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Weltweit floriert der Atomtourismus

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Wenn Demonstranten durch Blockaden Atomtransporte nach Gorleben behindern, macht das Schlagzeilen. Meist werden hochradioaktive Stoffe aber unbemerkt in der Welt verschoben. Für Mycle Schneider, Empfänger des Alternativen Nobelpreises, ein unhaltbarer Zustand.

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Wenn Demonstranten durch Blockaden Atomtransporte nach Gorleben behindern, macht das Schlagzeilen. Meist werden hochradioaktive Stoffe aber unbemerkt in der Welt verschoben. Für Mycle Schneider, Empfänger des Alternativen Nobelpreises, ein unhaltbarer Zustand.

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Was Atomtransporte betrifft, so habe ich seit einem Jahr vor allem versucht, das Prinzip Atomrisiko-Export ins Rampenlicht zu rücken. Ich bin der Uberzeugung, daß viele dieser Transporte ausschließlich dem Risikoexport dienen, das heißt Dienstleistungen im Atombereich, die in Deutschland oder auch Japan politisch nicht durchsetzbar waren (etwa Wiederaufbereitung, Schnelle Brüter) oder verkompliziert wurden (etwa Brennstoff herstellung mit hochangereichertem l Jran), sind schlichtweg ausgelagert worden. Damit wird besonders Frankreich zum atomaren Dritte- Welt-l_and. Alle diese Dienstleistungen erfordern internationale Atomtransporte, die manchmal mehrmals um den Erdball gehen. Eine höchst fragwürdige Praxis.”

In seinem e-mail schildert mir der französische Anti-Atom-Aktivist Mycle Schneider seine Hauptsorgen. Er hat 1983 in Paris den internationalen Energie-Informationsdienst „Wise” mitbegründet und arbeitet weiters als freier Journalist für Zeitungen, Badio und Fernsehen in Europa und Ubersee und als Berater. Als gebürtiger Deutscher interessiert ihn auch die „deütsch-französische Atomfreundschft”, die er in einem Beitrag für den Sammelband „Tschernobyl und kein Ende?” (Agenda Verlag) so skizziert:

„Mitte der achtziger Jahre verschwanden in der Bundesrepublik die R -lusionen auf eine vollständig nationale Plutoniumindustrie. Erst wurde (der schnelle Brüter) Kalkar zur Milliardenruine, dann folgte das Ende der Baustelle (der Wiederaufbereitungsanlage) in Wackersdorf, und schließlich, 1995, verabschiedete sich Siemens endgültig von jeder Hoffnung, seine Plutoniumbrenn-stoffabrik in Hanau in Betrieb nehmen zu können ...”

Während die Atomgegner den Sieg feiern, wird der ehemalige Leiter der

Hanauer Siemens-Anlage der Chef der Cadarache-Anlage der französischen „Cogema”, wo Siemens nun etliche Tonnen deutsches Plutonium zu Brennstoff verarbeiten läßt. Die Anlieferung der Brennstäbe per Bahn in die französische Wiederaufbereitungsanlage La Hague verläuft meist reibungslos.

Denn die gewaltfreien Proteste und Blockadeaktionen tausender deutscher Atomgegner konzentrieren sich auf den Bücktransport des hoch-radioakti ven Restmülls - in angeblich todsicheren Castor-Behältern - zum Depot bei Gorleben. Auch wenn die bisherigen drei Transporte trotz der Behinderungen ihr Ziel erreichten, werden sie wegen der damit verbun-- denen exorbitanten Kosten -auch für den Einsatz von fast 19.000 Polizeibeamten - auf Dauer unfinan-zierbar.

Schon spaltet ein Expertenstreit die Atomgegner, weil einige von ihnen dezentrale Atommüll-Zwischenlager direkt bei den Atomkraftwerken als kleineres Übel dulden wollen. (Eine Verlegenheitslösung, die bei tschechischen und slowakischen AKWs in der Grenznähe zu Österreich das ohnehin große Gefahrenpotential noch verstärkt.)

