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Weltkonferenz in weiter Ferne

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Das Unmögliche ist Inzwischen Wirklichkeit geworden, die Möglichkeit der Weltkonferenz aber in eine fast illusionäre Ferne gebückt. Gewiß, Moskau wird nicht auf die Abhaltung der Konferenz und eine Bestätigung der sowjetischen Vorherrschaft innerhalb des Weltkommunismus verzichten. Wann aber könnte ein so repräsentatives Gipfeltreffen stattfinden, ohne daß Italiener, Franzosen, Kubaner, Indonesier, Nordvietnamesen heftigste Opposition, ja, Obstruktion treiben? Doch es ging und geht gar nicht darum, daß die armen, gläubigen tschechischen und slowakischen Kommunisten, nach dem allgemeinen Protest der Bruderparteien am 30. September und 1. Oktober 1968 gegen die Okkupation ihres Landes, einen schmalen Vorteil ziehen und von dem etwas nervösen Kreml einige Zugeständnisse erlangen. Nein, es geht grundsätzlich darum, wie sich Moskau künftighin das Zusammenspiel der parteilichen KP-Intemationalen, des WeRfrauenbundes, der proletarischen Pädagogen, Juristen, des COMECON und dies Warschauer Paktes vorstellt. Unleugbar beherr- 1 sehen Stalins Epigonen das starre und scharfe Instrumentarium der Internationalen nicht mehr mit einem sichtbaren Nutzeffekt. Ist denn. die . Ausschaltung der . 14 bestgerüsteten Divisionen des Sowjetblocks der Tschechoslowakischen Volksarmee —, von mehr als einem Dutzend rumänischen Divisionen, die gewaltsame Ausschaltung Tito-Jugoslawiens als Bundesgenossen wirklich ein strategisches oder gar politisches Glanzstück der Troika

Breschniew-Kossygin-Podgorny?

Tauwetter: Abgesagt

194445 war der Kreml gezwungen, die Bruderparteien, die wirtschaftliche Zusammenarbeit, die Kulturpolitik der Satelliten mit einem Heer von Beratern, Militärkommandanten, Konzerndirektoren als „Korsettstangen“ zu gewährleisten. Später lockerten sich diese starren Scharniere, und wieder war es — etwa drei Jahre nach dem Polnischen und Ungarischen Oktober 1956 — möglich, eine gewisse Multilateralisierung, eine Polyphonie, eine bescheidene Mitsprache der kleinen Partner einzuleiten, natürlich alles erst im Ansatz. Der Kreml schien bereit, Koexistenzpolitik gegenüber dem Westen mit einer größeren Toleranz innerhalb der Sowjetsphäre zu verbinden.

Es war auf jeden Fall eine gute Atmosphäre entstanden. Diese Atmosphäre glich der Stimmung des Frühlings 1968 in der reformerisehen Tschechoslowakei. Das meiste nur Ansatz, erste Hoffnung — aber die Perspektiven boten sich für alle Beteiligten als erfreulich an. Eine augenblickliche Bestandsaufnahme der Bruderparteien, des Warschauer Paktes, des Sowjetisch-Volksdemokratischen Rate für gegenseitige Wirtschaftshilfe (COMECON), der weltkommunistischen Frontorganisationen zeigt in den Listen der Mitglieder fast ebenso viele unsichere Kantonisten und Opportunisten wie treue Anhänger und Ideologiegläubige. Auch in den zuverlässigen Bruderparteien, zum Beispiel des Sowjetblocks, geht der Riß quer durch die Generationen: Die sowjetischen Korrespondenten, die zum Beispiel gegenwärtig Stimmungsberichte aus Prag nach Moskau drahten, kehren immer wieder zu der Feststellung zurück: Der brave Altkommunist und opferbereite Arbeiter einerseits — die jungen „Halb- Starken“, auf die kein Verlaß mehr ist, anderseits. Diese Zweiteilung etzt sich fort bis hinauf in die leneralstäbe des Warschauer Pak- es. Einerseits die alten revolutions- eeichten und ideologisch geprägten Vertreter der älteren Generation — inderseits die jungen General- täbler, die man eher als „liberal“ :ennzeichnen könnte.

Wie sollte also das künftige „Ver-bundnetz“ der Kommunistischen Internationalen aussehen? Das Bonmot: Breschniew vertraut auf Breschniew! ist bald ausgesprochen. Auch die Vorstellung, daß heute der Kreml alles in eigener Regie besorgt, kontrolliert und anleitet, mag den Sowjets nur für den Augenblick tröstlich sein. Denn nach mehr als 20 Jahren tatsächlicher Normalisierung und des Mündigwerdens der kleinen Brüder läßt sich diese schockartige Zentralisation, dieses Sonnenkönig-System für die Dauer nicht wieder errichten und anwenden. Es sei denn — daß im Kreml Mars die Stunde regiert. Der außenstehende Beobachter erkennt in der UdSSR selbst und in einigen Volksdemokratien sehr deutlich den Widerstreit zwischen Konservativen und Reformern. Er kann auch mühelos feststellen, daß die Militärs heute im sowjetischen Politbüro nicht vertreten sind, wohl aber fast ein Fünftel der ZK-Mitglieder betragen. In den „Übergangszeiten“ der Mos kauer Führungssituation werden anderseits die Militärs leicht Mode. Chruschtschow stürzte seine Vorgänger mit Hilfe der Armee, er selbst wurde unter Beihilfe der Militärs im Oktober 1964 kaltgestellt Es bleibt zu hoffen, daß die ruhige Linie der sowjetischen Parteipolitik die Oberhand behält und die Militärs keine zweite Intervention, im Stile des Einmarsches vom 21. August 1968 in die Tschechoslowakei, bewerkstelligen.

Abschließend gEt es festeuhalten: Die Welt muß ihr bisheriges Urteil über Breschniew und Kossygin auf jeden Fall revidieren, Die demokratische Welt reagiert in Krisenzeiten oft schwerfälliger als ein totalitäres System. Aber sie reagiert durchaus sinnvoll, und man sollte diese vielgelästerte Demokratie nicht unterschätzen. Vor allem: Der Kreml hat erst am 1. Oktober 1968 von den eigenen Bruderparteien — und nicht bloß von jenen aus dem Westen — eine Lektion erhalten, daß Führung und Zusammenarbeit mit der sowjetischen Weltmacht unter die Devise der Freiwilligkeit und Mitsprache gestellt werden müsse — nicht trotz, sondern gerade wegen der glühheißen Nähe der „tragischen Ereignisse“ in der Tschechoslowakei.

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