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Wendepunkt in Vietnam?

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Bis zum Frühjahr dieses Jahres wurde das amerikanische Publikum von einer Flutwelle von Optimismus über Vietnam aus Washington überschwemmt. Wenn immer der damalige Botschafter in Saigon, General Taylor, nach Washington zur Berichterstattung kam, prophezeite er schon auf dem Flughafen den Anfang Vom Ende der Vietkong. Ebenso strahlte Verteidigungsminister McNamara bei der Rückkehr von seinen häufigen Besuchen in Vietnam strahlende Zuversicht aus.

Man kann sich daher leiser Zweifel nicht erwehren, wenn jetzt die Nachrichten aus Vietnam wieder einen, allerdings gedämpften, Optimismus zeigen. So verkündet die ebenso meinungsbestimmende wie dem offiziellen Standpunkt unbeirrbar treue Wochenschrift „Time“ in einer ihrer letzten Ausgaben, der Wendepunkt sei da. McGeorge Bundy, der so mächtige Berater des Präsidenten, meint, die USA seien über den Berg. „Newsweek“ will wissen, daß Washington mit zunehmender Stärke an Verhandlungen weniger interessiert sei.

Wie gesagt, der Optimismus ist gedämpft. Von Sieg spricht man nicht. So warnte General Taylor ausdrücklich vor der, den Amerikanern so lieb gewordenen Vorstellung der bedingungslosen Kapitulation des Feindes. Man hofft, daß sich die Vietkong verkrümeln und auf bessere Tage warten werden. Man sieht keine Anhaltspunkte dafür, daß der Feind an formellen Verhandlungen interessiert ist. Warum sollte Hanoi auch einen Mißerfolg formell ratifizieren, solange es an der einzig möglichen Gegenleistung, der wirtschaftlichen Hilfe, nicht interessiert ist?

Wie berechtigt sind die Erwartungen auf eine stillschweigende Trennung der Feinde? Sind sie noch immer von dem Wunsch, das zu glauben, was man glauben will, beeinflußt? In keinem Krieg war es so schwierig wie in diesem, sich ein Urteil zu bilden, wenn man nicht zu dem inneren Kreis der Eingeweihten gehört. Man kann sich eben nicht an den bisher gültigen Maßstäben orientieren. Zuallererst muß man einsehen, daß wir in eine neue Epoche der Kriegsführung eingetreten sind, deren Anfänge allerdings auf den zweiten Weltkrieg zurückgehen.

Der Korrespondent der Associated Press, Malcolm Browne, hat ein Handbuch dieser Art der Kriegsführung geschrieben. Es erschien in diesem Jahr in New York unter dem Titel „The New Face of War“ („Das neue Gesicht des Krieges“). Für den Verfasser ist der Vietnamkrieg das Laboratorium jener Kriegsart, die heutzutage, außerhalb eines Atomkrieges, die einzig mögliche ist. Er warnt, daß dies eine Zeit harter Prüfung für Amerika sei, das sich nur behaupten könne, wenn es sich radikal umstelle. Die Vereinigten Staaten müßten es fertigbringen, sich Marx, Lenin, Mao und Giap (den nordvietnamesischen Oberkommandierenden und Theoretiker des Freischärlerkrieges) dienstbar zu machen, ohne damit kommunistisch zu werden. Dieser Krieg ohne Fronten, ohne Unterschied zwischen Soldaten und Zivilisten, gleich welchen Alters und Geschlechtes, sei totaler als Hitlers Kriege es je gewesen seien.

Interessanterweise ist Browne gegenüber der Kriegsführung aus der Luft skeptisch, deren Grund er hauptsächlich in Bequemlichkeit sieht, denn die Bomben schaffen in einem Krieg ohne Fronten mehr Feinde als sie vernichten.

Ähnlicher Ansicht ist auch der Leiter des US-Informationsdienstes in Saigon, John Mecklin, in seinem aufschlußreichen Buch „Mission in Topment“ („Die qualvolle Mission“). Er glaubt, der Krieg könne nur mit Fußsoldaten gewonnen werden, und ist gegen Bombenabwürfe auf Nordvietnam. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß „Newsweek“ kürzlich berichtete, die Bombardierung des Nordens hätte eine viel stärkere Unterstützung der nordvietnamesischen Bevölkerung für ihre Regierung bewirkt.

Amerikanische Generäle geben zu, daß sie mit einer Kriegsdauer von fünf bis zehn Jahren rechnen. Dabei muß allerdings in Betracht gezogen werden, daß dieser totale Krieg nicht nur auf dem militärischen, sondern auch auf dem administrativen und dem sozialen Gebiet gewonnen werden muß. Da schaut es schlechter aus. Diem hatte das koloniale Administrationssystem der Franzosen übernommen, das unzulänglich war, weil es die Vietnamesen auf die untersten Posten beschränkte. Hatte er dadurch schon an und für sich wenige qualifizierte Anwärter auf die leitenden Posten, verringerte sich ihre Zahl noch infolge seines grenzenlosen Mißtrauens. Das Resultat ist, daß es außerhalb Saigons nur wenige fähige Administratoren gibt. Viele von diesen sind korrupt. Sie haben aber eine ungeheure Machtfülle und können ihre Kritiker ins Gefängnis oder sogar aufs Schafott bringen.

Dazu kommt die Notwendigkeit durchgreifender Sozialreformen. Luftmarschall Ky, der bekannteste Mann in dem müitärischen Kollegium, das die Regierungsgeschäfte wahrnimmt, gibt zu: „Um zu gewinnen, muß in Vietnam eine vollständige gesellschaftliche Revolution stattfinden — unsere Revolution. Niemand kann sie uns abnehmen.“

Alles in allem stehen die Vereinigten Staaten jetzt erst am Anfang der ersten Phase, der militärischen. Aus dem Obengesagten ergibt sich nicht mehr als die Möglichkeit ihres erfolgreichen Abschlusses, sobald Amerikaner und Südvietnamesen erkennen, daß die in West Point und St. Cyr gelehrte Taktik nichts mehr gilt, und sich völlig umstellen. Gerade die südvietnamesische Armee stand bisher der Freischärlerstrategie ebenso hilflos gegenüber wie lanzenbewehrte Ritter musketenbewaffneten Fußsoldaten.

Dies macht es notwendig, noch viel mehr amerikanische Truppen zu entsenden. Mecklin plädiert für 300.000, also für doppelt so viele als schon da sind. Wie aber wird sich die amerikanische Bevölkerung zu den daraus resultierenden steigenden Verlusten stellen? Wie wir gesehen haben, versteht sie von der Natur des Krieges nichts und setzt ihr Vertrauen auf den Luftkrieg.

Man kann ihr das um so weniger übelnehmen, als Leute, die es besser wissen sollten, sie in dieser Auffassung bestärken. Vor wenigen Tagen forderte der frühere Chef des Strategischen Bamfoerkommandos, General Le May, eine rücksichtslose Bombardierung der nördlichen Industriezentren, natürlich nur, um, wie er psychologisch klug begründete, „Menschenleben zu sparen“.

Die Regierung lehnt diese Forderung ab, weil sie fürchtet, daß darnach Ho Chi Minh seine ganze Armee gegen Süden in Marsch setzen würde. Man kann sich aber unschwer vorstellen, daß, wenn der Krieg noch jahrelang weitergeht, der Druck der Bevölkerung für ein Ende mit Schrecken gefährlich werden wird. Man denkt sich, es wäre an der Zeit, die Regierung würde sich der Mühsal eines Aufklärungsfeldzuges über die Natur dieses Krieges unterziehen.

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