Daß auch Österreich vom Atomtransit betroffen ist, bewiesen heuer Ende Juli Pressemeldungen. Sie berichteten, daß seit 1993 ohne Infor mation der Bevölkerung und der zuständigen Politiker in Salzburg und Tirol LKW-Transporte mit Brennstäben (für das Atomkraftwerk Krsko in Slowenien und aus Italien nach Deutschland) durchrollten - ohne besondere polizeiliche Sicherungsmaßnahmen.

Atomgegner warnten, daß irgendwann auch hochverstrahlter Abfall rücktransportiert würde. Minister Schlögl reagierte darauf und versprach, bis zum Herbst die Auflagen so weit zu verschärfen, daß diese Fahrten wirtschaftlich und technisch so gut wie unmöglich würden.

Für Totalausstieg

Offenbar zeigt die „Koala-Initiative” der Atomgegner erste Auswirkungen, die den Begierungen in allen Kontinenten eine „Koalition atomfreier Länder” - mit Schritten hin zu einem Totalausstieg aus der zivilen und militärischen Nutzung der Atomtechnologie - nahelegt. Mycle Schneider schildert das Dilemma nicht nur der Deutschen, sondern aller Atomstaaten: „Nun wird deutsches Plutonium tonnenweise in Frankreich nicht nur abgetrennt, sondern auch gelagert, transportiert, zu „MOX” (Brennstoffgemisch aus Uran und Plutonium) verarbeitet und quer durch die Bepublik wieder nach Deutschland transportiert. Um die Jahrhundertwende werden jährlich über 400 Transporte von Plutonium und plutoniumhalti-gen Brennstoffen durch Frankreich rollen. Die Gefahr, daß dabei Plutonium in die falschen Hände gerät und zu fürchterlicher Drohung mißbraucht wird, macht nicht vor der deutschen Grenze halt. Das Bisiko Plutonium könnte unvermittelt als nuklearer Bu-merang wieder ins Ausgangsland zurückkehren.”

Partner des Autodidakten Mycle Schneider im Aufdecken der weltweiten Vernetzungen wurde Jinzaburo

Takagi, ein japanischer Nuklearchemiker, der bis 1975 für die Tokio Metropolitan University, aber auch für die Atomindustrie arbeitete. Er baute in Tokio ein Citizens Nuclear Information Center auf, das die vertuschten Bisken und Unfälle der angeblich so perfekten Atomanlagen aufdeckt, sich aber auch um einen Dialog mit Politikern und Wissenschaftlern bemüht.

International bekannt wurde die „Japan-Frankreich-Connection” der Atomindustrie, aber auch ihre Gegner, durch die Schiffstransporte von La Hague nach Japan, denen wegen ihrer gefährlichen Fracht von manchen afrikanischen und asiatischen Ländern die Landung verweigert wurde. Schneider und Takagi werden für ihre Aktivitäten heuer mit dem „Alternativen Nobelpreis” der „Right Live-' lihood Foundation” des Jakob von Uexküll geehrt.

Seit der Gründung des Preises wurden immer wieder auch Atomgegner und Pioniere erneuerbarer Energien geehrt. Etwa Robert Jungk, der 1977 im leider vergriffenen - Buch „Der Atomstaat” vor Demokratieabbau, Überwachungsstaat und dem Einfluß der Industrielobbies gewarnt hatte.

Neben Experten wurden auch Initiativgruppen kidigener Völker in ihrem Kampf um ihr „heiliges Land” unterstützt. Ihre Sprecher warnten 1992 beim „World Uranium Hearing” in Salzburg gemeinsam mit Experten vor „dem Tod, der aus der Erde kommt”, der vom Uranabbau bis zum Atommüllager seine zerstörerischen Prozesse entwickelt. Ihre Forderungen orientierten sich nicht an Sicherheitsstandards von Transporten und Lagerstätten, sondern am Grundsätzlichen: „Laßt das Uran in der Erde!”

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