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Weltkonferenz der Orthodoxie

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Ein Jahr später als vorgesehen tagte vom 25. bis 29. September im einzigen freien Land mit einer orthodoxen Bevölkerung die Konferenz der Weltorthodoxie, um die kommende Prosynode vorzubereiten. Der Prosynode war in der Einigungsarbeit der getrennten Christenheit eine wichtige Rolle zugedacht. Sie sollte noch vor der 3. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen, die im Dezember in New Delhi stattfinden wird, und vor dem II. Vatikanischen Konzil eine Erklärung der Weltorthodoxie zur gesamtchristlichen Wiedervereinigung abgeben. Die Konferenz konnte jedoch nach der amtlichen Erklärung des Patriarchates von Konstantinopel „wegen unüberwindlicher Schwierigkeiten” zum anberaumten Termin nicht zusammentreten. Es wurden damals in der Presse Mutmaßungen über die Gründe angestellt. Die Frage fand eine positive Lösung anläßlich des Besuches der Patriarchen Aleksej von Moskau zu Weihnachten 1960 in Konstantinopel beim Patriarchen Athenagoras. Die russische Kirche stellte sich zum Vorhaben des Patriarchates von Konstantinopel wohlwollend und versprach ihre Mitwirkung. Damit fielen die unüberwindlichen Schwierigkeiten weg.

Der amtliche Zweck der Konferenz auf Rhodos war die Ausarbeitung einer Tagesordnung für die bevorstehende Prosynode der orthodoxen Kirche. Man kann ihre Aufgabe mit jener der Commissione anteprepara- toria vergleichen, die mit der Sammlung der Anregungen zum II. Vatikanischen Konzil betraut war. Ein anderer Zweck, der Kontakt mit den Beobachtern der abendländischen Christenheit, war nicht angegeben, wurde jedoch gepflegt. Katholischerseits nahm der Vorkämpfer der katholischen ökumenischen Arbeit, P. Jean Dumont O. Pr. vom Forschungszentrum Iština in Paris, teil.

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Zunächst ein Katalog ol-’-’T

Nach Beratung wurde der Wortlaut der Tagesordnung endgültig festgelegt. Wir fassen den Inhalt kurz zusammen. Die Tagesordnung enthält acht Kapitel: Glauben und Dogma, Liturgie, Kirchenverwaltung und Kirchenordnung, Beziehung der orthodoxen Kirchen untereinander, Orthodoxie und die übrige christliche Welt, Orthodoxie in der Welt, theologische und schließlich soziale Fragen. Die Themenstellung erinnert an die für das II. Vatikanische Konzil gemachten Vorschläge. Ihr Inhalt ist nicht auf die dogmatischen Fragen eingeschränkt wie bei den ersten ökumenischen Konzilen, sondern ähnlich wie bei den Reformkonzilen des Mittelalters in der katholischen Kirche, nach dem Grundsatz: Ecclesia semper reformanda, auf eine breitere Grundlage gestellt.

Im ersten Kapitel der Tagesordnung sollen der Begriff sowie die Authentizität der Kirche definiert werden, ebenso wie der Begriff und die Ausdehnung der Überlieferung. Der biblische Kanon wurde nicht auf die Tagesordnung gesetzt, weil er keiner Debatte bedürfe.

Im Bereich der Liturgie wurden verschiedene Neuerungen besonders auf Drängen der Kirchen aus dem Sowjetblock zurückgewiesen. — Das Kapitel Kirchenverwaltung und Kirchenordnung soll die Fragen über die Neufassung des orthodoxen Kirchenrechtes und die einheitliche Strafprozeßordnung sowie über das Appellationsverfahren, die Bischofswahl und das Mönchsleben, die Anpassung der Fastenbestimmungen an die Erfordernisse des modernen Lebens sowie die Ausbildung und Kleidung des Klerus, über die Ehehindernisse und den Kalender behandeln.

Das Kapitel über die Beziehungen der orthodoxen Kirchen untereinander bringt im ersten Punkt die Formulierung „Beziehung der orthodoxen auto- kephalen Kirchen und autonomen Kirchen untereinander und zum ökumenischen Patriarchat”. Die meisten Beobachter lesen aus diesem Wortlaut eine neue Anerkennung des Patriarchates von Konstantinopel vor den anderen östlichen Patriarchaten heraus. — Der zweite Punkt dieses Kapitels wurde nicht entschieden. Die Vertreter der russischen Kirche wünschten eine Prosynode binnen sechs Monaten. Die rumänische Vertretung sprach sich bei günstiger Weltlage für eine Prosynode in einem Jahr aus. Ein Mitglied des ökumenischen Patriarchates meinte, daß die Prosynode voraussichtlich nach zwei Jahren stattfinden könne.

Das fünfte Kapitel behandelt die Beziehung der orthodoxen Welt zu der übrigen christlichen Welt. Zu den alten Nationalkirchen der Armenier und Äthiopier, Jakobiten sowie Kopten und Malabaren soll die Pflege freundschaftlicher Beziehungen zur Wiedervereinigung führen. Auch mit den Altkatholiken scheint eine Vereinigung bevorzustehen. — Die Stellung zu den Protestanten wurde durch die Aufnahme des Passus für die Untersuchung .dpx, MpgĮif Mfdten einet, N herher n- ziehung-’an die orthodoxe Kirche in. die Tagesordnung bestimmt.

Die Beziehung zur katholischen Kirche fand nach eingehender Durchberatung die endgültige Formulierung: „1. Untersuchung der zwischen beiden Kirchen bestehenden positiven und negativen Berührungspunkte, a) im Glauben, b) in der Kirchenverwaltung, c) in der kirchlichen Betätigung (besonders Propaganda, Gottesdienst).

2. Pflege der Beziehungen zwischen den Konfessionen im Geiste christlicher Liebe, wie sie im Rundschreiben des ökumenischen Patriarchates vom Jahre 1920 vorgesehen ist.”

Es wurden noch eine Reihe praktischer Fragen in die Tagesordnung aufgenommen, wie die Förderung der Wallfahrt und Mission, Festlegung eines gemeinsamen Heiligenkalenders und Regeln für die Wiederaufnahme von Schismatikern, Häretikern und Apostaten, Ehe und Fortpflanzung, Geburtenkontrolle und Überbevölkerung, Kindererziehung und Jugend, Euthanasie und Feuerbestattung, Ehescheidung und künstliche Befruchtung, Rassendiskriminierung und nichtchristliche Welt.

Die Botschaft der Konferenz wurde am Sonntag, dem 1. Oktober, bei einem vierstündigen Gottesdienst verkündet und trägt rein religiösen Charakter. Sie hebt die Einheit der orthodoxen Kirche hervor und bezeichnet die Begegnung von Vertretern aller orthodoxen Landeskirchen nach langer Zeit als „ein sehr großes Ereignis”. Der Generalsekretär der Konferenz und Metropolit Chrysostomus Konstan- tinidis von Myra, der fünf Jahre an der Gregoriana und am Päpstlichen Orientalischen Institut in Rom studiert und in Straßburg sein theologisches Doktorat erworben hat, sagte nach Abschluß der Konferenz, daß die orthodoxe Kirche ihre Einheit nicht bloß tjupch Glauben, Überlieferung und Liturgie, sondern auch auf anderem Wege zu bekunden wisse.

Die Einheit der orthodoxen Kirche ist für die Einigungsarbeit ein Fortschritt. „Die Einheit im Schoß der orthodoxen Kirche — stellen die westlichen Beobachter fest — ist ein Schritt zur Offenbarung einer Einheit aller christlichen Kirchen.” Die Spannung zwischen der Kirche von Konstantinopel und der Kirche von Moskau scheint überwunden zu sein. Der letzte Artikel des ersten Patriarchen Sergius nach dem Wiedererwachen der russischen Kirche im Amtsblatt des Patriarchates von Moskau im Jahre 1944 schien den Führungsanspruch des Moskauer Patriarchates innerhalb der Weltorthodoxie anzudeuten. Patriarch Aleksej lud im Jahre 1948 die orthodoxen Kirchen anläßlich der 500-Jahr-Feier der Selbständigkeit der russischen Kirche zu einer Konferenz in Moskau ein. Das Patriarchat von Konstantinopel lehnte die Einladung ab, denn dafür sei das Patriarchat von Konstantinopel allein zuständig, und jeder andere Vorgang sei unkanonisch. Wohl nahmen einige Patriarchen an der Konferenz teil, aber der Vertreter des Patriarchates von Konstantinopel und Griechenland fehlte, so auch seine Unterschrift unter den Resolutionen dieser Konferenz. Anlaß zu den kanonischen Spannungen gab die auslandsrussische Seelsorge unter dem Patriarchat von Konstantinopel einerseits, als auch die Zuerkennung der Autokephalie an einige Kirchen durch das Patriarchat von Moskau anderseits. Der Patriarch von Antiochien bewog den russischen Patriarchen, sich mit der kanonischen Reihenfolge als 5. Patriarch zufriedenzugeben.

