schon wüßte, mit welchem Ergebnis dies geschehen würde. Wohl deshalb auch die Entschiedenheit, mit der die Sozialdemokraten der ersten Stunde des Jahres 1945 sich vor Wehner stellten. Dabei traten sie auch der Behauptung entgegen, Kurt Schuhmacher habe vor seinem Tod vor Wehner gewarnt, eine Behauptung, die auch wir auf Grund einiger Kenntnis des Verhältnisses zwischen Schuhmacher und Wehner, wie es geworden war und sich entwickelt hatte, für ziemlich unglaubwürdig halten.

Die Unruhe bleibt

Es mag sein, daß die Angriffe gegen Wehner für diesmal abgeschlagen werden. Aber kein Zweifel, daß in den Reihen des Parteivolkes eine Gärung im Gang ist, deren Ausmaß wohl kaum jemand schon genauer zu übersehen vermag. Die stark ausgebildete hierarchische Gliederung der Partei wird es zwar den „Heckenschützen” ebenso wie denen, die mit offenem Visier kämpfen, nicht leicht machen, nach vorn zu dringen. Aber daß die Entwicklung in der SPD in greifbarer Zukunft immer noch zu Veränderungen hindrängen wird, dies scheint nahezu sicher zu sein.

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