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Wehrpflicht — ja oder nein?

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Mit der resignierten Feststellung, Kriege habe es immer gegeben, verbindet sich die Vorstellung, es müsse auch immer so etwas wie eine allgemeine Wehrpflicht gegeben haben. Die Exerzierkunst ist eine Errungenschaft des Barock. Die allgemeine Wehrpflicht wurde in den Stürmen um die erste demokratische Ordnung auf dem Kontinent geschaffen. Die Französische Revolution hatte die Stärke der Massen demonstriert. Und Napoleon, der sie zu brechen hoffte, hatte diese Stärke formell anerkannt, indem er Massenarmeen aufstellte.

Die allgemeine Wehrpflicht war ein plötzlicher revolutionärer Eingriff in die Kriegsgeschichte. An ihrem geistigen Schöpfer sind die Historiker, geblendet von der Erscheinung Napoleons, meist vorbeigegangen: Carnot, seit 1792 erster Militärsachverständiger des Konvents und des Wohlfahrtsausschusses, 1793 bis 1795 Kriegsminister und im übrigen Napoleons Lehrmeister. Carnot war der Organisator der ersten Massenheere. Und Napoleon hat als erster die Rekrutierungsquellen so ausgiebig erschöpft, daß er ganz Europa für ein Jahrzehnt derart in Atem halten konnte, wie es früher nie möglich gewesen wäre.

Kinder, Jugendliche, Frauen…

„Weg mit dem Söldnerheer, der letzten Stütze des Despotismus”, war der revolutionäre Kampfruf. „Wir ersparen uns 40 Millionen Francs im Jahr!” Derselbe Konvent, der Zwangsaushebungen als despotisch verworfen hatte, beschloß am 24. Februar 1793, 300.000 Rekruten einzuberufen. Propagandistisch suchte der neue Staat den Patriotismus seiner Bürger anzufeuern.

Das sogenannte „Zweite Requisitionsgesetz” vom 23. August 1793 verpflichtete nicht nur sämtliche waffenfähige Männer vom 25. bis 45. Lebensjahr zum Wehrdienst, berief nicht nur die Achtzehn- bis Fünfundzwanzigjährigen ein — die Unverheirateten zum Frontdienst, die Verheirateten zum Dienst in die Werkstätten —, sondern verpflichtete selbst Kinder, Jugendliche und Frauen zu Hilfsdiensten. So erreichten die Streitkräfte Frankreichs im Oktober 1793 die noch nie dagewesene Stärke von einer halben Million. Es war die erste totale Mobilmachung eines Volkes in der modernen Kriegsgeschichte.

Es ist eine Paradoxie, daß Camot, der geistige Schöpfer der Militärpflicht, in keiner Weise ein Militarist war, sondern ein glühender Friedensidealist. Die revolutionären Gedankengänge des jungen Offiziers folgen Rousseau und verloren bis heute nicht ihre aktuelle Kraft: Warum sollen gewisse Gruppen innerhalb der Volksgemeinschaft bewaffnet werden und andere nicht, fragt sich Carnot. Die Geschichte zeigt doch, daß die Unbewaffneten immer zu Sklaven und Dienern derjenigen werden, die es verstehen, das Kommando an sich zu reißen. Also muß in einem freien, demokratischen Land entweder jeder Bürger Soldat sein oder keiner. Schaffen wir das Söldnerheer ab, so brauchen die Truppen nur so lange zu dienen, als sie zur Abwehr der Bedrohung unbedingt nötig sind. Die Einsparung ist enorm.

Doch der Weg der Geschichte ging von der „demokratischen” Revolution zur autokratischen Militärdiktatur. Immer größere Siege des Wehrpflichtheeres brachten immer größere Versuchungen. Napoleon, für den Krieg eben Spiel bedeutete, auf dem er Meister war, kam es einzig darauf an, eine große Zahl zu erreichen, gleichgültig ober der einzelne wollte oder nicht. Wer hätte sich auch freiwillig in die Steppen Rußlands führen lassen?