Die Botschaft spricht von der Konferenz als einem sehr großen Ereignis. Konferenzen und Tagungen der mannigfaltigsten Arbeitsgemeinschaften und Vereinigungen auf landės- und zwischenstaatlicher Ebene sind im industriellen Zeitalter etwas Alltägliches. Aber hier ist der orthodoxen Kirche gelungen, was sie zwischen beiden Kriegen umsonst versuchte. Der Zusammenbruch des Zarentums brachte die Orthodoxie um ihre Schutzmacht. Der junge Sowjetstaat sagte der Kirche nicht nur den Kamnf an, sondern er beschlagnahmte ihr Vermögen und dezimierte ihren

Klerus. Der Untergang des otcomani- schen Völkerstaates brachte auch den Patriarchen von Konstantinopel um seinen Einfluß auf die östlichen Patriarchate und die Balkanvölker. Die orthodoxen Konferenzen in Konstantinopel im Jahre 1923 und in Watopädi (Athos) im Jahre 1930 versuchten, eine Grundlage für die Zusammenarbeit der Weltorthodoxie zu schaffen. Die Frage einer wirksameren Bekämpfung des Atheismus und der Freimaurerei stieß auf den Widerstand der abwesenden russischen Kirche und verhinderte die geplante Prosynode für das Jahr 1932. Der Theologenkongreß in Athen im Jahre 1936 stellte das Konzil als die höchste Autorität der orthodoxen Kirche hin, regte die Einberufung und Leitung durch den ökumenischen Patriarchen an, schlug Griechisch und Russisch als Konzilsprache vor. Unter seinen Vota werden die Neufassung des orthodoxen Kirchenrechtes, als auch die authentische Revision der I17, turgischön Texte aüfgezähtt.crn ‘‘,ano

Der Termin für die Prosynode’ blieb offen. Für eine erfolgreiche Leistung ist eine gründliche Vorbereitung die Voraussetzung. Dabei ist festzuhalten, daß die Facharbeit der Theologenschaft Zeit braucht, zumal ihre Zahl beschränkt ist. Die russische Kirche verfügt über die Theologieprofessoren zweier geistlicher Akademien und fünf weiterer theologischen Lehranstalten. Griechenland hat Theologieprofessoren an zwei theologischen Fakultäten und sieben theologischen Lehranstalten, Jugoslawien hat an einer theologischen Fakultät und zwei theologischen Lehranstalten Fachleute. Die Theologieprofessoren vom St.-Sergius-lnstitut in Paris und vom St.-Wladimir-Seminar in New York scheiden aus. Der orthodoxen Theologenschaft sind große Aufgaben zugemutet.

Primat des Patriarchen?

Die orthodoxe Kirche versucht, durch Ausscheidung heterodoxer Lehren katholischer oder protestantischer Herkunft durch ein den Bedürfnissen der Orthodoxie, Christenheit und Welt angepaßtes Selbstverständnis auf einer Prosynode in feierlicher Weise zu bekunden.

Die Anerkennung eines gewissen Primates des Patriarchen von Konstantinopel aus sachlichem Bedürfnis heraus zeichnet sich in der modernen Weltorthodoxie gegen einen überspitzten Autokephalismus ab.

Der Weltorthodoxie ist es um den Anschluß an den modernen Lebenspuls und die christlichen Bekenntnisse ernst. Die zum Teil scharfen Kampfansagen der russischen Kirche gegen die katholische Kirche können über das große Anliegen dieser um ihre Existenz gegen eine materialistischen Staat ringenden Kirche kaum hinwegtäuschen, dessen Grundlage die Unvereinbarkeit von Materialismus und Religion ist. Ihr Leid wird stets größer, und ihr noch an einem dünnen Faden hängender Existenzgrund ist der Kampf gegen die katholische Kirche und damit ein gewisser Dienst am materialistischen Staat. Die Katholiken werden über diese Äußerungen aus Verzweiflung zweckmäßig züm Gebet als richtiger Antwort greifen, wie das die Katholiken Griechenlands auf den Aufruf des lateinischen Erzbischofs Benedikt Printesis von Athen bereits getan haben.

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