7132188-1997_30_13.jpg
Digital In Arbeit

Weltreichsdämmerung

Werbung
Werbung
Werbung

Das Ende der Weltreiche” heißt eine Sammlung von Beiträgen unterschiedlicher, zum Teil bescheidener Qualität zu einem Thema hoher Aktualität. Reachtenswert ist vor allem der Reitrag des Herausgebers. Noch ist es keine zehn Jahre her, daß die Sowjetunion zusammenbrach, das vorläufig letzte Großreich. Behandelt werden das Reich der persischen Achämeniden, Rom, das frühmittelalterliche Frankenreich, Ry-zanz, Spaniens Reich in Amerika, die Habsburgermonarchie, das türkische Reich, das japanische, das Britische Empire und die Sowjetunion. Besonders erstaunt der Beitrag des Engländers Bernard Porter über „Die Transformation des British Empire”. Er gestattet sich sehr unkritische Aussagen über sein Land, nämlich, daß es mit seiner Expansion das Beste wollte: „Das Motiv war nicht eigentlich Habsucht.” Britannien habe Länder gebraucht, deren Bessourcen es ausbeuten konnte. Ach so? Der Rest war ein von den Kolonisierten meist falsch verstandener friedlicher Versuch „vormundschaftlicher Führung zur Freiheit”. Aha. Die blutigen Kolonialkriege, die Erstickung indischer Aufstande im Blut, den Opiumkrieg hat dieser Historiker anscheinend verdrängt. Außerdem, meint er, könne man auch gar nicht von einem Fall des Empire sprechen, sondern nur von einer Metamorphose zu noch Besserem, „wie aus einer Raupe ein Schmetterling wird”. Man kann sich vorstellen, was der Mann als Historiker unter Stalin geschrieben hätte.

Der Japaner Tora Juge nimmt eine diametral entgegengesetzte Haltung ein. Der Verlierer wagt sich nur mit größter Vorsicht an den Ursprung des japanischen Imperialismus heran, nämlich die Übernahme der im Westen am Ende des vorigen Jahrhunderts herrschenden Idee vom Imperialismus als fortschrittlichster Staatsform. Statt dessen weist er ausführlich auf die Grausamkeiten der eigenen Kriegsführung hin. Das ist sehr gut, doch aus der Geschichte zu lernen, sollte doch nicht auf Buße beschränkt bleiben. Einige Worte über die Gründe der Übernahme des Imperialismus als Staatsdoktrin und für die jahrhundertelange Abschließung Japans nach außen wären willkommen gewesen.

Herausgeber Alexander Demandt zieht die Schlüsse aus den zehn Beispielen für Weltreichsdämmerang. Weltreiche haben eine wichtige Rolle gespielt. Die frühen Großreiche im Nahen Osten, beginnend mit dem Reich des Akkadiers Sargon I. um 2300 v.Chr., „beruhten auf der Güte der Verwaltung, die im alten Mesopotamien mit der Schrift und der Gesetzgebung schon ein hohes Niveau gewonnen hatte. Sie zielten auf die Reherrschung und doch auch Refrie-digung von Völkern, die sich gegenseitig bekämpften”.

Diese nahöstlichen Reiche hielten meist kaum länger als zwei, drei Generationen, dann kam eine neue Invasion aus den Tiefen Asiens. Doch die Idee des Reiches, das für ineren Frieden und korrekte Verwaltung sorgte, war geboren. Aber auch die Idee des sich nun schon zum Gott erklärenden Despoten.

Das Römische Reich brachte eine neue Grundform. Zum ersten Mal war nicht ein charismatischer Kriegsherr Gründer, sondern eine typische Stadtrepublik. Es ist .zwar nicht Demandts Thema, doch wie sich heute noch in Afrika beobachten läßt, sind die Klane sehr wohl demokratisch organisiert. Ursprünglich nur für den Ausnahmezustand des Krieges gewählt, wird der erfolgreiche Kriegsherr im Fall des Sieges oft zum absoluten Herrscher über viele Stämme. Die demokratische Klanstruktur dagegen lebt in den Stadtstaaten weiter, in der Republik. Das bedeutete in Rom ein auch für den Imperator verbindliches Rechtssystem.

„Während wir die Abfolge der Weltreiche bis zum Imperium Ro-manum als zivilisatorischen Fortschritt begreifen können, läßt sich dies für die Nachfolgereiche nicht behaupten”, faßt Demandt zusammen. Gerade die Kolonialreiche und schließlich das letzte, das imperialistische Zeitalter abschließende Sowjetreich vertraten jedoch offen oder implizit diesen Anspruch. Wenn sie Fortschritt brachten, dann vor allem durch die Ablehnung durch die kolonisierten Völker und die damit verbundene Rewußtseinsentwicklung. Doch hinterließen auch moderne Beiche positive Spuren. Da wäre die spanische Sprache für Südamerika, die ein starkes Gemeinschaftsbewußtsein begründete.

In seinem Ausblick auf eine Zeit ohne Weltreiche sieht Demandt keine Zukunft für Nationalstaaten. Versuche, ethnische Grenzen für Nationalstaaten zu schaffen, werden von der internationalen Gemeinschaft nicht mehr toleriert. Falls es gelingt, einen Nationalstaat auf der Basis solcher Forderungen zu errichten, stellt sich meist schnell heraus, daß sofort das Problem der unterdrückten Minderheit entsteht, wie wir das in der Slowakei beobachten können: „So wie die Großreiche immer wieder zerfallen sind, so haben sich umgekehrt Kleinstaaten immer wieder zu größeren Einheiten zusammenbinden lassen.” Es ergebe sich „eine Tendenz hin zu umfassenden Strukturen”. Nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Systems zeige sich, daß „aus dem stabilen bipolaren System ein labiles multipolares wurde, das lokale Konflikte toleriert und so zum Chaos drängt”.

Diese Entwicklung scheint Demandt aber nur eine Zwischenerscheinung zu sein: „Weltreligionen und Weltkriege, Weltsprachen und Welthandel haben eine Ebene der Gemeinsamkeit geschaffen, sie entisolieren die Nischen und führen hinüber in eine ökumenische Politik, deren Interessen nicht mehr national definiert sind.” Skeptiker hinsichtlich eines Weltstaates hätten jedoch recht: „Eine politische Einheit wird der Blaue Planet vermutlich nie, regionale Rivalitäten sind so unvermeidlich wie klimatische Kontraste.” Demandt verweist auf Kants Schrift „Vom Ewigen Frieden”: „Ein solcher ,contrat mondial' war undenkbar, solange einzelne Mächte sich als vom Schicksal auserkorene Schiedsrichter mit unbegrenzten Vollmachten verstanden und die Einheit des Menschengeschlechts nur in ihrem jeweiligen Weltreich verwirklichen wollten. Diese Zeit ist vorüber.”

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung