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Weiter Weg nach T schenstochau

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Tu Czenstochowa .. Ici Czenstochowa.. Here is Czenstochowa… Der Reisende im Schlafwagen des Chopin-Expreß schreckt aus dem späten Schlaf, in den er nach fünf Grenzkontrollen gegen Morgen gesunken war. Weißrote Fahnen verleihen der polnischen Provinzstation ein festliches Bild. Was ist los? Rüstet die Stadt, über die sich der Helle Berg mit dem bekannten polnischen Nationalheiligtum erhebt, schon für den Besuch Papst Paul VI.? Schwerlich. Dichte Schneewächten zu beiden Seiten der Gleise erinnern daran, daß auch in Polen der Winter eingezogen ist. Tiefer Winter. Bis zum Frühjahr hat es noch lange Zeit. Heute ist nur „Barbara-Tag”, an welchem die schlesischen Bergleute in Scharen zu dem Heiligtum der geheimnisumwitterten schwarzen Madonna wallfahren.

Das war am 4. Dezember. Der inzwischen vielzitierte „Brief” der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder — übrigens ein Brief unter 56, die an die Episkopate anderer Länder gingen — war zwar bereits abgeschickt, die deutsche Antwort stand jedoch noch aus. Warschau, das offizielle Warschau, schwieg. Noch. Man konnte an jenem Tag guter Hoffnung sein, daß die oft zitierte „polnische Staats- raison” im Zentralkomitee der polnischen Arbeiterpartei über alle ideologischen und politischen Bedenken hinweg den Sieg davontragen würde, daß man dort letzten Endes alles unterlassen würde, was einem Besuch des Papstes in Polen, der ohne Zweifel eine internationale Stärkung der polnischen Position zur Folge hätte, erschweren oder verhindern könnte. Ganz zu schweigen davon, daß auch dem großen Nachbarn im Osten die vorsichtige Anknüpfung eines Dialoges in sein Konzept zu passen schien. Die Weichen für den Papstbesuch in Polen schienen auf „Grün” zu stehen.

Das war am 4. Dezember. Nicht ganz eine Woche später setzte von seiten des offiziellen Warschaus das propagandistische Sperrfeuer gegen die moralisch so eindrucksvolle Versöhnungsgeste der polnischen Bischöfe gegenüber ihren deutschen Amtsbrüdern und damit gegenüber dem gesamten deutschen Volk ein. Zeitungsartikel, Betriebsresolutionen, vehemente persönliche Angriffe von seiten hoher Staats- und Parteimänner nahmen den polnischen Episkopait unter schweren Beschuß.

Die Kampagne erreichte bisher ihren Höhepunkt, als man Kardinal Wyszynsk-i den Diplomatenpaß vor der geplanten Reise nach Rom, wo in einer Feierstunde der tausendjährigen Geschichte des Christentums in Polen gedacht wurde, abnahm.

Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Polen hatten einen Tiefpunkt erreicht, wie kaum je seit 1956. In einer solchen Situation schien der Besuch des Papstes in Polen zur Freude aller „kalten Krieger” in Ost und West zur Illusion geworden.

Und dennoch! Die Nachrichten aus Rom bezeugen, daß der Montini- Papst mit der ihm eigenen Zähigkeit nicht so leicht von einem Plan, der in sein großes Konzept eines neuen katholischen Universalismus’ gehört, Abschied zu nehmen gedenkt. Nach Jerusalem, Karatschi und New York wäre Tschenstochau eine weitere, sinngemäße Station, die Begegnung der Kirche mit der heutigen Welt glaubhaft zu bezeugen. Ja, man gewann den Eindruck, daß in Rom die unfreundliche Sprache Warschaus gegenüber den polnischen Bischöfen wohl aufs tiefste bedauert würde, daß man aber bisher zwischen der unerquicklichen Auseinandersetzung über den „Brief” und den Reiseplänen des Papstes kein Junktim hergestellit wissen wollte.

„Der Papst lernt weiter polnische Grammatik.” Diese, für die internationale Boulevardpresse gewollte Indiskretion, sagt genau so viel, wie die in den letzten Tagen kolportierte — und „natürlich” dementierte — Meldung, Msgr. Casaroli, der Experte des Staatssekretariats für heikle Mission im europäischen Osten, habe Warschau einen Besuch abgestattet. Eine zweite, undemen- tierte Meldung konnte derselben Aufmerksamkeit sicher siein. Eine, unter der Führung von Gomulkas „alter ego” Zernon Kliszko stehende Delegation sei in Rom eingetroffen. Ihr Besuch gilt zwar der KPI, aber jeder weiß, daß Rom eine „offene Stadt” ist und Gelegenheiten zu den vielseitigsten Sondierungen und Gesprächen bietet. Mit Interesse sieht man auch in der Urbs dem Besuch des Außenministers der UdSSR entgegen, ein Besuch Gromykos bei Papst Paul VI. ist nicht ausgeschlossen. Alle Wege führen nach Rom. Von Warschau über Moskau aber ist es ein unnotwendiger Umweg. Ebenso von Rom über Moskau nach Tschenstochau…

Die polnische Politik war im vergangenen Jahrzehnt stolz auf ihre Initiativen, auf eine gewisse Mittlerfunktion, die man in der Gegenwart und vielleicht noch mehr in der Zukunft ausüben wollte. Erleben wir jetzt das Paradoxon, daß Moskau Öl auf die aufgewühlten Wogen gießen wird — statt umgekehrt?

Jeder Freund des polnischen Volkes wird es bedauern, daß das offizielle Polen, die Chance, die der polnischen Nation in ihrer Gesamtheit durch den Besuch des Papstes gelboten ist, nicht voll zu erkennen scheint und in den letzten Wochen Hypotheken auf diese Reise legte, statt solche nach Möglichkeit abzubauen. Aber in Polen ist nie etwas verloren. Wenn die Früh/j ahrssonne den Schnee von den polnischen Feldern aufzutauen beginnt, wird sie auch unter allem Eis eine Betonstraße freilegen, die die zuständigen polnischen Behörden — auf jeden Fall — zwischen einem nahen Militärflugihafen und der Stadt CzenstoChowa angelegt haben…

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