Österreich und Preußen

Napoleon hatte in Frankreich die Wehrpflicht verhaßt gemacht, aber seine Erfolge hatten in anderen Ländern spontane Bewaffnungen des gesamten Volkes, jetzt wirklich zur Landesverteidigung, erzwungen, die Spanien und Preußen besonders konsequent durchführten. Österreich hatte schon 1802 eine maximale Dienstzeit von 14 Jahren gesetzlich festgelegt, die 1845 auf acht Jahre herabgesetzt wurde. Im Februar 1813 führte Preußen die allgemeine Wehrpflicht vom 17. bis zum 24. Lebensjahr ein. Aus Nationalgefühl hat das Volk nun nicht für, sondern gegen Napoleon die Wehrpflicht mit Begeisterung auf sich genommen. Die allgemeine Wehrpflicht, durch die Napoleon Europa unterjocht hatte, war das einzige

Mittel, ihm überlegen zu werden. Das traditionelle Söldnerheer wäre dazu niemals in der Lage gewesen.

Die langwierigste Umbildung zur Durchsetzung der allgemeinen Wehrpflicht in Friedenszeiten vollzog sich in Preußen. Das zeigt, wie problematisch es ist, den preußischen Staat in Bausch und Bogen als „militaristisch” zu etikettieren. Für den deutschen Liberalismus wurde die Wehrpflicht zum Kampf um die Menschenrechte. Die Dienstzeit war dort mit drei Jahren nie so lang wie in Frankreich. Es war General v. Boyens einschneidender Gedanke, daß auch die nach Hause Beurlaubten Soldaten blieben.

In Frankreich schlug das Pendel vorerst nach der Gegenseite aus. Nach Napoleons Zwangsherrschaft und Überaktivität und den militärischen Niederlagen war die Uniform ähnlich suspekt wie in Österreich oder Deutschland nach den Weltkriegen. Vehement forderte das Volk die Abschaffung der Wehrpflicht, die allzu peinlich an Napoleon erinnerte. Ludwig XVIII. kam dem Drängen zwar nach, doch war es jetzt zu spät, die Uhr zurückzudrehen. Schon 1824 wurde auch in Frankreich die Konskription wiedereingefühirt. Die Dienstzeit war acht, dann sieben Jahre. Die Verfassung von 1848 verpflichtete erneut jeden Bürger zum Tragen des Waffenrocks.

Im Zeitalter des europäischen Nationalismus wurden alle Großmächte zu „Völkern in Waffen”.

Die Päpste greifen ein: 20. Juni 1894

Aus der historischen Situation, aus dieser spannungsgeladenen Atmosphäre des Mißtrauens und des Hasses zwischen den Völkern ist Leos XIII. Enzyklika „Praeclara gra- tulationis” an die Völker und Herrscher des Erdkreises vom 20. Juni 1894 mit ihrer scharfen Wendung gegen die allgemeine Wehrpflicht zu begreifen.

Der dringende Appell des Papstes nach Abrüstung und Friede um die Jahrhundertwende war vergeblich. Die Explosion blieb nicht aus, und Papst Benedikt XV. mußte zusehen und konnte nichts anderes tun, als den „Krieg als entsetzlichen Brudermord” und eine „furchtbare, Europa entehrende Menschenschlächterei” zu brandmarken. Am 28. September 1917 wandte sich Kardinal Gasparu im Auftrag des Heiligen Vaters an den englischen Premiere mit den Friedensvorschlägen des Papstes, wovon die wichtigsten die Errichtung eines „Weltgerichtshofes” und „die durch gemeinsames Abkommen erzielte Abschaffung des allgemeinen Militärzwanges und die Einführung des freiwilligen Dienstes” sind: „Die allgemeine Militärdienstpflicht war seit mehr als einem Jahrhundert die wirkliche Ursache ungezählter Übel; ihre gleichzeitige und allseitige Abschaffung wird das einzig wirksame Heilmittel sein.”

In den Jahren nach den Verheerungen durch Massenheere in Verbindung mit allen Errungenschaften der Technik hinderten — menschlich begreiflich — starke emotionelle Tendenzen eine klare Neuorientierung. Die Internationale der Kriegsdienstverweigerer entfaltete heftigste Aktivität und verurteilte den allgemeinen „Wehrzwang” als utidemokratisch. Daneben schien aber gerade in den Jahren nach dem Krieg die Freiheit der europäischen Demokratien äußerst bedroht. Aus dieser politischen Situation sind die Worte der Weihnachtsbotschaft Pius’ XII. von 1956 zu begreifen, die in intellektuell prägnanten Formulierungen dem Recht einer „Regierung, mit freiem Wahlrecht erkoren”, in „äußerster Not” einen Verteidigungskrieg zu führen, seine moralische Berechtigung zuwies.

Wenn das II. Vatikanische Konzil das Recht auf Leben entschiedener betont als das Recht auf den gerechten Verteidigungskrieg, so spiegelt sich hier die Neuorientierung unserer Zeit, die heute weder abgeschlossen noch in naher Zukunft gelöst sein wird. Johannes’ XXIII. erste Rundfunkbotschaft war ein dringender Friedensappell. Sein Leben klang aus mit der Friedensenzyklika „Pacem in terris” vom 11. April 1963, die allen Menschen guten Willens die Grundlagen des Friedens in einem weltweiten Raum eindringlich vor Augen hält. Erschütternd aufrüttelnd sind die Friedensworte Pauls VI., von leidenschaftlicher Liebe seine Bemühungen um die Beendigung kriegerischer Katastrophen. Freilich nannte derselbe Paul VT. in seiner großen Friedensrede vor den Vereinten Nationen Waffen als notwendig „solange der Mensch wankelmütig” sei. Und Paul VI. war es, der in jüngster Vergangenheit betonte, daß alle Staaten Lob verdienen, die irgendeine Form des Sozialdienstes als einen Teil des Wehrdienstes anerkennen. Heute kennen Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande, Schweden und die Bundesrepublik bereits Möglichkeiten eines Alternativdienstes, dessen Grundlage ein übernationales Denken sein muß. In Österreich hat Prälat Dr. Leopold Ungar sehr realistische Vorschläge für Sozialarbeit im Inland und in den Entwicklungsländern, wie sie unter anderem von der Pax-Ohristi- Bewegung gefordert wird, in die Öffentlichkeit getragen.

Vielleicht mit größerem Ernst als je zuvor werden heute vor dem Hintergrund zweier Weltkriege und Vietnam die Probleme Krieg und Wehrdienst aus demokratischer Gesinnung neu durchdacht und diskutiert. Ein weltweiter Alternativdienst ist nur einer von neuen Aspekten. Nichts ist mehr zu begrüßen als daß an etwas seit Generationen Gewohntem nicht länger als an etwas Selbstverständlichem festgehalten wird, sondern daß wir etwas mit Vernunft zu lenken versuchen, was vor 175 Jahren in einer Zeit leidenschaftlicher Explosionen und unkontrollierbarer Umwälzungen entstand.

sitzungsfreien Wochen könnte das Rundfunk- und Fernsehpublikum auch mit Geschäftsordnung und Parlamentspraxis vertraut gemacht werden, und der Abgeordnete sollte auch außerhalb des Hohen Hauses, also in seinem Klub, im Wahlkreis vorgestellt werden.

Andere „Vermittlungsvorschläge” wieder sehen vor, daß sich der Rundfunk wohl aussuchen kann, welche Rede er übertragen will, der Abgeordnete aber sagen kann, was er aus seinem Parlamentsbeitrag übertragen wissen möchte. Darüber hinaus sollte auch über die Ausschußarbeit und die Aktivität „hinter den Kulissen” berichtet werden — jedoch jeweils im Einvernehmen mit dem Vorsitzenden des Ausschusses, des Klubs usw.

Wichtigster Reformvorschlag aber wäre: Einhaltung des festgesetzten Ubertragungsschlüssels der Redezeit der einzelnen Parteien nach ihrer Stärke, aber monatliche „Abrechnung”, so daß die jeweilige Plenumsübertragung flexibel gehandhabt werden kann. Erst nach mehreren Sitzungen muß die Redezeit der Parteien entsprechen, und wenn in einer Debatte die Opposition Gewichtiges vorzubringen hat, wird ihr das Wort nicht im Mund abgeschnitten. Sie müßte es sich allenfalls gefallen lassen, ein anderes Mal etwas kürzer behandelt zu werden.

Vorteil dieser Zwischenlösung wäre ohne Frage, das bestehende Spannungsverhältnis zwischen Parlamentariern und Rundfunk zu lösen und im Falle einer Bewährung zu einer endgültigen, alle Beteiligten einigermaßen befriedigenden Lösung in absehbarer Zeit zu kommen.

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